Dr. Clara Napoli: Die Reform des Urheberrechts ist sehr umfangreich

Interview mit Dr. Clara Napoli
Dr. Clara Napoli ist Rechtsanwältin in ihrer Kanzlei in Stuttgart. Mit ihr sprechen wir über Urheberrecht, fairen Interessenausgleich sowie den digitalen Unterricht.

Das Bundeskabinett hat vor Kurzem per Gesetzes die Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts beschlossen. Können sie uns in Kürze die Tragweite zusammenfassen?

Dr. Clara Napoli: Die Reform des Urheberrechts ist sehr umfangreich. Damit wurden gleich mehrere drängende Fragen einer Regelung zugeführt. Die Diskussion darüber ist seit 2016 in Gang. Angestoßen wurde sie zum einen durch eine Richtlinie der EU (über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt von 2019 – DSM RiLi), aber auch durch eine Entscheidung in einem Rechtsstreit um nicht ganz zwei Sekunden Musik, der die obersten Gerichte seit bald 25 Jahren beschäftigte (Kraftwerk gegen Pelham GmbH, „Metall auf Metall“). Die Änderungen betreffen: Online oder Upload Plattformen wie YouTube und Facebook etc. sind nun rechtlich verantwortlich für die Inhalte, die von ihren Nutzern hochgeladen werden. Das ist epochal vor dem Hintergrund der Störerhaftung für fremde Inhalte. Danach waren Diensteanbieter, die keine eigenen Inhalte anbieten, für fremde Inhalte nicht verantwortlich. Die Digitalisierung gibt schier unbegrenzte Möglichkeiten zur Schaffung von Content, eigenen Content mit fremdem zu kombinieren, und diesen fast unbegrenzt zu teilen, zu verbreiten, online in den sozialen Netzwerken und auf Plattformen öffentlich zugänglich zu machen. Das hat Phänomene wie Youtuber und Influencer hervorgebracht, die eine Mischung aus Unterhaltung, Werbung und meinungsrelevante Inhalte erstellen und online anbieten. Werbeagenturen und Marketingunternehmen werben längst in sozialen Netzwerken und Plattformen wie YouTube, Facebook, Instagram, TikTok u. a. Aber auch User sind kreativ und nutzen die Plattformen privat und beruflich. Jeder generiert also Content, sodass jeder zugleich User, Verwerter und Urheber sein kann. Es gibt drei Beteiligte: die Plattform, die User und die Urheber. Unklarheiten bei der Lizenz gingen bislang zu Lasten der User, da diese die Erlaubnis zur Nutzung von nach dem Urheberrecht geschütztem Inhalt nachweisen mussten. Umgekehrt hatten Urheber Schwierigkeiten, ihre Rechte zu verteidigen und eine Vergütung für die Nutzung ihrer Bilder, Texte, Filme, Musik zu erhalten. Nur die Plattformen waren privilegiert. YouTube und Co. sind sie schon längst reiche, weltweite Konzerne, die ihre Bedingungen den Usern einseitig diktieren können. Freilich gäbe es an dieser Stelle umfassende Kritik vorzubringen, doch soll das hier vernachlässigt werden. Fakt ist jedoch, dass diese Konzerne nach den bisherigen Regelungen verschont wurden von Auseinandersetzungen und finanziell extrem profitieren konnten. Die Richtlinie der EU hat das Ziel, die Urheber der verwendeten Werke an der erweiterten Nutzung zu beteiligen – und hier auch die beteiligten Plattformen in die Pflicht zu nehmen. Denn diese haben nach bisherigem Recht lediglich ab Kenntnis illegaler Inhalte und damit einer Rechtsverletzung zu handeln und den betroffenen Inhalt sperren mussten. Da sie aber keine eigenen Inhalte verbreitet haben, trugen sie keinerlei Verantwortung für das Geschehen auf ihrer Plattform.

Die Reform nimmt diese Plattformen nun in die Pflicht und stellt klar, dass sie erstens eine Lizenz für die Inhalte abschließen müssen und zweitens, dass sie für die Inhalte haften.

