Dr. Annette Corinth: Was tun, wenn sich Krankenkassen querstellen?

Interview mit Dr. Annette Corinth
Dr. Annette Corinth, Fachanwältin für Medizinrecht bei Dres. Corinth & Henkel, klärt im Interview über die Rechte und Pflichten der Patienten auf.

Immer wieder hört man, dass sich Krankenkassen querstellen, wenn Leistungen fällig werden. Warum provozieren die Kassen gerne einen Rechtsstreit?

Dr. Annette Corinth: Leider versuchen gesetzliche und privaten Krankenversicherungen immer wieder, aus Kostengründen auch Leistungen, für die ein eindeutiger Versicherungsschutz besteht, nicht zu zahlen. Man kann nur mutmaßen, ob hier eventuell die Hoffnung der Versicherungen, dass die erkrankten Versicherten gerade in einer solchen Situation weder Zeit, Nerven noch finanzielle Möglichkeiten haben, um ihre Ansprüche rechtlich durchzusetzen, eine Rolle spielen.

Kann ich mich mit einer Rechtsschutzversicherung gegen die hohen Prozesskosten absichern?

Dr. Annette Corinth: Ja, das ist natürlich möglich. Eine Rechtschutzversicherung zahlt die eigenen Rechtsanwaltsgebühren und, sofern es zu einem Gerichtsverfahren kommt, auch die Gerichtskosten, die gegnerischen Rechtsanwaltsgebühren, Zeugenauslagen und Gutachterkosten. Wenn ein Prozess gewonnen wird, werden diese Kosten nach Abschluss des Verfahrens zwar von der Gegenseite getragen, ist man nicht rechtsschutzversichert, muss man für diese Kosten, abgesehen von den gegnerischen Rechtsanwaltsgebühren, allerdings schon ab Beginn des Verfahrens in Vorleistung treten.

Worauf sollte ich beim Abschluss einer solchen Versicherung achten?

Dr. Annette Corinth: Wichtig ist zunächst zu wissen, dass die Rechtsschutzversicherung grundsätzlich nicht für ein bei Vertragsabschluss schon aktuelles rechtliches Problem genutzt werden kann. Der Versicherungsschutz wird in der Regel nur für Fälle übernommen, in denen zwischen Versicherungsbeginn und dem Entstehen der Streitigkeit mindestens drei Monate liegen.

Ansonsten sollte man zunächst auf die Vereinbarung einer angemessenen Deckungssumme, auf angemessene Kündigungsfristen und natürlich insgesamt auf ein angemessenes

Preis-Leistungs-Verhältnis achten. Wichtig ist dabei z. B. zu klären, inwiefern Lebens- oder Ehepartner und weitere Familienangehörige ebenfalls durch den Vertrag abgesichert werden können sowie ob und in welchem Umfang außerdem ein Auslandsrechtsschutz besteht. Sehr wichtig ist auch das vertragliche Recht auf freie Anwaltswahl. Viele Versicherungen arbeiten mit Vertragsanwälten zusammen, die ggf. für den konkreten Fall aber gar nicht ausreichend spezialisiert sind, oder zu denen der Versicherte aus anderen Gründen eventuell kein Vertrauen hat. Hier ist wichtig, dass der Vertrag die freie Anwaltswahl nicht grundsätzlich z. B. durch reduzierte Kostenübernahme einschränkt.

Kann man einen Arzt oder Zahnarzt auch längere Zeit nach einem Eingriff zur Verantwortung ziehen, wenn sich erst später Folgeschäden oder Probleme einstellen?

Dr. Annette Corinth: Die regelmäßige Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche beträgt gem. § 195 BGB drei Jahre.

Im Arzthaftungsrecht ist allerdings die Besonderheit zu beachten, dass die Verjährungsfrist gem. § 199 I Nr. 2 BGB erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Patient entweder Kenntnis hatte oder hätte haben können, dass überhaupt ein Behandlungsfehler vorliegt. Dieser spätere Verjährungsbeginn ist häufig z. B. bei Behandlungsfehlern im Zusammenhang mit Geburten relevant, da oft erst nach Monaten oder Jahren deutlich wird, wie die Entwicklung eines Kindes verläuft. Drängt sich dann für die Eltern – eventuell nach weiteren Recherchen oder dem Hinweis eines Kinderarztes – der Verdacht eines Behandlungsfehlers bei der Geburt auf, beginnt die Verjährungsfrist ab Ende des Jahres zu laufen, in dem die Vermutung eines Behandlungsfehlers aufkam.

