Kai Heinrich: Niedrige Zinsen sollen das „Parken“ von Geld unattraktiv machen

Interview mit Kai Heinrich
Kai Heinrich von Plutos Vermögensverwaltung AG im Interview. Mit ihm sprechen wir über Ursprünge des Niedrigzinsumfeldes, Strafzinsen sowie politischen Widerstand.

Was sind Negativzinsen und warum gibt es sie?

Kai Heinrich: Die Ursprünge des Niedrigzinsumfeldes gehen zurück bis ins Jahr 2007, als die Blase am US-Immobilienmarkt geplatzt ist und sich die weltweite Finanzmarktkrise entwickelte. Kurze Zeit später kam es zu der Eurokrise, in der viele nun hoch verschuldete Staaten Gefahr liefen, unter ihrer hohen Schuldenlast zu ersticken. Die EZB reagierte damals mit einem gewaltigen Anleiheaufkaufprogramm und drastischen Zinssenkungen, um zum einen die Euro-Stabilität zu gewährleisten und zum anderen Rezessions- und Deflationsängsten entgegenzuwirken. Im Sommer 2008 lag der Leitzins in Europa noch bei 4,25 % und wurde bis März 2016 sukzessive auf 0 % gesenkt. Die Krise ist mittlerweile 13 Jahre her, allerdings halten die Zentralbanken der Industriestaaten noch immer an ihrer expansiven Geld- und somit Niedrigzinspolitik fest, sodass sich die Einlagefazilität seit 2014 erstmals im negativen Bereich befindet. Das Ziel der Zentralbanken ist offensichtlich: Niedrige Zinsen sollen das „Parken“ von Geld unattraktiv machen und dazu führen, dass das Geld stattdessen in die Weltwirtschaft fließt. Die außerordentlich niedrigen Zinsen hatten in den letzten Jahren aber zur Folge, dass die klassische Kreditvergabe der Geschäftsbanken kaum mehr rentabel war. Statt sich also mit dem Kreditgeschäft zu beschäftigen, welches für die Bank auch immer ein gewisses Risiko bedeutet, wurde das Geld stattdessen, wenn auch äußerst niedrig verzinst, bei der Zentralbank geparkt – es erschien, in Anbetracht des Chance- und Risikoverhältnisses, schlichtweg bequemer. So kam es letztlich dazu, dass die EZB nicht mehr nur eine Nullzinspolitik betreibt, sondern dazu übergegangen ist, auch Negativzinsen für Einlagen zu verlangen, um so wieder Anreize zur Kreditvergabe bei den Geschäftsbanken zu schaffen. Die Idee der Zentralbank ist auch aufgegangen: Von 2014 bis 2020 ist das Volumen der vergebenen Kredite an private Haushalte in beispielsweise Deutschland von etwa 1,57 Billionen Euro auf über 1,94 Billionen Euro gestiegen, was einem Zuwachs von knapp 24 % entspricht. Vor 2014 stagnierte das vergebene Volumen über viele Jahre hinweg.

Warum berechnen einige Banken ihren Kunden Negativzinsen?

Kai Heinrich: Da die Banken selber Strafzinsen für die Einlage von Geldern bei der Zentralbank zahlen und dadurch unter Kostendruck geraten, werden diese Kosten an die Kund:innen weitergetragen. Damit wollen die Banken verhindern, dass Kund:innen größere Geldbeträge auf ihren Konten „horten“. Die eigenen Kosten der Bank werden also in der Regel schlichtweg umgewälzt.

Die Debatte um „Strafzinsen“ wird intensiv geführt. Wer muss eigentlich Negativzinsen zahlen und warum?

Kai Heinrich: Die Belastung mit Negativzinsen haben meist nur Kund:innen mit hohen Einlagen zu befürchten. Die meisten Banken belasten die Konten ihrer Kund:innen erst ab Einlagen über 100.000,00 EUR mit Negativzinsen. Nichtsdestotrotz gibt es bereits Banken, welche schon ab dem ersten Euro sogenannte „Verwahrentgelte“ von ihren Kund:innen verlangen oder die Grenze mit beispielsweise 25.000,00 EUR ebenfalls deutlich tiefer setzen. Durch solche Mindestvolumina möchten die Banken Anreize setzen, vor allem große Geldbeträge nicht mehr in Form von Sichteinlagen zu verwahren. Selbstverständlich möchten die Banken ihre Kundschaft nicht verlieren und versuchen deshalb möglichst hohe Volumina an Sichteinlagen zu verhindern und gleichzeitig möglichst wenig Kund:innen abzustrafen. Da lediglich einige wenige Kund:innen besonders hohe Geldbeträge auf ihren Konten halten, bleiben die meisten anderen Kund:innen beim Einsatz von Mindestgrenzen wie beispielsweise 100.000,00 EUR von jeglichen Negativzinsbelastungen unberührt. Es darf jedoch keineswegs vergessen werden, dass selbst jene Kund:innen, welche nominell oder faktisch keine Negativzinsbelastungen zu befürchten haben, dennoch negative Realrenditen mit ihren Sichteinlagen erleiden. Grund dafür ist die Inflation, welche dafür sorgt, dass Sparer in der Bundesrepublik schon seit 2003 mit negativen Realzinsen konfrontiert werden.

