Galina Behrens: Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts

Interview mit Galina Behrens
Galina Behrens ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Dr. Fingerle Rechtsanwälte in Leipzig. Mit ihr sprechen wir über Aufenthaltsbestimmungsrecht, gemeinsames Sorgerecht sowie Kindeswille.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ergibt sich aus §1631 BGB und ist Teil des Sorgerechts. Was darf der Elternteil mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht?

Galina Behrens: Das Aufenthaltsbestimmungsrecht, welches gemäß § 1671 BGB auf Antrag beim Familiengericht einem Elternteil – bei Vorliegen der Voraussetzungen – übertragen werden kann, regelt den dauerhaften oder kurzfristigen räumlichen Aufenthalt des Kindes. Hierunter fällt insbesondere die Entscheidung bezüglich des Wohnortes, etwaiger Umzüge, der Urlaubsziele, des Ortes der Schule und der Freizeitaktivitäten.

Im Wesentlichen regelt bei solch einem gerichtlichen Beschluss ein Sachverständigengutachten den Aufenthalt des Kindes. Spielt der Kindeswille überhaupt eine Rolle?

Galina Behrens: Wenn sich die Eltern in Bezug auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes nicht einigen können, dann holt das Gericht ein Sachverständigengutachten ein. Der Gutachter/die Gutachterin prüft, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind übertragen werden sollte. Bei der Prüfung wird neben der Kontinuität des Kindes, der Bindungstoleranz sowie der Erziehungsfähigkeit der Eltern auch der Kinderwille herangezogen. Letzteres wird bei der Entscheidung insbesondere berücksichtigt, sofern der Wille des Kindes nicht beeinflusst, das Wohl des Kindes nicht beeinträchtigt ist und das Kind aufgrund seines Alters und seiner geistigen Reife in der Lage ist, einen Willen zu bilden.

Welche Rolle spielt das Kindeswohl im Gerichtsbeschluss?

Galina Behrens: Gemäß § 1671 Abs. 1 Ziff. 2 kann dem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge oder Teil der elterlichen Sorge nur stattgegeben werden, soweit es dem Kindeswohl entspricht. Das Kindeswohl stellt demnach in dem Verfahren auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts den Mittelpunkt dar. Bei der Frage, ob die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht, sind der Kontinuitätsgrundsatz (Stetigkeit und Wahrung der Entwicklung des Kindes), die Bindung des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister, der Wille des Kindes, die Erziehungsfähigkeit/ die Förderfähigkeit (Betreuungsmöglichkeiten, schulische und private Förderung des Kindes etc.) und die Bindungstoleranz der Eltern (Bereitschaft und Fähigkeit, den Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil aktiv zu unterstützen) zu beachten.

Die Kindeswohlprüfung erfordert eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Hierbei sind alle von den Verfahrensbeteiligten vorgebrachten Gesichtspunkte in tatsächlicher Hinsicht so weit wie möglich aufzuklären und unter Kindeswohlgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen, um eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen.

Landläufig ist die Vorstellung, dass eine Aufenthaltsbestimmung leicht geändert werden kann. Warum ist es aber in der Realität so schwer, wenn es schon einen gerichtlichen Entscheid zur elterlichen Vorsorge gibt?

Galina Behrens: Wenn bereits eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht vorliegt, dann kann nur gemäß § 1696 BGB erfolgreich eine Abänderung herbeigeführt werden, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Hintergrund für die Hürde zur Abänderung ist das Wohl des Kindes. Häufige Änderungen des Aufenthaltsortes sollen insbesondere aus dem Gesichtspunkt der Kontinuität des Kindes (Schule, Freunde, außerschulische Aktivitäten) vermieden werden.

Doch die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist nicht immer unmöglich. In welchen Fällen kann eine Aufenthaltsbestimmung auf den anderen Elternteil übertragen werden?

Galina Behrens: Die Einleitung eines Verfahrens zur Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist dann immer angezeigt, wenn ein Elternteil sich für einen Umzug in eine andere Stadt entscheidet und der andere Elternteil dem Umzug nicht zustimmt. Das Gericht und der Sachverständige haben zu prüfen, ob ein Umzug mit dem Elternteil dem Kindeswohl entspricht. Dem wegziehenden Elternteil wird unserer Erfahrung nach das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind übertragen, wenn es für das Kind die Hauptbezugsperson darstellt, das Kind bei diesem Elternteil auch den bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und die weiteren zu prüfenden Kindeswohlgesichtspunkte der Übertragung nicht entgegenstehen. Bei Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Schulwahl, der Freizeitaktivitäten, der Urlaube im Ausland oder eines Schüleraustauschs im Ausland etc. kann nach, § 1628 BGB die Entscheidungsbefugnis durch das Gericht auf ein Elternteil übertragen werden. Ein Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist in solchen Fällen daher nicht zwingend angezeigt.

Frau Behrens, vielen Dank für das Gespräch!

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