Warum digitale Rechtssicherheit zur Führungsfrage wird

Interview mit Melanie Depner LL.M.
Rechtliche Klarheit wird im digitalen Raum zum strategischen Faktor. Rechtsanwältin M. Depner LL.M. von Baier Depner Rechtsanwälte erläutert, wie Unternehmen Risiken vermeiden und Rechtssicherheit systematisch verankern.

Welche technischen Trends beeinflussen aktuell die Rechtssicherheit im digitalen Raum und wie sollten sich Unternehmen darauf vorbereiten?
Aktuell beeinflussen insbesondere fünf technologische Entwicklungen die Rechtssicherheit in erheblichem Maße: Künstliche Intelligenz (insbesondere generative KI), Cloud- und Plattformökonomien, datengetriebene Geschäftsmodelle, Automatisierung von Entscheidungsprozessen sowie Cybersecurity-Bedrohungen.

Diese Technologien verschieben klassische rechtliche Grenzziehungen, etwa im Haftungsrecht, im Datenschutz, bei der Nachvollziehbarkeit automatisierter Entscheidungen oder bei der Frage nach Verantwortlichkeiten in verteilten Systemen. Hinzu kommt ein stark verdichteter europäischer Rechtsrahmen, insbesondere durch DSGVO und die KI-Verordnung.

Unternehmen sollten sich darauf vorbereiten, indem sie Technologie nicht isoliert als IT-Thema, sondern als rechtsrelevanten Geschäftsprozess begreifen. Erforderlich sind frühzeitige Risikoanalysen, rechtliche Begleitung bereits in der Entwicklungsphase sowie ein kontinuierliches Monitoring regulatorischer Entwicklungen.

Wo sehen Sie die häufigsten Fehler oder Risiken, die Unternehmen bei der Umsetzung von digitaler Rechtssicherheit begehen?
Der häufigste Fehler liegt in einer reaktiven statt präventiven Herangehensweise. Rechtssicherheit wird vielfach erst dann thematisiert, wenn bereits ein Vorfall, eine Abmahnung oder ein behördliches Verfahren droht.

Weitere typische Risiken sind die Delegation rechtlicher Verantwortung ausschließlich an die IT, ein unterschätzter Schulungsbedarf der Mitarbeitenden, der Einsatz externer digitaler Tools ohne ausreichende Vertrags- und Datenschutzprüfung sowie eine formale, aber nicht gelebte Compliance-Kultur.

Besonders kritisch ist zudem die Annahme, Standardlösungen oder Zertifikate könnten eine individuelle rechtliche Prüfung ersetzen. Digitale Rechtssicherheit ist stets kontextabhängig.

Wie lässt sich die praktische Umsetzung von Rechtssicherheit im digitalen Alltag eines Unternehmens gewährleisten?
Rechtssicherheit im digitalen Alltag ist kein Zustand, sondern ein laufender Prozess. In der Praxis bewährt sich ein integrierter Governance-Ansatz, der Recht, Technik und Organisation miteinander verbindet.

Konkret bedeutet dies klare Verantwortlichkeiten, verbindliche interne Richtlinien für digitale Prozesse, regelmäßige Audits und Risikoüberprüfungen, nachvollziehbare Dokumentation digitaler Entscheidungen sowie eine enge Verzahnung von Datenschutz, IT-Sicherheit und Vertragsmanagement.

Welche Rolle spielen verschiedene Stakeholder, wie IT-Abteilungen und Rechtsberater, bei der Sicherstellung der Rechtssicherheit in digitalen Prozessen?
Digitale Rechtssicherheit ist eine interdisziplinäre Gemeinschaftsaufgabe. Die IT-Abteilung stellt die technische Umsetzbarkeit und Sicherheit sicher, kann jedoch rechtliche Wertungen nicht allein vornehmen. Rechtsberater müssen die technischen Grundlagen verstehen, um praxisnahe Empfehlungen geben zu können.

Ergänzt wird dieses Zusammenspiel durch das Management und die Fachabteilungen. Erfolgreich sind Unternehmen, die rechtliche, technische und wirtschaftliche Perspektiven systematisch zusammenführen.

In welche Richtung entwickelt sich die Technologie im Hinblick auf die Verbesserung der Rechtssicherheit und welche strukturellen Anpassungen könnten notwendig werden?
Technologisch ist eine zunehmende Entwicklung hin zu Compliance-unterstützenden Systemen zu beobachten, etwa automatisierte Dokumentationslösungen, Audit-Trails, erklärbare KI und Privacy-Enhancing Technologies.

Strukturell wird es notwendig sein, Recht und Technik dauerhaft enger zu verzahnen – durch neue Rollenprofile, interdisziplinäre Teams und eine stärkere Verankerung rechtlicher Kompetenz in digitalen Transformationsprojekten.

Langfristig wird sich Rechtssicherheit im Digitalen nur dort etablieren, wo Unternehmen sie als Wettbewerbsfaktor und Vertrauensgrundlage verstehen – nicht als bloße regulatorische Pflicht.

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