Gibt es politischen Widerstand gegen einen Negativzins?

Kai Heinrich: Ja, einige Politiker großer Parteien bekunden Widerstand gegen die Praxis, dass Gelder auf Giro- und Tagesgeldkonten mit Negativzinsen belastet werden. Bayerns Ministerpräsident Söder möchte beispielsweise durch eine Bundesinitiative ein Verbot von Negativzinsen für kleinere Einlagen erwirken. Bundesfinanzminister Olaf Scholz möchte zudem prüfen lassen, ob ein Verbot von Negativzinsen auch generell per Gesetz möglich und zulässig wäre. Des Weiteren hat ein ehemaliger Bundesverfassungsrichter vor Kurzem ein Rechtsgutachten erstellt, in welchem kritisiert wird, dass die Negativzinspolitik eine Enteignung der Sparer sei und demnach das im deutschen Grundgesetz verankerte und im Europarecht garantierte Recht auf Privateigentum verletze. Die oberste deutsche Gerichtsebene, der Bundesgerichtshof, hat sich allerdings noch nicht mit dem Thema Negativzinsen beschäftigt. Es darf nicht vergessen werden, dass die Zentralbank, in unserem Fall die EZB, unabhängig von jeglichen Weisungen der Regierungen operiert. Das Ziel der Zentralbank ist es schließlich, primär für Preisstabilität zu sorgen, ohne dabei in ihren geldpolitischen Entscheidungen seitens Regulierungsbeschränkungen oder staatlichen Interventionen eingeschränkt zu werden. In der Vergangenheit geriet die EZB allerdings des Öfteren in die Kritik, beispielsweise durch die Anleihekäufe als Teil ihrer Offenmarktgeschäfte oder eben durch die Niedrig- und Negativzinspolitik der letzten Jahre.

Banken waren in den vergangenen Jahren aktiv, wenn es darum ging neue Entgelte zu erschaffen. Gibt es einen Verbraucherschutz, bzw. wie kann die Einzelperson sich vor Negativzinsen schützen?

Kai Heinrich: Tatsächlich gibt es auch viele Banken, welche faktische Negativzinsen von ihren Kund:innen verlangen. Dabei handelt es sich zwar nicht um eine nominelle Negativverzinsung, jedoch um eine Gebührenerhebung. Der Effekt ist dabei wie bei nominellen Negativzinsen: Die Einlage von Geld auf dem Konto kostet und führt dadurch zu einer negativen Rendite. Sollten sich verhältnismäßig hohe Beträge auf dem eigenen Konto befinden, so gibt es einige Möglichkeiten, das Vermögen vor Negativzinsen zu schützen. Die trivialste Option ist es, dass hohe Beträge auf mehrere Konten bei mehreren Banken verteilt eingelegt werden, um so wieder unter den Mindestgrenzwert der jeweiligen Bank zu kommen. Mitunter gibt es noch einige Banken, welche zwar nur marginal Zinsen gutschreiben, aber zumindest die Einlagen ihrer Kund:innen nicht mit Negativzinsen, seien sie nominell oder faktisch, belasten. Des Weiteren bietet ein solches Zinsumfeld natürlich die Möglichkeit, das eigene Geld am Kapitalmarkt oder anderweitig zu investieren, um nicht nur den negativen Zinsen zu entkommen, sondern langfristig auch von den Kursgewinnen und Dividenden zu profitieren. Zudem bieten Aktien als Sachwerte einen gewissen Schutz vor der Inflation, da Unternehmen bei steigenden Preisen die Preise ihrer Produkte ebenfalls anheben können, was natürlich den Investor:innen zugutekommt. Für risikoaverse Personen bietet sich mitunter eine Investition in beispielsweise Gold an oder ein Mix aus Aktien und Anleihen, um die Volatilität im eigenen Portfolio signifikant zu reduzieren.

Es gibt aber natürlich auch einen Verbraucherschutz. Dieser vertritt schon seit Jahren die klare Meinung, dass Negativzinsen bei Altverträgen nicht rechtens seien. Nach Einführung von Negativzinsen auf den Konten ihrer Kund:innen erntete die Volksbank Reutlingen viel Kritik. Als eine der ersten Banken setzte sie die Weitergabe der Negativzinsen um und wurde wenig später von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg verklagt. Die Klage der Verbraucherzentrale gegen die Volksbank Reutlingen hatte Erfolg, sodass der Preisaushang der Bank entsprechend modifiziert werden musste. Nichtsdestotrotz bleibt das Thema Negativzinsen ein äußerst kontroverses Thema, welches wohl noch in vielen Instanzen diskutiert werden dürfte.

Herr Heinrich, vielen Dank für das Gespräch!

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