DSGVO trifft KI: Neue Aufgaben für Kanzleien

Interview mit Cihan Kati
Datenschutz, KI-Regulierung und internationale Vorgaben verändern die Rechtsberatung rasant. Rechtsanwalt Cihan Kati erklärt, wie Kanzleien Mandanten sicher durch DSGVO, KI-Gesetze und globale Standards führen.

Wie schätzen Sie die aktuelle Marktsituation für Datenschutzberatungen in der Rechtsbranche ein, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung von Unternehmen?
Aus meiner Sicht ist der Markt für Datenschutzberatung in den letzten Jahren stark gewachsen und bleibt äußerst dynamisch. Die fortschreitende Digitalisierung in Unternehmen – von Cloud-Services über Big Data bis zur KI – hat den Beratungsbedarf im Datenschutz deutlich erhöht. Seit Einführung der DSGVO haben viele Kanzleien einen nie dagewesenen Anstieg an Mandaten im Datenschutzrecht erlebt. Praktisch 94 % der deutschen Unternehmen beklagen heute einen hohen Aufwand, um die Datenschutzregeln einzuhalten. Dabei müssen rund zwei Drittel der Firmen innovative Digitalisierungsprojekte wegen Datenschutzauflagen ganz auf Eis legen. Diese Entwicklung führt dazu, dass rechtlicher Rat in Sachen Datenschutz stark nachgefragt ist, denn Unternehmen wollen digitale Innovation vorantreiben, ohne rechtliche Risiken einzugehen.
Für spezialisierte Anwälte und Beratungen ergibt sich daraus ein florierendes Geschäftsfeld. Viele Unternehmen haben intern nicht das Know-how oder die Kapazitäten, um den komplexen Datenschutzanforderungen gerecht zu werden – zumal diese Anforderungen ständig im Fluss sind. Beispielsweise löst das Einführen jeder neuen digitalen Plattform oft wieder umfangreiche Datenschutz-Prüfungen aus. Gleichzeitig herrscht in der Praxis häufig Rechtsunsicherheit: Selbst sechs Jahre nach Inkrafttreten der DSGVO sind 76 % der Unternehmen unsicher bei der Auslegung der Vorgaben. All das führt dazu, dass externe Datenschutz-Expertise sehr gefragt ist. Ich beobachte, dass sich Kanzleien vermehrt auf Datenschutzrecht spezialisieren oder Kooperationen mit IT-Fachleuten eingehen. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Marktsituation äußerst positiv für Datenschutzberatungen ist – getrieben von hoher regulatorischer Komplexität und dem Wunsch der Unternehmen, die Digitalisierung rechtskonform und zugleich effizient umzusetzen.

Welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie für Rechtsanwälte im Bereich Datenschutz, wenn es darum geht, die Einhaltung der DSGVO für ihre Mandanten sicherzustellen?
Eine der größten Herausforderungen besteht darin, Innovation und Datenschutz in Einklang zu bringen. Aus Anwaltssicht erleben wir oft einen Spagat: Auf der einen Seite wollen Mandanten moderne Tools und internationale Cloud-Dienste nutzen, auf der anderen Seite setzen strenge Datenschutzregeln Grenzen. Viele der innovativsten Technologien – gerade aus den USA – kollidieren mit europäischen Datenschutzanforderungen. Beispielsweise dürfen sensible Daten nicht ohne Weiteres auf US-Server übertragen werden, weil unklar ist, ob dort ein ausreichendes Schutzniveau herrscht. Wir müssen Mandanten dann oft auf DSGVO-konforme Alternativen innerhalb der EU verweisen. Diese lokalen Lösungen sind jedoch nicht immer so leistungsfähig oder benutzerfreundlich und häufig auch teurer, was den Eindruck erweckt, dass Datenschutz die technologische Entwicklung bremst. Tatsächlich warnen 70 % der deutschen Firmen, der Datenschutz hemme die Digitalisierung hierzulande. Fast die Hälfte der Unternehmen bemängelt sogar, dass Innovationen aus anderen Weltregionen wegen der DSGVO in der EU gar nicht genutzt werden können. Für uns Anwälte bedeutet das, kreative Lösungen zu finden, um Mandanten den Einsatz moderner Tools zu ermöglichen – sei es durch vertragliche Garantien, Standardvertragsklauseln oder den Aufbau datenschutzfreundlicher Infrastruktur in Europa.
Ein weiterer Herausforderungsbereich ist die rasante Zunahme von KI im Kanzleialltag. Künstliche Intelligenz bietet enorme Chancen, etwa bei der Dokumentenanalyse oder Vertragsentwürfen, stellt aber datenschutzrechtlich und berufsrechtlich ein Minenfeld dar. Wir müssen sicherstellen, dass beim Einsatz von KI keine vertraulichen Mandantendaten unbefugt nach außen gelangen. Das Mandatsgeheimnis und die DSGVO gebieten hier äußerste Vorsicht. Praktisch heißt das: Bevor wir Fallinformationen einem KI-Tool anvertrauen, anonymisieren wir die Daten gründlich. Personenbezogene Details und fallbezogene Namen werden entfernt oder verfremdet, sodass Dritte – und auch der KI-Anbieter selbst – keine Rückschlüsse mehr auf reale Personen oder konkrete Fälle ziehen können. Dieses zusätzliche Arbeitspaket erfordert neue Workflows und technisches Verständnis seitens der Anwälte. Viele Kanzleien entwickeln derzeit Richtlinien und Prüfprozesse für KI-Tools, um DSGVO-Vorgaben und Verschwiegenheitspflichten einzuhalten. Auch müssen bei US-basierten KI-Diensten die Vorgaben für internationale Datenübermittlungen beachtet werden. Kurz gesagt: Technologiekompetenz wird immer mehr zur Voraussetzung in unserem Beruf, um Mandanten sicher durch die Klippen der DSGVO zu lotsen. Rechtsanwälte stehen hier vor der Aufgabe, sich stetig fortzubilden und oft interdisziplinär mit IT-Experten zusammenzuarbeiten, um praktikable, rechtskonforme Lösungen für ihre Mandanten zu finden.

Können Sie aus Ihrer Praxis Beispiele nennen, wie Unternehmen erfolgreich Datenschutzstrategien implementiert haben, um rechtliche Risiken zu minimieren?
In meiner Beratungspraxis sehe ich regelmäßig Unternehmen, die proaktiv Datenschutzmaßnahmen ergreifen und damit nicht nur Risiken reduzieren, sondern oft auch Effizienzgewinne erzielen. Ein Beispiel aus unserer Kanzlei ist die Entwicklung einer eigenen Anonymisierungsmethode für die Nutzung von KI-Tools. Wir haben einen internen Prozess etabliert, der sensible Fallakten schnell und verlässlich anonymisiert, bevor wir sie etwa für eine KI-gestützte Analyse verwenden. Dadurch konnten wir den Zeitaufwand für manuelles Schwärzen deutlich senken – auch wenn der Vorgang noch weiter automatisiert werden soll. Diese Maßnahme gewährleistet, dass wir moderne KI nutzen können, ohne das Mandatsgeheimnis oder die DSGVO zu verletzen. Auch andere Datenschutzstrategien haben sich bei Mandanten bewährt, zum Beispiel:
• Einwilligungen einholen: Unternehmen sorgen dafür, dass beispielsweise der E-Mail-Kontakt zu Kunden oder Mandanten nur mit ausdrücklicher Zustimmung erfolgt. Durch transparente Einwilligungserklärungen und Opt-in-Verfahren wird sichergestellt, dass keine ungewollte Kommunikation oder Datenweitergabe stattfindet.
• Lokale/EU-Datenhaltung: Viele Firmen setzen mittlerweile auf Server innerhalb der EU oder On-Premise-Lösungen, um die Kontrolle über personenbezogene Daten zu behalten. Indem Daten in Rechtsräumen verarbeitet werden, die den EU-Standards entsprechen, vermeiden Unternehmen die komplizierten Hürden internationaler Datentransfers.
• Mitarbeiterschulungen und klare Richtlinien: Erfolgreiche Unternehmen implementieren regelmäßige Datenschutzschulungen und klare interne Policies. Tatsächlich gehen rund 88 % aller Datenschutzvorfälle auf menschliche Fehler zurück – durch Training lässt sich dieses Risiko erheblich senken.
• Privacy by Design und Dokumentation: Schon bei der Entwicklung neuer digitaler Produkte werden Datenschutzexperten einbezogen und alle Schritte dokumentiert. Dieses vorausschauende Vorgehen hat vielen Firmen geholfen, Bußgelder und Reputationsschäden zu vermeiden.