Hat der Patient (bzw. bei Minderjährigen die Eltern) z. B. seit Oktober 2020 die Kenntnis oder die Vermutung, dass eine Behandlung aus dem Jahr 2012 fehlerhaft verlief, beginnt die Verjährungsfrist am 31.12.2020 und endet taggenau drei Jahre später am 31.12.2023. Schmerzensgeld- und weitere Schadenersatzansprüche für die Behandlung im Jahr 2012 würden damit am 31.12.2023 verjähren.

Spätestens 30 Jahre nach einem Behandlungsfehler tritt gem. § 199 II BGB allerdings für alle Ansprüche die Verjährung ein, auch wenn der Behandlungsfehler zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht bekannt ist.

Wenn ich Folgeschäden nach einem Unfall habe, wie wird das Schmerzensgeld für zukünftige Einschränkungen berechnet?

Dr. Annette Corinth: Der sog. Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgelds erfordert es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die Höhe des Schmerzensgelds auch unter Berücksichtigung aller zumindest vorhersehbaren künftigen Schäden zu beziffern. Allerdings können in den meisten Fällen weitere Schäden auftreten, die zum Zeitpunkt eines Vergleichsschlusses oder eines Urteils noch nicht vorhersehbar sind. In solchen Fällen sollte der Anwalt bei einem außergerichtlichen Vergleich darauf bestehen, dass eine entsprechende Vorbehaltsklausel in den Vergleich aufgenommen wird. In einem Gerichtsverfahren sollte der Anwalt einen sog. Feststellungsantrag stellen, damit auch solche späteren Entwicklungen berücksichtigt werden können.

Wenn ein Krankenhaus Behandlungsfehler macht, hört man oft, dass jahrelang prozessiert werden muss, bevor der/die Geschädigte Recht bekommt. Gibt es eine Art Hilfsfonds, aus dem Betroffene entschädigt werden, oder muss man grundsätzlich die Zeit aussitzen?

Dr. Annette Corinth: Entsprechende Hilfsfonds gibt es in Deutschland im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Ländern wie z. B. Österreich (noch) nicht. Entschädigungsfonds für Gesundheitsschäden gibt es in Deutschland bisher nur für Großschäden der Vergangenheit mit klar eingrenzbaren Haftungsverläufen wie z. B. bei Behinderungen durch Contergan, bei HIV-Infektionen durch kontaminierte Blutkonserven oder für Opfer des DDR-Dopings. In Deutschland wurde die Frage der Einrichtung eines Härtefallfonds für Opfer von Behandlungsfehlern zwar erst Anfang November 2020 wieder im Bundestag diskutiert, die Frage ist aber politisch sehr umstritten.

Wie finde ich den für mich besten bzw. für meinen Fall qualifiziertesten Anwalt?

Dr. Annette Corinth: Für die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen wegen eines Behandlungsfehlers empfiehlt es sich, einen im Arzthaftungsrecht spezialisierten Fachanwalt für Medizinrecht auszuwählen, um ausreichende Fachkompetenz sicherzustellen. Sofern man sich aus dieser Gruppe von einem „Patientenanwalt“ vertreten lässt, schließt man darüber hinaus für den Mandanten grundsätzlich nicht erkennbare Interessenkonflikte des Rechtsanwalts von vornherein aus.

Man könnte meinen, ein Fachanwalt für Medizinrecht müsste sehr gute Kenntnisse in Humanmedizin mitbringen. Ist das so?

Dr. Annette Corinth: Fachanwälte für Medizinrecht arbeiten in einem sehr breit aufgestellten Rechtsgebiet, das z. B. auch die ausschließliche Spezialisierung auf Vertragsgestaltung für Praxen oder auf Rechtsfragen der ärztlichen Abrechnung beinhalten kann. Bei einer Spezialisierung im Arzthaftungsrecht sollten gerade bei Patientenanwälten solide medizinische Kenntnisse auf jeden Fall vorhanden sein, da sich der Anwalt, der anders als der Gegner keinen ihn „beratenden“ Arzt als Mandanten hat, nur so auf Augenhöhe mit der Gegenseite und den Gerichtsgutachtern auseinandersetzen kann. Leider besteht dieses Zusatzwissen nicht bei allen in diesem Bereich tätigen Kollegen.

Danke für das Gespräch, Frau Dr. Corinth.

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