Gota Biehler: Eine letztwillige Verfügung (Testament) ist immer sinnvoll

Interview mit Gota Biehler
Gota Biehler ist Rechtsanwältin in ihrer Kanzlei in Wiesbaden. Mit ihr sprechen wir über Erbeinsetzung, Vermächtnis sowie gerechte Verteilung.

Erblasser unterscheiden in der Praxis oft nicht zwischen der Erbeinsetzung und dem Vermächtnis. Wo liegt hier der Unterschied?

Gota Biehler: In Deutschland gilt die sog. Gesamtrechtsnachfolge gem. § 1922 BGB. Der Erbe tritt an die Stelle des Erblassers (Verstorbenen), dessen Vermögen geht insgesamt auf den Erben über. Aktiva und Passiva gehen über, der Erbe erbt also auch Schulden, sofern solche vorhanden sind. Mit einem Vermächtnis kann der Erblasser hingegen nur einen bestimmten Gegenstand oder eine Geldsumme einer Person (Vermächtnisnehmer) vermachen, ohne dass diese Person Erbe wird. Der Vermächtnisnehmer hat dann einen Anspruch gegen den Erben auf Herausgabe des Vermächtnisses. Dies allerdings nur, wenn das Vermächtnis auch im Nachlass vorhanden ist. Schreibt der Erblasser z.B. in seinem Testament meine Eigentumswohnung erhält meine Nichte als Vermächtnis und verkauft dann noch vor seinem Tod diese Wohnung, erhält die Nichte nichts, denn die Eigentumswohnung ist nicht mehr vorhanden.

Mit verschiedenen Arten von Vermächtnissen können Erblasser flexibel anordnen, wer was bekommen soll. Können Sie uns die verschiedenen Arten von Vermächtnissen einmal erklären?

Gota Biehler: Mit einem Vorausvermächtnis kann der Erblasser einen Miterben begünstigen. Der Vater verfügt z.B. in seinem Testament, dass seine beiden Söhne zu gleichen Teilen Erben sein sollen und Sohn X soll als Vorausvermächtnis seinen Oldtimer erhalten. Dann erben beide Söhne grundsätzlich jeder zu ½. Sohn X hat zusätzlich den Anspruch auf Übereignung des Oldtimers, ohne dass ihm dieser Wert auf seinen Anteil angerechnet wird. Er erhält also mehr als die Hälfte des Nachlasswertes. Bei dem Wahlvermächtnis überlässt es der Erblasser dem Bedachten oder dem Erben, was genau der Vermächtnisnehmer bekommen soll. Beispiel: Von meinen beiden Perlenketten erhält meine Enkelin eine nach ihrer Wahl. Dann steht fest, dass die Enkelin eine Goldkette erhalten soll und sie sich selber aussuchen darf, welche sie haben möchte. Mit einem Zweckvermächtnis kann der Erblasser bestimmen, dass dieses in bestimmter Weise verwendet werden soll. Beispiel: Mein Erbe Y erhält vorab 10.000,00 € für die Grabpflege.  Dann bekommt der Miterbe Y 10.000,00 € zusätzlich, muss dieses Geld jedoch für die Grabpflege verwenden. Ein Gattungsvermächtnis beschreibt die Vermächtnissache nur der Art nach. Der Erblasser hat z.B. angeordnet, dass sein Nachbar aus seinem Weinkeller 10 Flaschen Wein erhält. Das Gattungsvermächtnis hat auch Elemente des Wahlvermächtnisses. Dann gibt es das aufgeschobene Vermächtnis, wenn der Erblasser den Erhalt des Vermächtnisses von einer Bedingung abhängig macht. Beispiel: Mein Enkel erhält 10.000,00 €, wenn er ein Hochschulstudium erfolgreich abgeschlossen hat. Besteht der Enkel das Studium nicht oder studiert überhaupt nicht, soll er das Vermächtnis nicht bekommen. Ein aufgeschobenes Vermächtnis entfällt ganz, wenn die Bedingung nicht innerhalb von 30 Jahren eintritt. Ist also der Enkel im Beispielsfall im Todesfall noch sehr klein, z.B. gerade erst geboren und schließt dann sein Studium erst mit 32 Jahren ab, würde der Vermächtnisanspruch entfallen. Schließlich gibt es das Verschaffungsvermächtnis, mit dem der Erbe verpflichtet wird, dem Vermächtnisnehmer einen bestimmten Gegenstand zu verschaffen, der nicht zur Erbschaft gehört. Letztere Vermächtnisart -aber auch die übrigen bei unklar Anordnung- enthalten häufig hohes Konfliktpotential.  Deshalb empfehle ich, zunächst fachkundigen Rat einzuholen oder das Testament mit fachanwaltlicher Hilfe zu formulieren. Sofern ein notarielles Testament gewünscht ist, sollte ein Notar gewählt werden, der sich auf Erbrecht spezialisiert hat.

