Rebekka De Conno: Tarifvertragliche Regelungen haben Vorrang

Interview mit Rebekka De Conno
Rechtsanwältin Rebekka De Conno ist LL.M. von der WWS-Gruppe. Mit ihr sprechen wir über Kündigungen während der Corona-Zeit, Kündigungsfrist sowie spezielle Rechtsschutzversicherungen.

Kündigungen sind besonders in der Corona-Zeit ein hartes Thema. Was muss der Arbeitgeber dabei beachten oder läuft eine Kündigung immer gleich ab entsprechend § 622 Abs. 3 BGB?

Rebekka De Conno: § 622 Abs. 3 BGB regelt die Kündigung innerhalb der Probezeit und ist daher nur in diesen Fällen einschlägig. Es gibt daher kein Verfahren bei Kündigungen, welches immer gleich nach § 622 Abs. 3 BGB abläuft.

Hat der Arbeitnehmer gleiche Bedingungen wie der Arbeitgeber, wenn dieser kündigen will?

Rebekka De Conno: Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer haben die jeweils einschlägige Kündigungsfrist und das Schriftformerfordernis im Rahmen der Kündigung einzuhalten. Die Kündigungsfristen können sich aber schon unterscheiden. Arbeitnehmer können mit einer Frist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende des Kalendermonats kündigen. Diese Frist kann durch den Arbeitsvertrag nicht verkürzt, aber verlängert werden. Die Kündigungsfrist, die der Arbeitgeber einhalten muss, hängt auch von der Dauer der Beschäftigung des Arbeitnehmers ab.

Auch die Anforderungen an die Arbeitsvertragsparteien, wenn es um die Frage der Rechtmäßigkeit der Kündigung geht, divergieren erheblich. Bei einer ordentlichen Kündigung durch den Arbeitnehmer bedarf die Kündigung grundsätzlich auch dann keiner Rechtfertigung, wenn der Arbeitgeber gegen die Kündigung vorgeht.

Der Arbeitgeber hat hingegen diverse Vorschriften zu beachten. Insbesondere dann, wenn das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. Den Arbeitgeber trifft dann die Beweislast, dass die Kündigung rechtmäßig ist. Zudem müssen unter Umständen diverse Stellen durch den Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung involviert werden. Es bedarf zum Beispiel der Zustimmung des Integrationsamtes vor Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 beziehungsweise einer entsprechenden Gleichstellung. Ebenso ist die zuständige Mutterschutzbehörde zu involvieren bei der Kündigung von schwangeren Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern in der Elternzeit. Bei Massenentlassungsanzeigen ist die Agentur für Arbeit zu informieren. Wenn ein Betriebsrat vorhanden ist, sind vorherige Anhörungen etc. durchzuführen.

Im Wesentlichen kann gesagt werden, dass während der Arbeitnehmer in der Regel nur die Vorschriften hinsichtlich der Form und Frist der Kündigung zu beachten hat, eine wirksame Kündigung für den Arbeitgeber oft sehr schwierig darstellbar ist und mit vielen Stolperfallen einhergeht.

Inwieweit unterscheidet sich eine tarifvertragliche Kündigung von der eines normalen Arbeitnehmers?

Rebekka De Conno: Der Tarifvertrag kann andere Kündigungsfristen, als die, die gesetzlich in § 622 BGB geregelt sind, enthalten.

Insofern ist der Vorrang von tarifvertraglichen Regelungen zu beachten. Wenn auf das Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag Anwendung findet, werden die darin geregelten Kündigungsfristen als vorrangig angesehen. Tarifvertragliche Kündigungsfristen fallen oftmals kürzer aus als die gesetzlich geltenden Kündigungsfristen. Die gesetzlichen Kündigungsfristen stehen nach der ausdrücklichen Anordnung in § 622 Abs. 4 BGB zur Disposition der Tarifvertragsparteien. Es kann also sein, dass obwohl die gesetzliche Kündigungsfrist länger und damit günstiger für den gekündigten Arbeitnehmer wäre, gleichwohl nur die kurze tarifvertragliche Kündigungsfrist maßgeblich ist.

Zudem kann ein Tarifvertrag Kündigungsbeschränkungen vorsehen. Teilweise enthalten Tarifverträge Kündigungsbeschränkungen für Mitarbeiter, die ein gewisses Alter erreicht haben und bereits länger im Betrieb beschäftigt sind. Dann kann unter Umständen nur noch eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommen, wenn der Tarifvertrag die ordentliche Kündigung solcher Mitarbeiter verbietet.

Wie sinnvoll kann eine Kündigungszurückweisung für einen Arbeitnehmer sein? Kann er sich gegen Kündigungen wehren?