Das Gesetz sieht einen fairen Interessenausgleich vor, von dem Kreative, Rechteverwerter und Nutzer gleichermaßen profitieren sollen. Wird dieses Ziel erreicht?

Dr. Clara Napoli Ich denke ja. Die Plattformen in die Pflicht zu nehmen und deren Privilegierung abzuschaffen ist jedenfalls der richtige Weg. Sie werden nun verpflichtet, eine Lizenz zu erwerben und die Vergütung der von Usern benutzten Inhalte zum Beispiel an eine Verwertungsgesellschaft wie die GEMA zu bezahlen. Davon profitieren die Kreativen, die bei den Verwertungsgesellschaften Mitglied sind für die Nutzungen auf den Plattformen Ausschüttungen bekommen. Laden die Urheber ihre eigenen Inhalte hoch, können sie dieses ebenso monetarisieren. Zugleich werden den Plattformen Regeln auferlegt, in welchen Zeiträumen und Verfahren Auseinandersetzung zu klären sind. Bislang haben die Plattformen lieber zu viel als zu wenig geblockt. Die Personen, die Uploads getätigt haben waren so von der Monetarisierung abgehängt. Das wird es künftig nicht mehr geben.

Gleichzeitig soll die Kommunikations- und Meinungsfreiheit der Nutzerinnen und Nutzer im Internet gewahrt und vor „Overblocking“ geschützt werden. Was ändert sich im Alltag für die User?

Dr. Clara Napoli Als Overblocking wird die Gefahr eines Verhaltens durch die Plattformen bezeichnet, dass diese zur Vermeidung von Auseinandersetzungen durch Uploadfilter den Beitrag eines Users lieber zu schnell als zu spät sperren, um sich nicht angreifbar zu machen. Dass dadurch die Meinungsfreiheit leiden kann, weil softwarebasiert schnell zu viel gesperrt wird, liegt auf der Hand. Uploadfilter in Form von Software können nicht erkennen, ob es sich um ein zulässiges Zitat handelt, um Satire oder um sonst meinungsrelevanten Inhalt des Posts. Diese Gefahr haben die Nutzer und Urheber schon bei Erlass der Richtlinie der EU gesehen und waren sehr aufgewühlt. Die Diskussionen und Petitionen um Art. 13 bzw. Art 17 haben sich viral verbreitet und wurden zum Teil sehr emotional geführt. Der Gesetzgeber hat nun folgende Lösung beschlossen: Um ein Overblocking zu minimieren, sieht das Gesetz zunächst eine sog. mutmaßlich erlaubte Nutzung vor. Dieser Rechtsgedanke ist neu. Liegt eine solche vor, muss der Content oder der Post online gelassen werden und darf nicht automatisiert blockiert werden. Gesetzliche Richtwerte für eine mutmaßlich erlaubte Nutzung sind: der eigene Content besteht zu maximal 50% aus fremdem Content oder aus einer Kombination unterschiedlicher Contents. Herzstück dieser Neuregelung ist, dass geringfügige Nutzungen zulässig sind, wie je 15 Sekunden Musik oder Film, 160 Zeichen eines Textes oder 125 Kilobyte eines Bildes. Freilich ist das nicht nur positiv, sondern zu Recht von betroffenen Urhebern kritisiert worden. Auch sind scheinen Nutzungen, die als geringfügig qualifiziert werden, auch recht willkürlich gewählt. 15 Sekunden eines Musikstücks ist verhältnismäßig viel, wenn man an das Sample von „Metall auf Metall“ denkt, das ein bis zwei Sekunden lang war, dem neuen Musikstück aber durchgehend unterlegt wurde und damit doch sehr gut zu hören und wiederzuerkennen war. Auch gibt es Filmausschnitte, die wegen ihres Kultstatus noch Jahrzehnte später sofort wiedererkannt werden.

