Marcus Ackermann: Andauernde Unzufriedenheit im Job

Interview mit Marcus Ackermann
Marcus Ackermann ist Inhaber des Anti-burnout-Centers in Darmstadt. Mit ihm sprechen wir über ausgesprochene Unterforderung, Leiden für Arbeitnehmer sowie Phänomen Boreout.

Mit Sicherheit hat jeder schon mal etwas von dem Begriff „Burnout“ gehört. Doch mit dem gegenteiligen Begriff „Boreout“ verhält es sich etwas anders. Was ist ein Boreout überhaupt?

Marcus Ackermann: Nun, wer sich im Arbeitsleben in einem länger andauernden Zustand ausgesprochener Unterforderung befindet und – und das ist wichtig – darunter leidet, erfährt möglicherweise einen sogenannten Boreout (von englisch boredom ‚Langeweile‘). Peter Werder und Philippe Rothlin haben diesen Begriff sozusagen als paralleles Gegenstück zu dem Begriff Burnout (Ausgebrannt-Sein, z.B. aufgrund fortwährend erlebter Überforderung) kreiert, definiert und bereits im Jahr 2007 vorgeschlagen. Seither wird der Begriff Boreout aber eher in den Medien als im wissenschaftlichen Bereich unter dem Aspekt eines Krankheitsbildes verwendet. Dennoch ist das Phänomen Boreout absolut beachtenswert, zum einen wegen des Leids, das dadurch für jeden einzelnen davon betroffenen entstehen kann und zum anderen wegen der wirtschaftlichen und somit gesellschaftlichen Tragweite aufgrund der möglicherweise daraus resultierenden Minderleistung (Stichwort „innere Kündigung“) und etwaiger krankheitsbedingter Fehltage, da dieselben Symptome wie bei einem Burnout bzw. einer Depression die Folge sein können.

Welche Symptome können denn bei von Boreout Betroffenen auftreten?

Marcus Ackermann: Fast immer berichten Betroffene von einer andauernden Unzufriedenheit und einer Art Sinnlosigkeitserleben. Daraus resultiert dann häufig eine Niedergeschlagenheit einhergehend mit einer gewissen (auch emotionalen) Erschöpfung bis hin zu einem Gefühl der Gefühllosigkeit und inneren Leere. Damit verwundert es nicht, dass die Motivation der Betroffenen leidet und daraus sogar eine generelle Antriebslosigkeit resultieren kann. Aber auch körperliche Symptome sind nicht selten. Hierzu gehören Schlafstörungen (teilweise trotz dauerhaft erlebter Müdigkeit), Rücken- oder Magenbeschwerden, Kopfschmerzen, Tinnitus, Schwindelgefühle und eine erhöhte Infektionsanfälligkeit aufgrund eines geschwächten Immunsystems. Bei länger andauernder Arbeitslosigkeit beispielsweise kommen hier – aufgrund der möglichen Annahme nicht gebraucht zu werden bzw. „nutzlos“ zu sein – häufig auch noch Selbstwertproblematiken hinzu.

Betroffene unterschätzen oftmals den Boreout und denken es sei eine harmlose Variante des Burnouts oder einfach nur Langeweile am Arbeitsplatz. Ist ein Boreout wirklich weniger beunruhigend als ein Burnout?

Marcus Ackermann: Keinesfalls, und das liegt vor allem an der insgesamt eher depressiven Symptomatik und der damit einhergehenden Suizidgefahr, wenn die Betroffenen letztlich keinen anderen Ausweg mehr sehen, um das leidvolle Erleben zu verändern. Sie möchten dann nur noch, dass es endlich aufhört. Sterben möchten sie eigentlich nicht. Das zeigt aus meiner Sicht die mögliche Tragweite.

Aber auch wenn es – glücklicherweise – nicht immer so weit kommt, hat doch jeder ein glückliches und erfülltes Leben verdient.

Immer wieder wird berichtet, dass positiver Stress ein Ausweg vom Boreout sein soll. Das hört sich erstmal etwas seltsam an. Was genau kann man unter positiven Stress verstehen und wie könnte dieser den Betroffenen helfen?

Marcus Ackermann: Generell kann man unter positivem Stress, dem sog. Eustress, diejenigen – individuell oft sehr unterschiedlichen – Stressoren verstehen, die jemanden positiv beeinflussen. Im Gegensatz zum negativen Stress, dem sog. Disstress, wirkt sich Eustress auch bei häufigem, langfristigem Auftreten positiv auf die psychische und/oder physische Funktions- bzw. Leistungsfähigkeit eines Individuums aus, ohne ihm zu schaden.

Allerdings entsteht dieser – insbesondere in Angestellten-Verhältnissen – oft nicht einfach so. Vielmehr ist hierfür aus meiner Sicht ein Sinn-Erleben erforderlich, also das Finden einer Antwort auf die Frage „Wofür?“. Wenn es also gelingt, unserem Tun einen höheren erstrebenswerten Sinn und Wert zu verleihen und diesen auch in unserer Arbeit zu sehen, kann hierdurch ein wesentlicher Schritt aus einem möglichen Boreout gegangen werden, da hierdurch das leidvolle Erleben deutlich relativiert werden kann. Was aber nicht heißen soll, dass man sich ab dann alles gefallen lassen muss.

Für Betroffene von Boreout scheint der Berufswechsel der einzige Ausweg. Was können Betroffene, Ihrer Meinung nach noch gegen einen Boreout tun?

Marcus Ackermann: Vor einer möglicherweise kostspieligen und aufwändigen beruflichen Weiterbildung, Neuorientierung oder gar Existenzgründung als Ultima Ratio kann ein Gespräch mit dem Vorgesetzten sinnvoll sein, in dem man die empfundene Situation positiv formuliert und erklärt, dass man der Meinung ist, mehr zu können und dass man sich über neue Aufgaben freuen würde. Eigene Vorschläge und Ideen sollte man hierfür bereits vorbereitet haben und einbringen. Zur Vorbereitung eines solchen Gesprächs oder auch allgemein zur psychischen Entlastung können Gespräche mit engen Vertrauten, Freundinnen und Freunden helfen. Zusätzlich oder falls diese z.B. aufgrund von Schamgefühlen nicht möglich sein sollten, kann man sich auch professionelle Hilfe suchen; aus meiner Sicht kein Zeichen von Schwäche, sondern vielmehr der Selbstachtung und Selbstfürsorge.

Herr Ackermann, vielen Dank für das Gespräch!

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