Monika Bertsche ist Diplom-Psychologin und graduierte Paartherapeutin (GIPP e.V.). Mit ihr sprechen wir über Paartherapie, professionelle Hilfe sowie Beziehungsprobleme.
Eine Paartherapie ist für viele Paare gar keine Option. Obwohl die Beziehung auf der Kippe steht, denken viele Partner, dass professionelle Hilfe nichts bringt. Was umfasst eine Paartherapie und welche Themen werden in den Sitzungen meistens behandelt?

Monika Bertsche: Menschen neigen dazu, in kritischen Situationen auf bewährte Verhaltensmuster zurückzugreifen- auch wenn diese Verhaltensmuster u. U. dysfunktional sind. Das gilt besonders in nahen Beziehungen, da uns hier viele Verhaltensmuster nicht bewusst sind, sondern „aus dem Bauch“ kommen. Ein Partner, eine Partnerin wird also, wenn es eng wird, nicht mehr rational und flexibel handeln, sondern gerät immer mehr in einen psychischen Überlebensmodus, der nur eine Richtung zulässt. Und das nicht rein auf der Verhaltensebene, sondern schon weit vorher. Man nimmt den anderen oft nicht mehr wahr als den, der er ist, nämlich vielschichtig und komplex, sondern sieht, was man sehen will. In einer Paartherapie wird diese Verengung aufgebrochen. Die Therapeut*in hilft dem Paar in einem ersten Schritt, hinzuschauen, was wirklich ist. Wenn darüber Verständigung herrscht, ist der Weg offen zu einer Veränderung. Vielen Paaren hilft das allein schon weiter. Die meisten Paare sind darüber hinaus aber auch interessiert an dem Warum. „Wie kommt das, das ich so leicht beleidigt bin?“ „Warum gerate ich in eine so heiße Wut, wenn Du…?“ „Was passiert mit mir, wenn Du Dich tagelang zurückziehst und nicht mit mir sprichst?“ Und sie fragen auch, was jeder und jede tun kann, um wirkliche, nachhaltige Veränderung zu bewirken. In der dialogisch-tiefenpsychologisch fundierten Therapie geht diese Suche bis in die Herkunftsfamilie zurück. Andere Schulen richten ihren Blick eher auf das System oder die Ebene einer guten Kommunikation. Eine gute Paartherapie wird das Streit-Thema, das die Paare in die Therapie geführt hat, ernst nehmen, sich aber nicht auf die Lösung dieses Problems beschränken, sondern immer schauen, was durch dieses Problem sichtbar wird- an Sehnsüchten, Motiven, Ängsten, Bedürfnissen und auch an Widerstand und Abwehr.
Die meisten Menschen treten Paartherapeuten:innen eher skeptisch gegenüber. Vielen Paaren fällt es schwer, mit einer fremden Person über ihre Beziehungsprobleme zu reden. Besonders wenn sich Partner nach der Sitzung wieder im Alltag befinden, neigen sie dazu, in alte Muster zu verfallen. Denken Sie, dass eine Paarberatung die Beziehung nachhaltig und positiv beeinflussen kann?
Monika Bertsche: Es ist ein noch nicht geklärter Widerspruch, warum Menschen, die sich ansonsten sehr um Beratung bemühen und neuen Ideen und Sichtweisen aufgeschlossen sind, in den elementarsten Bereichen des Lebens eher zögerlich auf entsprechende Angebote reagieren. Ein Grund mag die Fremdheit sein. Es ist sicher nicht leicht, intime Fragen mit und vor einer zunächst fremden Person zu erörtern. Da kann auch das Thema Scham eine Rolle spielen. Zugleich ist aber auch die anfängliche Fremdheit eine Chance, denn gerade sie garantiert auch die Unvoreingenommenheit der Therapeut*in. Anders als Freunde oder Familienangehörige hat sie keine vorgefasste Meinung oder gar ein Urteil parat. Dennoch ist- wie übrigens in jeder Therapie- der erste Schritt, diese Fremdheit aufzubrechen und Vertrauen zu schaffen. Im Fachjargon heißt das: eine therapeutische Beziehung einzugehen. Und in der Paartherapie: aus der dyadischen Beziehung eine Triade auf Zeit zu formen.
Wenn Paare nach den Sitzungen oder zwischen den Sitzungen wieder in alte Muster verfallen, ist das ein völlig normaler Vorgang. Man kann sich das so vorstellen, dass ja die Seele über Jahrzehnte diese Muster gebildet hat und sich diese nicht in wenigen Sitzungen umbauen lassen.
Hier zeigt sich auch der größte Unterschied zwischen den unterschiedlichen Ansätzen. Es hat sich in der Therapieforschung gezeigt, dass die Therapien, die sowohl die kognitiven als auch die emotionalen und körperlichen Aspekte des Paar-Seins in den Blick nehmen, nachhaltiger wirken als eine reine Problem-Orientierung. Die Paartherapie ist oft ein Einstieg in die Beschäftigung mit dem Paar-Sein oder der Liebe an sich und das kann letztlich zutiefst aufbauend und erfüllend sein.
