Abmahnungen – Manchmal ist Nichts tun genau das Richtige!

Interview mit Martin Wolter
Wir sprechen mit Martin Wolter, einem Fachanwalt für Arbeitsrecht, über Abmahnungen. Jeder, der schon einmal eine Abmahnung vom Arbeitgeber erhalten kennt das: Stress, Sorgen, Zukunftsängste, aber auch Ärgernis und Verständnislosigkeit plagen einen. In dieser Situation, vor allem, wenn die Abmahnung ungerechtfertigt erfolgte, möchte man diese nicht einfach auf sich sitzen lassen und würde am liebsten schnellstmöglich dagegen vorgehen. Doch ist dies auch aus rechtlicher Sicht taktisch klug? Martin Wolter erzählt uns, was er einem Arbeitnehmer in solch einer Situation raten würde.

Arbeitsrecht ist ein breites Fachgebiet. Welches sind die typischen Betätigungsfelder für Anwälte?

Das Arbeitsrecht ist in der Tat ein sehr breites Fachgebiet, für das eine eigene Fachanwaltschaft existiert. Der Anwaltsmarkt ist wie folgt aufgeteilt: Es gibt Anwaltskanzleien, die ausschließlich Arbeitnehmer vertreten. Andere Kanzleien vertreten wiederum nur Arbeitgeber. Es gibt aber auch Kanzleien, die sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer vertreten. Dann gibt es natürlich noch die Großkanzleien, hier liegt der Schwerpunkt in der Arbeitgebervertretung. Schließlich existieren arbeitsrechtliche Kanzleien, die überwiegend oder nur im kollektiven Arbeitsrecht tätig sind, diese Kanzleien haben sich der Beratung und Interessenvertretung von Betriebs-/Personalräten verschrieben.

Arbeitsrechtler, die ausschließlich Arbeitnehmer vertreten, werden üblicherweise mit folgenden Fällen konfrontiert: Entfernung Abmahnung, Abwehr Kündigung, Verhandlung Aufhebungsvertrag, Schmerzensgeld wegen Mobbing, Berichtigung Arbeitszeugnis, Geltendmachung Gehalt / Bonuszahlung. Arbeitgeber-Anwälte erstellen Arbeitsverträge und sonstige Vereinbarungen, zum Beispiel Home-Office-Vereinbarungen, Entsendungsvereinbarungen und beraten und vertreten Arbeitgeber, die sich von Arbeitnehmern trennen möchten. Schwerpunkte der in Großkanzleien tätigen Kollegen ist oftmals die arbeitsrechtliche Begleitung von betrieblichen Umstrukturierungen, also die Verhandlung von Interessenausgleichs- und Sozialplanvereinbarungen mit Betriebsräten oder die Durchführung und Begleitung von Betriebsübergängen. 

Ich kann Ihnen auch gerne ein paar Zahlen mitgeben: In den einschlägigen juristischen Datenbanken existieren derzeit mehr als 30.000 Entscheidungen allein des Bundesarbeitsgerichts. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlicht jährlich eine tabellarische Übersicht über die Tätigkeit der Arbeitsgerichte in Deutschland. Die letzte Erhebung betrifft das Jahr 2020. Danach wurden im Jahr 2020 deutschlandweit 332.407, beim Arbeitsgericht Berlin 16.131 Klagen eingereicht. Von den 16.131 Klagen wurden 14.973 Klagen durch Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Betriebsräten und 283 Klagen durch Arbeitgeber eingereicht. 9.003 Klagen waren Kündigungsschutzklagen. Nach meiner Einschätzung gehen die gerichtlichen Fallzahlen stetig zurück, insbesondere die Kündigungsschutzklagen. Arbeitgeber halten sich zunehmend mit Kündigungen, insbesondere betriebsbedingten Kündigungen zurück; ursächlich dürfte der Fachkräftemangel sein.

Rund um das Thema Kündigungen und Abmahnungen kursiert viel Halbwissen. Welche Mythen begegnen Ihnen im Berufsalltag regelmäßig?

Mir begegnen hauptsächlich folgende Irrtümer:

„Ein Arbeitgeber darf nicht während und auch nicht wegen einer Erkrankung des Arbeitnehmers kündigen.“ Das ist falsch! Arbeitgeber dürfen Arbeitnehmer eine Kündigung auch dann zustellen, während der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist.

Arbeitgeber können auch wegen Krankheit unter bestimmten Voraussetzungen wirksam kündigen, nämlich bei sehr lang andauernder Erkrankung, oder aber eine Vielzahl einzelner Kurzzeiterkrankungen, die in mehreren aufeinander folgenden Jahren ein gewisses Mindestmaß übersteigen. Zudem muss eine negative Zukunftsprognose gegeben und der betriebliche Ablauf gestört sein.

