Christian Lunow: In der Krise spielen Betriebsräte eine wichtige Rolle

Interview mit Christian Lunow
Wir sprechen mit Rechtsanwalt Christian Lunow, Fachanwalt für Arbeitsrecht von der Kanzlei BGHP - Berger Groß Höhmann Partnerschaft von Rechtsanwält*innen mbB über arbeitsrechtliche Fragen.

Arbeitsrecht ist ein breites Fachgebiet. Welches sind die typischen Betätigungsfelder für Anwälte?

Christian Lunow: Im Arbeitsrecht wird zwischen „Individual-Arbeitsrecht“ und „kollektivem Arbeitsrecht“ unterschieden. Das Individualarbeitsrecht betrifft die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber, das kollektive Arbeitsrecht regelt die Beziehungen zwischen Arbeitgeber/Arbeitgeberverband und der kollektiven Interessensvertretung der Arbeitnehmer*innen (Betriebsrat bzw. Gewerkschaften). Der/die einzelne Arbeitnehmer*in ist nur mittelbar betroffen. Wir vertreten ausschließlich Arbeitnehmer*innen sowie deren kollektive Interessenvertretungen. Im Individualarbeitsrecht gehören Themen wie Kündigungsschutzprozesse, Aufhebungs-/Abwicklungsverträge, Abfindungen, Lohnklagen, Abmahnungen, Zeugnisrecht, befristete und Teilzeitarbeitsverhältnisse zu unserem Tagesgeschäft. Im kollektiven Arbeitsrecht beraten, schulen und vertreten wir Betriebsräte aus allen Branchen und unterstützen bei der Durchsetzung von Arbeitnehmer*innen*rechten im Betrieb. Gerade heute ist ein effektiver Schutz von Arbeitnehmer*innen wichtig. Deshalb ist es entscheidend, dass Betriebsräte Rechte kennen und Handlungsmöglichkeiten nutzen. Insbesondere von der Stärke der Betriebsräte hängt es ab, ob Verschlechterungen und Angriffe abgewehrt und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer verbessert werden können. Arbeitgeber verfügen oft bereits über internen Sachverstand und ziehen Rechtsanwaltsbüros, Beraterunternehmen und sonstige externe Sachverständige heran. Wir sind der Meinung, dass auch Betriebsräte Anspruch auf eine gleichwertige Beratung haben. Wir bieten unseren Sachverstand und unsere Erfahrung als Rechtsanwälte an, um Betriebsräten zu helfen, das bestehende strukturelle Ungleichgewicht abzubauen oder auszugleichen. Arbeitgeber vertreten wir nicht.

Welche speziellen arbeitsrechtlichen Regelungen gelten für kleine und mittelständische

Unternehmen?

Christian Lunow: Die Frage sollte vielleicht besser lauten: welche speziellen arbeitsrechtlichen Regelungen gelten nicht für kleine und mittelständische Unternehmen, denn tatsächlich ist es so, dass viele Gesetze, ihren Anwendungsbereich von der Anzahl der Mitarbeiter*innen abhängig machen und kleinere Betriebe von ihrem Anwendungsbereich ausschließen. So findet z.B. das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) erst Anwendung, wenn der Arbeitgeber regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer*innen beschäftigt. Darüber hinaus besteht eine Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit bei Entlassungen in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmer*innen und mehr als 5 Arbeitnehmer*innen. In Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmer*innen besteht diese Anzeigepflicht bei Entlassungen von mindestens 30 Arbeitnehmer*innen. Die Praxis zeigt, dass diese Vorschriften eine wichtige Rolle spielen, so hat z.B. das Bundesarbeitsgericht (BAG) kürzlich entschieden, dass sämtliche Kündigungen des Cockpit-Personals von Air Berlin unwirksam waren, weil die Anzeige fehlerhaft erfolgt ist (vgl. BAG, Urteil v. 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19). Die Regelung nach § 17 KSchG kann auch für mittelständische Unternehmen greifen. Ebenfalls zum Tragen kommen die Schwellenwerte im kollektiven Arbeitsrecht. Ein Betriebsrat ist nämlich wählbar ab fünf wahlberechtigten Arbeitnehmer*innen. Er besteht bei 5 bis 20 wahlberechtigten Arbeitnehmer*innen aus einer Person, bei 21 bis 50 wahlberechtigten Arbeitnehmer*innen aus drei Mitgliedern, bei 51 wahlberechtigten Arbeitnehmer*innen bis 100 Arbeitnehmer*innen aus fünf Mitgliedern, usw. Die Staffelung geht bis über 9.000 Arbeitnehmer*innen, in denen sich die Zahl der Mitglieder des Betriebsrats für je angefangene weitere 3.000 Arbeitnehmer um zwei Mitglieder erhöht. Unternehmen ab 20 Beschäftigten haben unter Beteiligung des Betriebs- oder Personalrates Sicherheitsbeauftragte unter Berücksichtigung der im Unternehmen für die Beschäftigten bestehenden Unfall- und Gesundheitsgefahren und der Zahl der Beschäftigten zu bestellen. Daneben gibt es zahlreiche weitere Gesetze, die ihren Anwendungsbereich von der Betriebsgröße abhängig machen (u.a. das Bundesdatenschutzgesetz bei der Wahl eines Datenschutzbeauftragten, die Arbeitsstätten-Verordnung bei der Einrichtung eines Pausenraumes, und viele mehr).

