Doris Hellriegel: Grund für Unzufriedenheit im Job ist oft ein ungünstiges Arbeitsumfeld

Interview mit Doris Hellriegel
Doris Hellriegel ist Inhaberin von Berufliche Orientierung Leipzig. Mit ihr sprechen wir über individuelle Fähigkeiten, fehlende Freude an der Arbeit sowie Über- und Unterforderung.

Es gibt zahlreiche Gründe, warum Beschäftigte unzufrieden mit ihrem Job sind. Für viele ist aber eine berufliche Neuorientierung keine Option. Was sind die häufigsten Gründe, die zu einer Jobunzufriedenheit führen?

Doris Hellriegel: Menschen sind oft unzufrieden im Job, wenn sie Tätigkeiten ausführen (müssen), die nicht zu ihren individuellen Fähigkeiten passen. Das macht meist keine Freude oder wir beherrschen diese Tätigkeiten nicht sehr gut. Daraus resultieren Über- oder Unterforderung und dieser Zustand macht uns nicht glücklich, sondern frustriert oftmals.

Ein weiterer Grund für Unzufriedenheit im Job ist ein (subjektiv betrachtetes) ungünstiges Arbeitsumfeld. Darunter könnten zählen: unfreundliche Kolleg:innen/Vorgesetzte, Großraumbüro, lange Arbeits- oder Pendelzeiten, zu geringes Gehalt, etc.

Der aus meiner Erfahrung wichtigste Grund für Jobunzufriedenheit ist jedoch, dass Berufstätige keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Sprich in ihrem tagtäglichen Tun am Arbeitsplatz nicht zu den Werten beitragen können, die ihnen – auch gesamtgesellschaftlich gesehen – wichtig sind und am Herzen liegen.

Eine berufliche Orientierung ist für einige keine Option, weil sie nicht wissen, wie berufliche Orientierung funktioniert. Wir lernen es leider weder in Elternhaus, Schule oder Studium. Ein Jobwechsel wird deshalb nicht vollzogen, weil die Menschen keine genaue Vorstellung davon haben, wer sie sind, wohin sie wollen und welcher Job und welches Unternehmen zu ihnen passt. Alternativen gäbe es genug. Aber die Planlosigkeit lässt zögern und sich mit dem Sicheren, schon Vorhandenen zufrieden geben.

Woher weiß man, dass es Zeit ist den Job zu wechseln, um sich neuen Herausforderungen zu stellen?

Doris Hellriegel: Es ist Zeit für einen Jobwechsel, wenn der subjektiv empfundene Leidensdruck zu groß wird. Das kann sich darin äußern, dass man nicht mehr gern zur Arbeit geht und sich dort unwohl fühlt. Gesundheitliche Beeinträchtigungen können sich zeigen und eine Abwesenheit vom Arbeitsplatz erforderlich machen. Das Gefühl von permanenter Über- oder Unterforderung ist ebenfalls ein wichtiges Anzeichen, dass man etwas ändern sollte.

Auch externe Gründe können zu einem Jobwechsel führen, wie z.B. die Übernahme der Firma durch eine andere und der damit einhergehende Kulturwechsel, mit dem man nicht zufrieden ist. Auch die Insolvenz des Arbeitgebers kann einen Jobwechsel erforderlich machen -diesem muss man sich dann stellen.

Viele Beschäftigte über 35 haben Hemmungen sich neu zu orientieren. Kann man im fortgeschrittenen Alter noch adäquat Karriere machen?

Doris Hellriegel: Berufliche Orientierung ist aus meiner Sicht nicht mit „Karriere machen“ gleichzusetzen. Berufliche Orientierung meint die intensive Analyse der eigenen Fähigkeiten und Wünsche. Die Bewusstmachung der eigenen Persönlichkeit und Lebensvorstellungen. Erst wenn diese innere Bestandsaufnahme als Basis vollzogen ist, kann von diesen Erkenntnissen aus der berufliche Weg geplant werden – und somit auch die bewussten Karriereschritte.

Es geht bei der beruflichen Orientierung (so, wie ich sie verstehe) nicht um die Planung einer „Karriere“, sondern um die bewusste Gestaltung des beruflichen und persönlichen Lebensweges. Veränderungen sind in allen Lebensbereichen zu jedem Zeitpunkt möglich und machbar. Wichtig ist, dass ich weiß, wer ich bin, was zu mir passt und wie meine Ziele ganz konkret aussehen.

Ein Neuanfang ist immer schwer. Wie kann man mentale Hürden der Neuorientierung überwinden?

Doris Hellriegel: Mentale Hürden kann man überwinden, indem man sich zum Thema informiert. Die Recherche im Internet, Bücher, Youtube Videos – all das sind Möglichkeiten, mehr darüber zu erfahren. Gerade auch persönliche Erfahrungsberichte von anderen, die eine Neuorientierung gewagt haben, können inspirieren. Der Austausch im persönlichen Bekanntenkreis kann ebenfalls helfen, Tipps zu erhalten und die Neuausrichtung aktiv anzugehen.

Was muss man also tun, damit eine berufliche Neuorientierung gelingt?

Doris Hellriegel: Meine absolute Empfehlung ist: Holen Sie sich professionelle Unterstützung und lassen Sie sich durch den Prozess der beruflichen Orientierung begleiten. Die Methode bzw. Vorgehensweise sollte dabei zu Ihnen und Ihren Bedürfnissen passen und sich gut für Sie anfühlen. Die Beziehung zur beratenden Person sollte von gegenseitigem Vertrauen und Respekt geprägt sein. Die intensive Selbstanalyse erfordert viel Mut, sich zu öffnen und sich den kommenden Veränderungen zu stellen. Das kann sich manchmal recht unbequem anfühlen – daher ist es gut, eine/n erfahrene/n Sparringspartner/in an seiner Seite zu haben.

Was raten Sie Beschäftigten, die mit dem Gedanken spielen, den Beruf zu wechseln?

Doris Hellriegel: Machen Sie sich genau bewusst, warum Sie den Beruf wechseln möchten. Liegt es an den Tätigkeiten, die Sie nicht glücklich machen oder eher am beruflichen Umfeld? Wenn das Unzufriedenheitsgefühl nicht ganz so groß ist, können vielleicht noch Aspekte im aktuellen Job verändert werden. Wenn der Berufs- oder Arbeitsplatzwechsel unausweichlich scheint, ist mein Rat nochmals: Suchen Sie sich Unterstützung und bestreiten Sie den Prozess der Neuausrichtung in Begleitung einer erfahrenen Beratungsperson. Das macht viel Freude und bringt spannende Erkenntnisse – ganz sicher!

Frau Hellriegel, vielen Dank für das Gespräch!

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