Hier hat der Gesetzgeber einen „roten Knopf“ eingeführt und die Urheber können, wenn ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden droht oder die Nutzung offensichtlich illegal ist, eine sofortige Blockierung verlangen. Zur Vermeidung von Missbrauch der mutmaßlich erlaubten Nutzungen steht diese Maßnahme nur vertrauenswürdigen Rechtsinhabern zu. Man darf darauf gespannt sein, wer als vertrauenswürdig und was als missbräuchlich eingeortnet wird.

Selbstverständlich bleiben Nutzungen mit Zustimmung des Urhebers jenes kombinierten Contents erlaubt, sie müssen nur als erlaubte Nutzung gekennzeichnet werden. Schließlich wird durch eine Änderung des Zitatrechts klargestellt, dass Karikaturen, Parodien und Pastiches zulässig sind. Um ein Overblocking zu vermeiden, sind die Plattformen verpflichtet, den betroffenen Content online zu lassen und binnen 7 Tagen an einer Klärung und Entscheidung über die Beschwerde mitzuwirken. Besonders wichtig sind diese Neuerungen, wenn beispielsweise Content zu aktuellen Themen verbreitet werden, z.B. Nachrichten. Der Wert der Nachricht sinkt rasant mit Zeitablauf. Durch die Neuregelung kann der Produzent des Contents trotz Eingang einer Beschwerde den Content weiterverwerten, bis das Beschwerdeverfahren abgeschlossen ist. Für User positiv hervorzuheben ist, dass in Fällen eines Zitats, einer Karikatur oder eines Pastiches die Plattform dem Urheber eine angemessene Vergütung zu bezahlen hat.

Vervielfältigungen von gemeinfreien visuellen Werken wie beispielsweise alte Gemälde genießen zukünftig keinen Leistungsschutz mehr. Ist es bis dato verboten, z.B. Gemälde alter Meister als Fotos in eigenen Posts in Umlauf zu bringen?

Dr. Clara Napoli Gemälde, deren Urheber länger als 70 Jahre tot ist, werden frei von Urheberrechten. Sie sind dann „gemeinfrei“. Dies galt aber nicht von Fotos dieser alten Werke. Bis dato war es nicht verboten, Posts mit Fotos von Gemälden alter Meister in Umlauf zu bringen. Vorausgesetzt das Foto des alten Gemäldes wurde selbst aufgenommen! Suchte man sich für seinen Post aber z.B. aus dem Internet eine gute Aufnahme des alten Gemäldes, so hatte der Fotograf mindesten ein verwandtes Schutzrecht, ein sog. Leistungsschutzrecht an dem von ihm hergestellten Foto des alten Gemäldes. Auseinandersetzungen über Privatnutzungen solcher Fotos sind mir nicht bekannt. Bei einer kommerziellen Nutzung jedoch haben bislang die Fotografen für die Nutzung eine Vergütung verlangen dürfen. Die Höhe der Vergütung hat sich an Art, Dauer und Intensität der Nutzung des Fotos orientiert. Schließlich hat derjenige, der das betreffende Foto verwendet hat, sich dadurch eigene Mühen erspart, so das Argument. Bekannt wurde der Rechtsstreit zwischen einem Fotografen und dem Verfasser eines Wikipedia Artikels über Albrecht Dürer. Der Autor des Wikipedia Artikels wurde von dem Fotografen wegen der Nutzung des Fotos in Anspruch genommen, obwohl er den Artikel unentgeltlich für Wikipedia verfasste. Diese Handhabe wurde nun ersatzlos gestrichen. Fotos oder generell Vervielfältigungen alter Werke wie Gemälde, Skulpturen usw., also Werke, deren Urheber länger als 70 Jahre tot ist, dürfen nun ohne Bezahlung und ohne Lizenz verwendet werden. Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke werden nicht mehr durch verwandte Schutzrechte geschützt, § 68 UrhG.

Die Online-Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen soll auch neu geregelt werden. Bedeutet dies, dass man jetzt Auszüge aus Programmen selbst durch Postings vervielfältigen kann, ohne beispielsweise GeMa-Gebühren zahlen zu müssen?