Im Einzelfall kann es doch unklar sein, ob der Erblasser in seinem Testament jemanden als Erben oder Vermächtnisnehmer einsetzen wollte. Was geschieht, wenn die Formulierung im Testament unklar ist?

Gota Biehler: Wenn aus dem Testament nicht klar hervorgeht, wer Erbe sein soll oder auch zu welchem Anteil, muss das Nachlassgericht entscheiden. Dabei wird der Richter/in zu klären haben, was wollte der Erblasser eigentlich? Bei Testamenten, die evtl. Jahrzehnte alt sind, ist das schwierig. Beispiel: Die kinderlose Erblasserin verfügte in ihrem Testament, das Haus sollen meine Nichten und Neffen A, B und C bekommen, die Eigentumswohnung A, B und Neffe Z, das Geld auf Konto, D, E und B, den Hund und das Auto erhält die Nachbarin und mein Wertpapierdepot mein Lebensgefährte. Hier geht aus dem Testament nicht hervor, ob alle Erben sein sollen oder nur bestimmte Personen, z.B. die Nichten und Neffen und die übrigen Personen Vermächtnisnehmer. Das wird sich nur durch ein nachlassgerichtliches Verfahren klären lassen, welches dadurch in Gang gesetzt wird, dass einer der Beteiligten einen Erbscheinantrag stellt, dem die anderen dann widersprechen. Ich rate dringend von solchen Formulierungen ab. Es sollte stets klargestellt werden, wer Erbe sein soll.

Wie verhält sich ein Vermächtnis zum Pflichtteil?

Gota Biehler: Ein Vermächtnis kann jeder erhalten. Es ist nur davon abhängig, wem der Erblasser ein Vermächtnis aussetzt (vermacht). Den Pflichtteilsanspruch (reiner Geldanspruch gegen den Erben) haben nur enterbte Pflichtteilsberechtigte, wie Abkömmlinge (Kinder oder Enkel, wenn Kinder vorverstorben sind), Ehegatten und Eltern, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind. Es handelt sich um einen gesetzlich garantierten Anspruch. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 19.04.2005 (Az. 1 BvR 1644/00) deutlich klargestellt, dass die wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass ein Kernelement des deutschen Erbrechts ist. Diese Mindestbeteiligung versucht der Gesetzgeber vor Aushöhlung zu schützen. So muss ein Pflichtteilsberechtigter sich nicht mit einem Vermächtnis zufrieden geben, welches wertmäßig unter seiner Pflichtteilsquote liegt. Er kann entweder die Differenz zum Wert des Pflichtteils verlangen oder das Vermächtnis ausschlagen und den Pflichtteil fordern. Auch hier sollte fachanwaltlicher Rat eingeholt werden.

Es ist sinnvoll, schon frühzeitig für den Fall des Ablebens eine Regelung des Nachlasses zu erstellen – so kann unter Umständen ein Streit in der Familie verhindert werden. Welche Möglichkeiten gibt es noch, um für eine gerechte und sinnvolle Verteilung im Sinne des Erblassers zu sorgen?

Gota Biehler: Eine letztwillige Verfügung (Testament) ist immer sinnvoll. Sie sollte allerdings in regelmäßigen Abständen überprüft werden, ob sie noch den passend ist. So sind natürlich für minderjährige Kinder als Erben andere Regelungen zu treffen als für volljährige Erben. Auch für behinderte Kinder sind spezielle Regelungen sinnvoll. Bei Patchworkfamilien ist ein Testament ebenfalls sinnvoll. Wird kein Testament erstellt, erben die sog. gesetzlichen Erben, meist Kinder und Ehepartner. Hier also die leiblichen Kinder und der neue Ehepartner, der mit den Kindern nicht verwandt ist. Wenn das bindende Familienmitglied verstorben ist, hört die Loyalität zwischen den nichtverwandten Familienmitgliedern meist auf. Die Gestaltung sollte daher so sein, dass sich Patchwork-Familienmitglieder nicht in einer Erbengemeinschaft wiederfinden. Außerhalb eines Testaments können durch lebzeitige Vermögensübertragungen (auch Schenkungen) und Erbverträge Gestaltungen getroffen werden. Hier ist unbedingt Expertenrat einzuholen, da die Möglichkeiten vielfältig sind und Auswirkungen auf Pflichtteilsberechtigte haben können, die unbedingt zu berücksichtigen sind.

Frau Biehler, vielen Dank für das Gespräch!

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