Welchen arbeitsrechtlichen Einfluss haben Tarifbindung und Betriebsrat?

Christian Lunow: Tarifbindung und Betriebsräte haben einen immensen Einfluss im Arbeitsrecht. Zunächst zu Tarifverträgen: Diese schließen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen regelmäßig, um die Arbeitsbedingungen einer bestimmten Arbeitnehmergruppe zu regeln – etwa im Einzelhandel oder in der Metallindustrie. Ziel ist für die Beschäftigten natürlich, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Man denke nur an Gehaltstarifverträge, die regelmäßig neu abgeschlossen werden und Entgelterhöhungen vorsehen. Zum Teil können Tarifverträge unter bestimmten Voraussetzungen aber auch von Gesetzen abweichen und spezifischere Vorschriften vorsehen. Dies ist etwa in Arbeitszeitfragen üblich, etwa wenn viel Bereitschaftsdienst geleistet werden muss und die Bereitschaftszeit – die Arbeitszeit darstellt – über den Normalfall hinaus ausgedehnt werden soll. Gewerkschaft und Arbeitgeber können auch direkt Tarifverträge schließen – das nennt sich dann „Haustarifvertrag“. Betriebsräte haben ebenfalls einen enormen Einfluss auf das Arbeitsleben. Zum einen räumt das Betriebsverfassungsgesetz Betriebsräten Mitwirkungsrechte ein, die die Position der Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber stärken: So muss der Arbeitgeber den Betriebsrat umfassend vor jeder Einstellung, Versetzung oder auch Kündigung unterrichten. Der Betriebsrat kann gegen diese Maßnahme Einwände erheben, was z.B. zur Folge hat, dass der Arbeitgeber die geplante Versetzung oder Einstellung vorerst nicht umsetzen darf; er muss sich vorher um eine gerichtliche Klärung kümmern. Einer*m Arbeitnehmer*in kann dies durchaus helfen, wenn sie*er beispielweise den Wunsch hat, ihre*seine Teilzeitarbeit aufzustocken und der Betriebsrat deshalb der Neueinstellung nicht zustimmt. Hervorzuheben ist auch das Recht der Betriebsräte, die Arbeitsbedingungen im Wege der betrieblichen Mitbestimmung gleichberechtigt mit dem Arbeitgeber zu gestalten. So muss sich ein Arbeitgeber, der Gesundheitsschutzmaßnahmen implementieren will oder ein neues Computerprogramm, das die Beschäftigten nutzen sollen, einführen möchte, erst mit dem Betriebsrat seines Unternehmens einigen. Der Betriebsrat kann so gemeinsam mit dem Arbeitgeber betriebliches Recht schaffen, das die Beschäftigten konkret etwa vor Gefährdungen ihrer Gesundheit oder vor Überwachung mit technischen Systemen schützt. Hierzu schließt der Betriebsrat Betriebsvereinbarungen, in den genannten Beispielen etwa Steharbeit begrenzen, eine gesundheitsfördernde Ausstattung von Computerarbeitsplätzen festlegen oder bei einem neuen Personalinformationssystem dessen Nutzung zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle begrenzen. Gerade auch in der Krise spielen Betriebsräte eine wichtige Rolle, da der Arbeitgeber mit ihrer Zustimmung Kurzarbeit einführen kann oder der Betriebsrat bei (Teil-)Schließungen mitbestimmt, ob es Abfindungen gibt, und in welcher Höhe.

Abmahnungen sind ein beliebtes Disziplinierungsmittel von Arbeitgebern. Welche Anforderungen müssen für eine wirksame Abmahnung erfüllt sein?

Christian Lunow: Grundsätzlich muss eine Abmahnung nicht schriftlich erfolgen, sie kann auch mündlich ausgesprochen werden und muss nicht als „Abmahnung“ ausdrücklich bezeichnet sein. Etwas anderes kann sich jedoch ergeben, wenn durch Tarifvertrag oder durch individuelle Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien die Schriftform der Abmahnung vorgesehen ist. Aus der Abmahnung muss inhaltlich eindeutig hervorgehen, dass der*die Arbeitnehmer*in im Wiederholungsfall mit weitergehenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen muss (Warnfunktion). Inhaltlich muss das Fehlverhalten konkret beschrieben werden. Allgemeine Schlagworte, wie Unzuverlässigkeit, mangelnde Arbeitsbereitschaft oder Störung des Betriebsfriedens, reichen nicht aus.

Lohnt es sich gegen ungerechtfertigte Abmahnungen vorzugehen?

