Wie hat sich der Markt für Finanzberatung in Krisenzeiten verändert und welche Trends beobachten Sie beim Vermögensaufbau Ihrer Kunden?
Krisen wirken wie ein Stresstest für Strategien – und für Erwartungen. Viele Menschen wünschen heute weniger Produktempfehlungen und mehr Struktur: Planung vor Produkt, klare Entscheidungsregeln und Transparenz über Risiken. Wir sehen drei stabile Trends. Erstens: robuste, kosteneffiziente Allokation statt Einzeltipps. Globale Streuung, diszipliniertes Rebalancing und ein sauber definiertes Risikobudget setzen sich gegen „Market Timing“ durch. Zweitens: hybride Beratung wird selbstverständlich. Kundinnen und Kunden kombinieren persönliche Gespräche mit digitalen Journeys, übersichtlichen Reportings und klaren Handlungsvorlagen – das spart Zeit und stärkt die Disziplin. Drittens: Risikogedächtnis schärfen. Gerade jüngere Anleger haben den letzten großen Crash 2007/2008 nicht bewusst erlebt. Wir arbeiten deshalb mit Szenarien, historischen Drawdowns und „Wenn-Dann-Regeln“, damit Entscheidungen auch in stürmischen Phasen tragfähig bleiben. Kurz gesagt: In unsicheren Zeiten zählen Resilienz, Einfachheit und Wiederholbarkeit mehr als die Jagd nach der nächsten Story.
Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen Finanzberater aktuell, wenn es darum geht, ihren Kunden beim Vermögensaufbau in wirtschaftlich unsicheren Zeiten zu helfen?
Die erste Herausforderung ist Inflation und Zinsregime: Mischungen aus der Nullzins-Ära funktionieren heute nicht mehr automatisch. Wir müssen Renditeerwartungen neu kalibrieren und Zinsänderungsrisiken aktiv managen. Zweitens: Nachrichtenlärm – Märkte schwanken schneller, Überschriften werden lauter. Ohne klare Leitplanken kippt die Disziplin. Drittens: Verhaltensökonomie. Wer 2007/2008 nicht miterlebt hat, unterschätzt oft, wie sich starke Drawdowns psychologisch über lange Zeiträume anfühlen. Unser Ansatz: Risikobudget definieren, in Asset-Quoten übersetzen und Rebalancing-Bänder festlegen, bevor Geld investiert wird. Viertens: Zeitökonomie. Unsere Zielgruppe – viele Ingenieur:innen, Wissenschaftler:innen, IT-Professionals – erwartet prägnante, datenbasierte Entscheidungen statt komplexer Produktordner. Und schließlich die Koordination von Komplexität: Vermögensaufbau betrifft Anlage, Absicherung, Liquidität, Finanzierung und Steuern. Die Kunst besteht darin, diese Bausteine effizient als System zu orchestrieren.
Können Sie aus Ihrer beruflichen Erfahrung heraus schildern, welche Strategien beim Vermögensaufbau in Krisenzeiten besonders erfolgreich waren?
Erfolgreich sind Strategien, die einfach genug sind, um durchgehalten zu werden – und klar genug, um in Stressphasen Orientierung zu geben. Das Fundament ist ein Sicherheitsnetz aus drei bis zwölf Monatsausgaben als Notgroschen sowie ein bedarfsgerechter Absicherungsmix. Darauf folgt das Investment: Ein Kern-Satellit-Ansatz mit global diversifiziertem Kernportfolio liefert Stabilität, kleinere Satelliten adressieren individuelle Präferenzen. Entscheidende Elemente sind Rebalancing statt Timing und eine intelligente Nutzung steuerlicher Förderungen. Spekulation wird strikt getrennt: Wer experimentieren möchte, nutzt dafür nur einen kleinen „Spielgeld“-Topf, damit das Kernvermögen geschützt bleibt.
Welche Entwicklungen erwarten Sie in der Finanzberatungsbranche in den nächsten fünf Jahren, insbesondere im Hinblick auf den Vermögensaufbau in unsicheren wirtschaftlichen Phasen?
Risikomanagement rückt stärker in den Mittelpunkt – Szenarios und Stresstests werden zum Gesprächsbeginn. Hybride Beratung wird Standard: digitale Prozesse liefern Tempo, persönliche Beratung liefert Kontext und Relevanz. Zudem entwickelt sich die Finanzplanung zu einem integrierten „Betriebssystem“ für den Haushalt: Investieren, Finanzieren, Absichern, Liquidität und Steuern greifen ineinander. Auch Nachhaltigkeit erhält eine pragmatische Rolle – weniger Label-Diskussion, mehr datenbasierte Einordnung. Finanzbildung wird in kurzen, konkreten Formaten vermittelt.
Inwiefern beeinflussen globale Krisen wie Pandemien oder geopolitische Spannungen die Strategien, die Finanzberater ihren Kunden für den Vermögensaufbau empfehlen?
Globale Krisen erhöhen Unsicherheit, machen aber die Grundprinzipien des Vermögensaufbaus wichtiger. Resilienz kommt vor Optimierung: Ein Notgroschen und ein passender Versicherungsschutz schaffen Handlungsfähigkeit. Diversifikation über Regionen, Branchen und Währungen reduziert Einzelrisiken. Disziplin wird durch Regeln gesichert – automatisierte Sparraten und Rebalancing verwandeln Volatilität in einen Plan. Immobilien können Chancen bieten, binden aber Ressourcen und sollten daher bewusst eingeordnet werden. Spekulative Ideen gehören klar getrennt vom Kernvermögen in einen kleinen eigenen Topf, damit die Gesamtstrategie stabil bleibt. Am Ende zählt eine Struktur, die auch im schlechtesten Jahr durchgehalten wird.