Digitale Gesundheitslösungen gewinnen an Fahrt

Interview mit Annika Mester
Digitale Gesundheitslösungen greifen tief in die Versorgung ein – von KI-gestützten Anwendungen bis zu neuen Standards. Im Interview erläutert Annika Mester, wie Düsseldorf Innovationen in der Praxis voranbringt.

Wie bewerten Sie die derzeitigen Entwicklungen im Bereich der digitalen Gesundheitslösungen und deren Einfluss auf das bestehende Gesundheitssystem?
Digitale Gesundheitslösungen sind eine breite Palette von Technologien und Anwendungen, die das Gesundheitswesen durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien verbessern. Hierzu gehören beispielsweise Telemedizin, digitale Patientenakten, Gesundheits-Apps, KI-gestützte Diagnostik, das E-Rezept und Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa). Diese Lösungen können die Effizienz steigern und die Qualität der Versorgung verbessern. Der Zugang zu Leistungen wird erweitert und die Bürgerinnen und Bürger werden befähigt, ihre Gesundheit aktiver zu steuern. Die Bemühungen, den digitalen Zugang zu Leistungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes zu erleichtern, sind bereits auf einem guten Weg.

Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell bei der Integration neuer technischer Standards in medizinische Einrichtungen?
Technische Standards in medizinischen Einrichtungen in Deutschland unterliegen einem komplexen Geflecht aus Gesetzen, Verordnungen und Normen, die primär der Patientensicherheit und der Funktionsfähigkeit der kritischen Infrastruktur dienen. Im Gegensatz zu anderen Ländern muss für das deutsche Gesundheitswesen festgestellt werden, dass es eine große Anzahl konkurrierender Normen und Schnittstellendefinitionen gibt. Daher stimmen sich Bund und Länder aktuell über eine Vereinheitlichung der Schnittstellenstandards ab.

Welche Kriterien erachten Sie als entscheidend, um die Qualität von Gesundheitsdienstleistungen unter den sich verändernden Rahmenbedingungen sicherzustellen?
Eine gute Digitalisierung und Modernisierung von Prozessen, die sich stetig weiterentwickeln und an die neuen Gegebenheiten anpassen, helfen bei der Sicherung der Qualität. Gerade die Standardisierung von Schnittstellen und Kommunikationswegen beschleunigt den Austausch und die Verfügbarkeit von Gesundheitsdienstleistungen.

Die Qualität von Gesundheitsdienstleistungen beschreibt, wie gut die medizinische Versorgung ist und ob sie den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten entspricht. Zurzeit wird sie anhand verschiedener Kriterien bewertet, darunter Wirksamkeit, Sicherheit, Patientenzentrierung, Pünktlichkeit, Effizienz und Gerechtigkeit.

Zur Sicherung und Verbesserung werden aktuell verschiedene Qualitätsmanagementsysteme wie die DIN EN ISO 9000-Reihe eingesetzt. Die DIN-Norm und das speziell für Arzt- und Psychotherapeutenpraxen sowie Medizinische Versorgungszentren entwickelte „Qualität und Entwicklung in Praxen“ (QEP) oder die Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen (KTQ) stehen hier gleichberechtigt nebeneinander. Das KTQ bezeichnet dabei ein Zertifizierungsverfahren zur Qualitätssicherung in Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens. Diese Qualitätsmanagementsysteme werden eingesetzt, um Strukturen, Prozesse und Ergebnisse zu bewerten und zu optimieren.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, wie ein innovativer Ansatz in Ihrer Praxis erfolgreich umgesetzt wurde?
Auf übergeordneter Ebene ist hier sicherlich die Steuerung der Weiterentwicklung der digitalen Reife im Öffentlichen Gesundheitswesen über das Reifegradmodell des Bundesgesundheitsministeriums zu nennen.
Im Gesundheitsamt der Stadt Düsseldorf ist die neue digitale Infektionsschutzbelehrung als erste Anwendung, bei der KI im Gesundheitsamt zum Einsatz kommt, zu nennen.

Zudem ist die Stadt Düsseldorf seit dem 2. September 2025 Teil der Initiative „Region der Lebensretter“ und nutzt die gleichnamige App – ein Smartphone-basiertes Ersthelfer-Alarmierungssystem, das medizinisch geschulte Freiwillige mit der Leitstelle vernetzt. Wer sich in der Nähe befindet, wird alarmiert und kann innerhalb kürzester Zeit mit lebensrettenden Maßnahmen beginnen. Nach drei Monaten lässt sich bereits eine positive Bilanz ziehen: So kam die App im Monat November in rund 50 Fällen zum Einsatz; bei der Hälfte der Alarmierungen konnten die Ersthelfenden noch vor dem Rettungsdienst vor Ort die lebensrettenden Maßnahmen einleiten. Rund 800 Ersthelfende aus Düsseldorf sind bereits registriert.

Darüber hinaus haben sich Psychologische Psychotherapeutinnen der Abteilung Sozialpsychiatrie im Gesundheitsamt der Stadt Düsseldorf für das internetbasierte Selbstmanagement-Programm „iFightDepression“ registrieren lassen. Mit diesem Programm, das auf den Prinzipien der Kognitiven Verhaltenstherapie beruht, können Menschen mit leichteren Formen einer Depression begleitet werden. Im Rahmen der Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes wird dieses Tool als ergänzender Baustein genutzt, um etwa die Wartezeit auf einen Therapieplatz zu überbrücken. Betroffene können sich unter fachlicher Begleitung frühzeitig aktiv an ihrer Genesung beteiligen, was einer Verschlechterung entgegenwirken kann.

Welche Trends und Veränderungen erwarten Sie in der Gesundheitsbranche in den kommenden Jahren, und welche Empfehlungen würden Sie den Akteuren der Branche geben?
Kurzfristig ist in der Gesundheitsbranche mit einer Schwerpunktverschiebung hin zur Prävention zu rechnen.

Entscheidend für die zukünftige Entwicklung wird sein, dass die Menschen Gesundheit als über Medizin und Pharmazie hinausreichend wahrnehmen und individueller nutzen möchten. Daraus folgt eine weitere Verbreitung persönlicher Gesundheitstechnik. Gerade die Silver Society verlangt nach präziser Erfassung ihres persönlichen Befindens.

Dies fördert Technologien, die individuelle Gesundheitsbedürfnisse erfüllen, etwa personalisierte Medizin oder Scanner, die bereits jetzt als diagnostisch und therapeutisch nutzbare Wearables verfügbar sind. Eine Zukunft ohne KI ist hier nicht denkbar. Daher gibt es zahlreiche Projekte im öffentlichen Gesundheitswesen, die sich mit der Einführung KI-basierter Anwendungen befassen.

In der Bevölkerung werden diese Tools zunehmend zur Überwachung und Verbesserung der eigenen Gesundheit eingesetzt. Auch bei Geräten wie Herzschrittmachern, Blutdruck- und Blutzuckermessgeräten ist von einer steigenden Nutzung auszugehen.

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