Christian Lunow: Ob und welche Vorgehensweise nach dem Erhalt einer Abmahnung zu empfehlen ist, richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall. Zu empfehlen ist häufig die Fertigung einer Gegendarstellung, allerdings nur mit anwaltlichem Beistand. Wir haben es in der Praxis nicht selten erlebt, dass eine fehlerhafte Gegendarstellung zu weiteren arbeitsrechtlichen Problemen für die Betroffenen führen kann, bis hin zur Kündigung. Es ist hierbei also äußerste Vorsicht geboten. Ist eine Gegendarstellung verfasst, besteht ein Anspruch auf Hinzufügung zur Personalakte der*des Betroffenen. Sollte dies nicht ausreichen, besteht bei fehlerhaften Abmahnungen zudem die Möglichkeit, die Entfernung gerichtlich durchzusetzen. Auch dieser Schritt sollte allerdings gut überlegt sein. Eher selten führt ein Klageverfahren zu einem nachhaltigen Erfolg und oft auch zu einer (weiteren) Verschlechterung des Klimas zwischen den Parteien. Bevor ein solcher Schritt gegangen wird, empfehlen wir deswegen dringend die Konsultation eines Rechtsanwalts. Abmahnungen sollen in aller Regel verhaltensbedingte Kündigungen vorbereiten. Spätestens nach Erhalt einer solchen Kündigung sollte eine fehlerhafte Abmahnung gerügt werden.

Kündigungen durch den Arbeitgeber landen häufig vor Gericht. Was sollten Arbeitnehmer beachten, die gegen ihre Kündigung vorgehen wollen?

Christian Lunow: In Kündigungsschutzverfahren gibt es eine Vielzahl an Fallstricken. Besonders wichtig sind hier die kurzen Fristen, welche zu beachten sind. So ist z.B. nach dem Kündigungsschutzgesetz vorgesehen, dass spätestens drei Wochen nach Erhalt einer Kündigung eine Klage (sog. Kündigungsschutzklage) beim Arbeitsgericht eingegangen sein muss. Wird diese Frist verpasst, ist in der Regel nicht mehr viel zu gewinnen. Nach Erhalt einer Kündigung ist ebenfalls die Hinzuziehung eines Anwalts anzuraten, bestenfalls eines Fachanwalts für Arbeitsrecht. Auch wenn es finanziell gerade eher nicht so gut aussieht, ist dieser Weg dringend zu empfehlen. Schließlich steht ggf. die Existenzgrundlage auf dem Spiel. Bei finanziellen Engpässen besteht zudem die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu beantragen. Hierbei unterstützen wir unsere Mandant*innen.

Arbeitsrechtsprozesse enden häufig mit einer Abfindung. Auf welche Höhe dürfen Arbeitnehmer hoffen?

Christian Lunow: Bei der Frage, wie hoch eine Abfindung sein sollte, ist zunächst der Irrtum zu bereinigen, dass grundsätzlich ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung besteht. Dem ist nämlich nicht so. Abfindungen können aber auf unterschiedlichen Rechtswegen vereinbart werden (u.a. in Aufhebungs- und/oder Abwicklungsverträgen sowie in gerichtlichen Vergleichen). Einen Abfindungsanspruch, der rechtlich erzwingbar ist, hat bspw. der*die*jenige Arbeitnehmer*in, der*die in einem Betrieb mit Betriebsrat arbeitet, wenn dieser einen Sozialplan mit dem Arbeitgeber vereinbart hat. Weiterhin kommt es in der Praxis zum Teil vor, dass anspruchsbegründende Regelungen in Tarifverträgen, Einzelarbeitsverträgen oder auch in Geschäftsführeranstellungsverträgen normiert sind. Dies ist allerdings eher die Ausnahme. Ein weiterer Irrtum besteht häufig darin, dass viele von einer verbindlichen Formel ausgehen. Richtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Kündigungsschutzgesetz bei betriebsbedingten Kündigungen eine Formel enthält. Danach beträgt die Abfindungshöhe 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, wenn die*der Beschäftigte keine Klage erhebt. Diese Formel bezieht sich allerdings nur auf diesen Fall und gilt gerade nicht für Fälle, in denen sich Arbeitnehmer gegen mutmaßlich ungerechtfertigte Kündigungen wehren wollen. Arbeitgeber haben die Möglichkeit, ihren Arbeitnehmern bei betriebsbedingten Kündigungen ein gesetzlich näher ausgestaltetes Abfindungsangebot zu machen. Nur für diese Fälle ist die Formel auch entscheidend. Die Höhe der Abfindung ist nach dem jeweiligen Einzelfall zu bemessen. Entscheidend sind stets die Erfolgsaussichten im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses. Am ehesten kann diese wiederum ein Fachanwalt für Arbeitsrecht einschätzen, der zusätzlich mit Verhandlungsgeschick eine höhere Abfindung erreichen kann.

Herr Rechtsanwalt Lunow, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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