Welche Probleme führen Ihrer Erkenntnis nach Paare meistens in eine Therapie?
Monika Bertsche: Die Probleme, die die Paare einbringen, sind so vielfältig wie das Leben selbst. Ein Thema, das sozusagen Dauerbrenner ist, ist natürlich das Thema Treue-Bruch durch Fremdgehen oder eine Außenbeziehung. Zunehmend haben Paare aber auch Streit um eine gerechte Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit. Hier entstehen oft harte Kämpfe um Geltung und Wertschätzung. Oder es geht um das Dilemma zwischen unterschiedlichen Bindungs- und Autonomiebedürfnissen. Eine neuere Entwicklung ist auch, dass immer mehr Paare mit sexuellen Schwierigkeiten offen und direkt um Hilfe nachfragen. Und wir stellen auch fest, dass immer mehr Paare zu uns kommen, die auf eine lange Beziehungsdauer zurückblicken. Ihnen stellt sich häufig die Frage, ob und wie sie ihre (gemeinsame) Lebenszeit nach Beruf und Kindern gestalten wollen
Und es gibt natürlich auch die Schicksalsschläge, die ein Paar vor große Herausforderungen stellen. Eine chronische oder auch psychische Erkrankung eines der beiden Partner, der Tod eines Kindes oder die Pflege der eigenen Eltern kann ein Paar überfordern und dazu führen, dass es sich nur noch in gegenseitigen Vorwürfen und Anklagen wiederfindet.
Aber noch einmal: ob sich ein Paar zunächst um die Kindererziehung, um Geld oder den Besuch bei den Schwiegereltern streitet- das ist meistens nicht das eigentliche Thema. Hinter dieser Oberfläche finden sich immer menschliche, manchmal sogar existentielle Bedürfnisse und Dramen, die häufig schon das ganze Leben begleiten. Die Angst vor dem Verlassen-Werden. Misstrauen gegenüber nahen Bezugspersonen. Narzissmus und ungesunde Leistungsbetonung, weil jemand nicht glauben kann, dass er um seiner selbst willen geliebt wird. Ein großes Bedürfnis nach Rückzug und Schutz, weil anders eine traumatische Erfahrung nicht bewältigt werden kann, und vieles mehr.
Die Faszination und der Mehrwert einer Paartherapie, die diese Fragen mit einbezieht, liegt darin, dass sie in einer sicheren therapeutischen Umgebung angeschaut werden können- gemeinsam mit einem Menschen, den man liebt und von dem man geliebt wird.
Muss man in einer Partnerschaft sein, um eine Paartherapie aufzusuchen oder kann man dies auch als Einzelperson tun, um eine Krisensituation zu entspannen?
Monika Bertsche: Ja, das sollte man schon. Sie gehen ja auch nicht in die Autowerkstatt, wenn sie kein Auto haben, oder?!
Aber ich denke, Sie meinen was anderes: muss ich unbedingt zu zweit um Unterstützung nachfragen oder kann man das auch alleine tun. Zum Beispiel wenn der Partner oder die Partnerin ein solches Unterfangen strikt ablehnt. Natürlich- und das machen sogar viele Menschen- kann man auch zu einer Therapeutin gehen und mit ihr über die Schwierigkeiten in der Beziehung sprechen. Das ist dann keine Paartherapie, aber sinnvoller als gar nichts zu tun. Man muss aber folgendes bedenken: wenn man schon mehrere Stunden mit einem Therapeuten zusammengearbeitet hat, dann ist für den Partner unter Umständen der Einstieg in dieses Setting ein schwieriger. Manche Partner fühlen sich von vornherein unwohl, wenn sie wissen, dass mit diesem Menschen schon über sie gesprochen wurde. Dann kann es sinnvoller sein, gemeinsam an anderer Stelle noch mal neu anzufangen.
Eine Therapiestunde kann bei einem seriösen Anbieter schon einiges kosten. In welchen Fällen kann die Krankenkasse einem Paar unter die Arme greifen?
Monika Bertsche: Meines Wissens gibt keine Krankenkasse, weder gesetzlich oder privat, die Paartherapie in ihrem Leistungskatalog hat. Das ist eine gesundheitspolitische Dummheit, denn wir wissen alle, wie sehr sich Körper und Seele bedingen. Gesundheitliche Folgen von schwierigen Partnerschaften sind vielfältig- nicht nur bei den Partnern selbst, sondern auch bei den mitleidenden Kindern. Umgekehrt ist eine gute soziale Unterstützung ein wesentlicher Heilfaktor bei Erkrankungen aller Art. Paartherapie als Teil der Gesundheitsvorsorge wäre letztlich gut investiertes Geld.