Dr. Clara Napoli Die Neuregelung für die Online-Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen beinhaltet künftig, dass die entsprechenden Rechte nur noch im Land ihres Sitzes erworben werden müssen, um grenzüberschreitend EU-weit abrufbar zu sein.

Um Lizenzgebiete voneinander nach Ländern abgrenzen zu können, wurde das sog. Geoblocking praktiziert. Der Empfang dieser Programme war demnach nur in dem Land möglich, für den der Empfang dieser Programme lizenziert worden war. Online Angebote im Internet lassen sich aber weltweit abrufen, zumindest für das Gebiet der EU ist der Erwerb von Senderechten nun vereinfacht worden. Nur wenn Radio- und Fernsehprogramme zeitgleich, vollständig und unverändert im Sinne einer Weitersendung genutzt werden, werden sie (erneut) GEMA pflichtig. Wenn in Postings Auszüge aus Programmen vervielfältigt werden, wird zunächst die Frage zu beantworten sein, ob es sich dabei um eine mutmaßlich genehmigte Nutzung handelt, wenn es beispielsweise als Satire oder Zitat verwendet wird und weniger als 50% des Gesamtbeitrags enthalten ist. Für Veröffentlichungen auf YouTube bezahlt ohnehin die Plattform.

Der Gesetzes-Entwurf, so heißt es, enthält Regelungen zu gesetzlichen Nutzungserlaubnissen für das Text und Data Mining, einer Schlüsseltechnologie für maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (§§ 44b, 60d UrhG-E). Darüber hinaus beinhaltet der Entwurf Regelungen für den digitalen und grenzüberschreitenden Unterricht und die Lehre sowie für die Erhaltung des Kulturerbes. Was ändert sich für kleine Content Produzenten?

Dr. Clara Napoli Text und Data Mining soll eine Auswertung großer Datenmengen ermöglichen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und so maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz weiterzuentwickeln. Für die Auswertung müssen die Daten aber zunächst kopiert werden – dafür gibt es nun eine gesetzliche Lizenz. Bisher war diese Lizenz auf die Auswertung für den wissenschaftlichen Bereich beschränkt. Neu ist nun, dass Text und Data Mining auch zu anderen Zwecken gestattet ist. Neu ist weiter, dass keine Vergütungspflicht mehr besteht.

Zum Zwecke des Unterrichts an Schulen und Universitäten dürfen seit 2018 bis zu 15% eines Buches kopiert werden, eine gesetzliche Erlaubnis wurde eingeführt. Neu ist mit der aktuellen Reform ergänzt worden, dass nun auch europaweite und damit grenzüberschreitende Online Angebote einbezogen werden. Zur Erhaltung des Kulturerbes waren Einrichtungen wie Museen und Archive dazu übergegangen, ihr Bestände zur Sicherung zu digitalisieren. Beispielsweise waren im Fall des verheerenden Brandes der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar, bei dem Tausende von unersetzbaren, wertvollen Büchern durch Feuer oder Löschwasser zerstört und beschädigt wurden, unwiederbringlich verloren. In solchen Fällen war die gesetzliche Lizenz bislang auf Kulturerbe Einrichtungen beschränkt, die keine kommerziellen Zwecke verfolgen. Mit der Neufassung gibt es nun auch eine gesetzliche Erlaubnis für solche Einrichtungen des Kulturerbes, die kommerzielle Zwecke verfolgen. Aus Sicht der Archive ist es auch eine nicht zu erfüllende Aufgabe, die kommerzielle von der nicht-kommerziellen Nutzung zu unterscheiden. Als Beispiel werden in der Gesetzesbegründung Archive von Unternehmen genannt. Für kleine Content Produzenten hat das sicherlich zur Folge, dass der Zugang zu den genannten Materialien leichter sein wird und so das reichhaltige Kulturerbe erhalten und immer wieder genutzt werden kann – das dient allen!

Frau Napoli, vielen Dank für das Gespräch!

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