Welche Entwicklungen erwarten Sie in den nächsten fünf Jahren im Bereich Datenschutzrecht, und wie sollten sich Rechtsanwälte darauf vorbereiten?
Ich rechne damit, dass sich das Datenschutzrecht in den kommenden fünf Jahren in mehrfacher Hinsicht weiterentwickeln wird. Ein zentrales Thema wird die Regulierung von Künstlicher Intelligenz sein. Auf EU-Ebene ist im Sommer 2024 die KI-Verordnung verabschiedet worden. Ab 2025/2026 gelten gestaffelt neue Pflichten, teils schon ab Februar 2025. Rechtsanwälte tun gut daran, sich frühzeitig mit dem AI Act vertraut zu machen, um Mandanten rechtssicher beraten zu können.
Parallel dazu wird das Thema Datenübermittlung in Drittländer weiterhin aktuell bleiben. Seit Juli 2023 gilt das EU-U.S. Data Privacy Framework. Ob es langfristig Bestand hat, bleibt abzuwarten. Anwälte müssen flexibel bleiben und internationale Entwicklungen genau verfolgen.
Technologisch werden Privacy-Enhancing Technologies an Bedeutung gewinnen – etwa fortschrittliche Anonymisierungstools oder On-Premise-KI-Lösungen. Diese könnten innerhalb von fünf Jahren deutlich verbreiteter sein und den Beratungsalltag verändern. Insgesamt wird die Materie technischer, weshalb Kenntnisse in IT, Cybersecurity und KI-Funktionsweisen zur Grundvoraussetzung anwaltlicher Beratung werden.

In welchem Ausmaß beeinflussen internationale Datenschutzregelungen, wie der CCPA in Kalifornien, die Arbeit von Rechtsanwälten in Deutschland?
Durch die globale Vernetzung machen Datenschutzgesetze nicht an Landesgrenzen halt – das spüren auch wir in Deutschland. Der CCPA und der CPRA haben zwar primär lokale Anwendungsbereiche, strahlen aber international aus. Deutsche Unternehmen, die in den USA – speziell in Kalifornien – Geschäfte machen oder Daten von kalifornischen Verbrauchern verarbeiten, fallen unter Umständen zusätzlich unter den CCPA. Für Rechtsanwälte heißt das: Wir müssen oft ein zweites Regelwerk mitdenken. Praktisch beraten wir Mandanten dabei, ihre Datenschutzrichtlinien so anzupassen, dass sie gleichzeitig DSGVO und CCPA/CPRA erfüllen.
Auch wenn ein deutscher Mittelständler nicht direkt in den USA aktiv ist, kann internationales Datenschutzrecht indirekt relevant werden – etwa wenn er als Dienstleister für ein US-Unternehmen agiert. Generell beobachten wir, dass viele Mandanten einen global einheitlichen Datenschutzstandard anstreben. Wer bereits DSGVO-Compliance umgesetzt hat, steht gut da, dennoch müssen ergänzende Pflichten geprüft werden.
Letztlich führt die globale Dimension des Datenschutzes dazu, dass der Job für Anwälte komplexer wird. Neben der DSGVO müssen Entwicklungen in den USA, China, Brasilien und anderen Regionen im Blick behalten werden. Der CCPA ist ein Beispiel dafür, wie ein regionales Gesetz weltweit Wirkung entfaltet. Für deutsche Anwälte bedeutet das: Datenschutzberatung wird immer internationaler.

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Cihan Kati

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