Prof. Dr. med. Markus Steffens: Depressionen können ausnahmslos jeden treffen

Interview mit Prof. Dr. med. Markus Steffens
Prof. Dr. med. Markus Steffens ist Chefarzt der Klinik Hohe Mark in Oberursel (Taunus). Mit ihm sprechen wir über Depressionen, Episoden sowie Behandelbarkeit.  

Die Depression ist eine weit verbreitete psychische Krankheit. Als Hauptsymptom wird immer die Melancholie genannt, doch in den meisten Fällen treten bei Betroffenen noch zahlreiche anderen Symptome auf. Was sind die wichtigsten Symptome, die auf eine Depression hinweisen?

Prof. Dr. med. Markus Steffens: Neben der anhaltenden depressiven Stimmung weisen auf Depression hin: Interessen-, Freude-, Antriebsverlust, gesteigerte Ermüdbarkeit, Verlust des Selbstwertgefühles, unangemessene Schuldgefühle, suizidale Gedanken, Konzentrationsstörungen, Ein- und Durchschlafstörungen, Früherwachen, Appetitverlust mit entsprechender Gewichtsveränderung.

Bei Betroffenen ist die Depression häufig nicht immer allgegenwärtig. Warum tritt die Krankheit oft in Episoden auf?

Prof. Dr. med. Markus Steffens: Es gibt unbehandelt ganz unterschiedliche Verläufe: einmalige depressive Episoden, welche nie mehr wiederkehren, aber auch sehr lang andauernde, chronische Depressionen. Die rezidivierende Depression ist eine weitere Verlaufsform. Neben genetischen und sogenannten epigenetischen Faktoren – also belastende Erfahrungen in Kindheit und Jugend – spielen bei der Auslösung einer depressiven Episode chronische Überlastungssituationen – z.B. in Familie oder Arbeit -, und aktuelle Stressoren – wie Verlust einer wichtigen Bezugsperson, Beziehungskrisen, berufliche Gefährdung, andere körperliche Erkrankungen – eine wichtige Rolle.

Psychische Krankheiten sind mit dem Stigma behaftet, dass man diese nicht loswerden kann. Wie wird eine Depression diagnostiziert und behandelt? Ist die Krankheit wirklich unheilbar?

Prof. Dr. med. Markus Steffens: Depression ist eine Erkrankung, welche ausnahmslos jeden treffen kann. Und es gibt häufige öffentliche und Selbststigmatisierungen, z.B. dass Betroffene selbst dran schuld seien, einen schwachen Charakter haben, dass es lediglich ein Lifestyle-Problem sei. Dies sind absolute Fehlannahmen ebenso wie die Unheilbarkeit. Es ist im Gegensatz so, dass Depression richtig gut behandelbar ist. Neben der genauen professionellen Erfassung der Depressionssymptome werden in der Diagnostik andere somatische Ursachen ausgeschlossen. Wichtige Elemente der Behandlung können sein: Psychotherapie, antidepressive Medikation, spezialtherapeutische Behandlungsangebote oder auch neuere biologische Therapieverfahren.

Laut einer Studie werden 20% aller Frauen mindestens einmal an einer depressiven Episode leiden. Warum erkranken weltweit mehr Frauen an Depressionen als Männer?

Prof. Dr. med. Markus Steffens: Dass bei Frauen etwa doppelt so häufig eine Depression diagnostiziert wird, hat vielfältige Ursachen. Es gibt zwar auch hormonelle Unterschiede, welche sich z.B. in erhöhten Risiken hinsichtlich Depression in der Postpartalzeit, in den Wechseljahren oder in bestimmten Zeiten des Menstruationszyklus zeigen. Aber sehr viel stärker spielen bei diesen Zahlen Artefakte eine Rolle, wie: deutlich unterschiedliches Hilfesuche- oder (Therapie-) Inanspruchnahmeverhalten, deutlich unterschiedliche Symptomwahrnehmung und -äußerung. Und es sind geschlechtsunterschiedliche Verteilungen psychosozialer Risikofaktoren festzustellen: sozialer Status, Belastungen aus Familienleben und Hausarbeit, geringere Anerkennung von Familienarbeit, Erwerbsbeteiligung, Brüche in der Erwerbsbiographie, Alleinerziehende.

