Wird die Anzahl überschuldeter Haushalte und Privatinsolvenzen in naher Zukunft stark steigen?
Daniela Boullie: Ja, davon können wir ausgehen. Das Kurzarbeitergeld und der Verlust des Arbeitsplatzes, wovon nun viele betroffen sind, führen dazu, dass das Einkommen weniger wird oder ganz wegbricht und die laufenden Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlt werden können. Seit dem 01.01.2021 gilt auch eine verkürzte Restschuldbefreiungsphase von nur noch 3 anstatt 6 Jahren, dies wird auch dazu führen, dass der Weg in die Privatinsolvenz für viele leichter erscheinen wird. Von der Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf 3 Jahre profitieren auch Selbstständige, solange sie die Selbstständigkeit als natürliche Person ausüben.
Bei Überschuldung gibt es die Möglichkeit einer Privatinsolvenz, um schuldenfrei zu werden. Wie läuft eine Privatinsolvenz ab?
Daniela Boullie: Natürliche Personen, also sog. Privatpersonen, können wegen Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht stellen. Sind die Formalien der Antragstellung erfüllt, wird ein/e Insolvenzverwalter/in vom Gericht bestellt und mit der Verwertung der vorhandenen Vermögensgegenstände beauftragt. Zu den Vermögensgegenständen gehören zum Beispiel pfändbares Einkommen oder Fahrzeuge, Lebensversicherungen und Bausparverträge. Wird das Insolvenzverfahren z. B. am 01.02.2021 eröffnet, so endet es am 01.02.2024. Die Verbindlichkeiten, die zum Stichtag der Eröffnung bestanden, sind mit Ablauf weg und die natürliche Person schuldenfrei, also von den Restschulden befreit, daher der Begriff Restschuldbefreiung.
Welche Voraussetzungen, Fristen und Regelungen sind bei einer Privatinsolvenz zwingend zu beachten?
Daniela Boullie: Voraussetzung ist zum einen ein außergerichtlicher Schuldenbereinigungsplan, also der vorherige Versuch, sich mit den Gläubigern zu einigen. Erst wenn dieser gescheitert ist, wird über den Insolvenzantrag entschieden. Hierzu benötigt man die Bescheinigung einer sog. geeigneten Stelle oder Person wie z. B. einer zentralen Schuldnerberatung oder eines/r Rechtsanwalts / Rechtsanwältin. Dieser Schuldenbereinigungsplan darf nach den neuen Voraussetzungen ab 01.01.2021 nicht älter als 12 Monate sein. Um allen Anforderungen gerecht zu werden, ist es sicher sinnvoll, sich vorab bei einer Schuldenberatung zu informieren.
Werden auch Schulden beim Finanzamt oder bei Sozialversicherungsträgern nach einer Privatinsolvenz gelöscht? Gibt es Schulden, die nach einer Privatinsolvenz erhalten bleiben?
Daniela Boullie: Grundsätzlich geht das Gesetz davon aus, dass Schulden, die zum Stichtag der Insolvenzeröffnung bestanden, von der Restschuldbefreiung erfasst werden. Ausnahmen hiervon sind in § 302 InsO ausdrücklich geregelt. Nicht von der Restschuldbefreiung erfasst werden solche Verbindlichkeiten, die der Schuldner unredlich oder schuldhaft verursacht hat, wie Schulden aus einer Steuerstraftat oder vorsätzlich unerlaubten Handlung. Bei Sozialversicherungsträgern erlöschen die Verbindlichkeiten aus Arbeitnehmeranteilen nicht.
Ist es ratsam für Betroffene vor der Beantragung einer Privatinsolvenz die Beratung eines spezialisierten Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen?
Daniela Boullie: Als Verbraucher ist man grundsätzlich verpflichtet, ein außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren durchzuführen. Dies wird generell von Schuldnerberatungsstellen oder geeigneten Personen wie Rechtsanwälten durchgeführt, die einen zuvor diesbezüglich beraten sollten. Selbstständige natürliche Personen, die keinen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan durchführen müssen, rate ich an, sich vorab beraten zu lassen. In der Krise sieht man oft den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, ist emotional überfordert und in solchen Situationen ist es wichtig, wenn jemand objektiv die möglichen Wege aus der Krise aufzeigen kann.