„Eine Kündigung kann auch per E-Mail erklärt werden.“ Das ist falsch! Gemäß § 623 BGB ist eine Kündigung schriftlich, d.h. mit Originalunterschrift einer berechtigten Person zu erklären.

Bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber steht dem Arbeitnehmer stets eine Abfindung zu.“ Das ist falsch! Arbeitnehmer haben in der Regel keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung. Ein Anspruch auf eine Abfindung besteht nur in folgenden speziellen Fällen:

•         Abfindungsregelungen in einer Betriebsvereinbarung

•         Abfindungen nach Sozialplan/Interessenausgleich

•         Abfindungen nach § 1a KSchG (betriebsbedingter Kündigung)

•         Abfindungen durch gerichtlichen Vergleich

•         Abfindungen nach Auflösungsurteil gemäß §§ 9, 10 KSchG

•         Abfindungsregelungen in einem Aufhebungsvertrag.

„Wenn ein Arbeitgeber kündigt, muss er die Kündigungsgründe im Kündigungsschreiben benennen.“ Das ist falsch!  Eine Arbeitgeberkündigung erfordert keine Begründung im Kündigungsschreiben; es sei denn es handelt sich um ein Berufsausübungsverhältnis.

„Es ist stets ein Kündigungsgrund erforderlich.“ Das ist falsch! Nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat und wenn der Arbeitsnehmer regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, ist ein Kündigungsgrund im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes erforderlich. Der Grund muss personen-, verhaltens- oder betriebsbedingt sein.

„Erst drei Abmahnungen berechtigen zur Kündigung.“ Das ist falsch! Bei einer verhaltensbedingten Kündigung genügt in der Regel eine einschlägige Abmahnung. Bei schweren Vertragspflichtverletzungen durch den Arbeitnehmer, insbesondere bei Straftaten im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, ist eine Abmahnung vor Kündigung sogar regelmäßig entbehrlich.

„Eine Abmahnung muss schriftlich erfolgen.“ Das ist falsch! Eine Abmahnung kann auch mündlich ausgesprochen werden und damit wirksam sein. Aus Beweisgründen sollte eine Abmahnung jedoch besser schriftlich erfolgen.

Abmahnungen sind ein beliebtes Disziplinierungsmittel von Arbeitgebern. Welche Voraussetzungen müssen für eine wirksame Abmahnung erfüllt sein?

Abmahnungen rücken das Arbeitsverhältnis in die Nähe einer Kündigung; eine Abmahnung ist wirksam, wenn sie wenigstens vom persönlich oder fachlich Vorgesetzten erteilt wurde, wenn sie hinreichend bestimmt formuliert ist, wenn sie eine Aufforderung an den Arbeitnehmer enthält, sein missbilligtes Verhältnis zu ändern und wenn sie einen deutlichen Hinweis auf die Folgen bei Nichtbeachtung der Abmahnung enthält.

Lohnt es sich als Arbeitnehmer, gegen unberechtigte Abmahnungen vorzugehen?

Es kommt darauf an. Wichtig zu wissen ist, dass ein betroffener Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, gegen eine unberechtigte Abmahnung vorzugehen. Wenn ein abgemahnter Arbeitnehmer untätig bleibt und der Arbeitgeber wegen einer gleichgelagerten Pflichtverletzung das Arbeitsverhältnis kündigt, kann der Arbeitnehmer auch erst im Kündigungsschutzprozess die vorherige Abmahnung durch Bestreiten angreifen. Wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis nicht durch eine gerichtliche Klärung der Abmahnung belasten möchte, ist es daher oftmals angezeigt, die Abmahnung nicht anzugreifen und gegebenenfalls lediglich eine Gegendarstellung zur Personalakte zu reichen. Wenn der Arbeitgeber indes mehrere Abmahnungen erklärt, oft geschieht dies kurz hintereinander, empfehle ich, dagegen vorzugehen. Die gerichtlichen Verfahren enden dann häufig mit einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.

Die Kündigung des Arbeitsvertrags landet häufig vor Gericht. Wann ist es möglich auf Wiedereinstellung zu klagen?

Eine Kündigungsschutzklage macht regelmäßig nur dann Sinn, wenn das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. Das ist immer dann der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis wenigstens seit sechs Monaten besteht und der Arbeitgeber mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt.

Üblicherweise endet eine Klage auf Wiedereinstellung mit einer Abfindung. Gibt es eine Faustformel für die Höhe?

Die Kammern beim Arbeitsgericht Berlin schlagen regelmäßig die sogenannte Regelabfindung von einem halben Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr vor. Eine etwaig höhere Abfindung hängt von diversen Umständen ab und ist letztlich Verhandlungssache.

Herr Wolter, vielen Dank für das Interview.

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Martin Wolter

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