Die Entstehung der Krankheit ist immer noch wenig erforscht. Oftmals wird die Arbeit genannt, die zu einer Depression führt. Doch wie kommt es zu einer depressiven Phase und welche Auswirkung hat die Arbeit auf die Entstehung einer Depression?

Prof. Dr. med. Markus Steffens: Inzwischen wissen wir doch schon recht viel über die Faktoren, welche eine Depression zum Ausbruch bringen können. Neben oben schon angedeuteten Vulnerabilitätsfaktoren, und anderen aktuellen belastenden Ereignissen sowie längerdauernden Belastungen können auch arbeitsbezogene Stressoren eine Rolle spielen. Grundsätzlich ist zu sagen, dass Arbeit – ganz im Gegenteil – ein echter Resilienz-, Schutzfaktor hinsichtlich Depression sein kann. Gerade im Hinblick auf die Einflüsse der Arbeit auf Absicherung, Lebensqualität, Entwicklung eigener Fähigkeiten, soziale Kontakte, Tagesstrukturierung oder Sinnstiftung. Wenn es allerdings zu chronischen Überlastungssituationen in der Arbeit, anhaltenden massiven Konflikten oder Arbeitsplatzgefährdung kommt, kann das Risiko einer Depression ansteigen. Bei den chronischen arbeitsbezogenen Belastungen können beispielsweise starke innere Antreiber – Menschen mit sehr gewissenhafter, leistungsorientierter Persönlichkeit -, quantitative oder qualitative Über- oder Unterforderung, Bedrohungen durch Adressat*innen der Arbeit, unkontrollierbare betriebliche Veränderungen, Gratifikationskrisen, durch soziale Konflikte geprägtes Arbeitsklima, „Mobbing“ oder Rudelverhalten im Team eine wesentliche Rolle spielen. Solche Belastungsfaktoren sind häufig arbeitsplatzspezifisch.

Vor allem für Arbeitgeber sind träge und unmotivierte Mitarbeiter hinderlich. Wie können diese mit einer Depressionsdiagnose eines Mitarbeiters im eigenen Unternehmen umgehen?

Prof. Dr. med. Markus Steffens: Es ist eine absolute Fehlannahme, dass Menschen mit Depression träge oder unmotiviert sind. Die Forschung zu Persönlichkeitsfaktoren für eine Depression zeigt, dass nicht diejenigen Menschen gefährdet sind, welche „auch mal fünfe gerade sein“ lassen können. Sondern eher Menschen, welche einen gewissenhaften, pflichtbewussten, ordentlichen, genauen, leicht zwanghaften, leistungsorientierten Charakter haben. Hilfreich ist, Betroffenen frühzeitig wertschätzend auf Therapiemöglichkeiten hinzuweisen, eventuell zu unterstützen, dass Behandlung frühzeitig möglich wird. Im Weiteren kann auf den Verlauf einen günstigen Einfluss haben: Geduld mit Betroffenen haben (welche sie häufig nicht mit sich selbst haben), keine Vorwürfe oder Vergleiche, stellvertretende, absolut berechtigte Hoffnung auf Verbesserung vermitteln. Depression kann jeden Menschen treffen, und sie ist gut behandelbar. Menschen, die eine schwere Depression überstanden haben, sind oft sehr wertvolle Mitarbeitende. Sie zeichnen sich häufig aus durch eine tiefe Ernsthaftigkeit aber einen ebenso tiefen Humor, eine sehr geringe Gefahr, sich selbst etwas vorzumachen und eine tiefe Wahrnehmung von Prozessen, welche andere häufig oberflächlich ausblenden.

Herr Prof. Dr. Steffens, vielen Dank für das Gespräch!

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