Rebekka De Conno: Wie sinnvoll beziehungsweise erfolgsversprechend eine Kündigung ist, hängt vom Einzelfall ab. Entscheidend ist insofern, ob das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung findet. Dies ist nur der Fall, wenn eine Wartezeit von sechs Monaten erfüllt wurde, mithin das Arbeitsverhältnis mehr als sechs Monate zum Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung bestanden hat und in der Regel mehr als zehn (Vollzeit-)Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt sind. Auszubildende zählen nicht mit. Außerdem gibt es Bestandsschutzregelungen für Arbeitnehmer, die bereits vor der Änderung des Schwellenwertes zum 1. Januar 2004 im Unternehmen beschäftigt waren. Für die Berechnung, ob mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmer im Betrieb beschäftigt sind, werden Teilzeitkräfte umgerechnet. Teilzeitkräfte, mit einer wöchentlichen Stundenzahl von bis zu 20 Stunden zählen mit dem Faktor 0,5 und solche, mit einer wöchentlichen Stundenzahl von bis zu 30 Stunden mit dem Faktor 0,75. Findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung ist eine Kündigung nur aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen zulässig. Die Anforderungen, die an den Arbeitgeber bei der Darstellung des Kündigungsgrundes beziehungsweise der Rechtmäßigkeit der Kündigung gestellt werden, sind sehr hoch, so dass bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes grundsätzlich die Erfolgschancen viel höher sind als in den Fällen, in denen das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet.

Gegen eine Kündigung kann immer Kündigungsschutzklage erhoben werden. Dabei ist eine dreiwöchige Ausschlussfrist zwingend zu beachten. Gemäß § 4 KSchG muss eine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben worden sein, sonst gilt die Kündigung als wirksam nach §§ 3, 6 KSchG. Das heißt, es muss zwingend diese Ausschlussfrist beachtet werden. Kündigungsschutzklage kann unabhängig davon erhoben werden, ob das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, mithin auch in Kleinbetrieben. Die Erfolgsaussichten von Kündigungsschutzklagen in Kleinbetrieben sind oftmals geringer als in Betrieben, die dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen. Letztlich kommt es aber auch hierbei auf den konkreten Fall an.

Gibt es spezielle Rechtsschutzversicherungen, die Arbeitnehmer/innen vertreten im Falle einer Kündigung?

Rebekka De Conno: Es gibt Rechtsschutzversicherungen, die die Kosten eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens abdecken. Dies ist vor allem deshalb interessant, weil im arbeitsgerichtlichen Verfahren erster Instanz jede Partei die Kosten ihrer Rechtsanwälte selbst zu tragen hat, auch im Falle eines Obsiegens mit der Klage. Dies ist eine Besonderheit im arbeitsgerichtlichen Verfahren und unterscheidet sich damit von zivilgerichtlichen Verfahren, bei denen die Partei, die verliert, auch die Kosten des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei zu tragen hat.

Ist die Kündigung an Fristen gebunden und in welcher Form muss gekündigt werden?

Rebekka De Conno: Bei einer Kündigung ist die Kündigungsfrist einzuhalten. Dies gilt sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer. Die Kündigungsfrist kann sich aus Vertrag (auch Tarifvertrag s.o.) oder dem Gesetz ergeben. Grundsätzlich beträgt die gesetzliche Kündigungsfrist vier Wochen zum 15. eines Monats oder zum Monatsende (§ 622 Abs. 1 BGB). Dies ist die Grundkündigungsfrist nach Ablauf der Probezeit. Bei längerer Betriebszugehörigkeit gelten für den Arbeitgeber die verlängerten Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB. Diese verlängerten Kündigungsfristen gelten nicht per Gesetz auch automatisch für den Arbeitnehmer. Für die Kündigung durch den Arbeitnehmer bleibt es somit zunächst bei der Grundkündigungsfrist von vier Wochen zum 15. oder zum Monatsende, wenn nicht auch mit dem Arbeitnehmer vertraglich oder durch die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages geregelt wurde, dass jede Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist, die für den Arbeitgeber gilt, auch für den Arbeitnehmer gelten soll (sogenannte Gleichbehandlungsabrede).

Zu beachten ist ferner, dass das sogenannte Günstigkeitsprinzip greift, das heißt, im Verhältnis zwischen arbeitsvertraglicher und gesetzlicher Kündigungsfrist ist die längere Frist jeweils maßgeblich. Wenn zum Beispiel die gesetzliche Frist aufgrund der Betriebszugehörigkeit irgendwann länger ist als die ursprünglich im Arbeitsvertrag vorgesehene, dann ist die gesetzliche Frist einzuhalten, weil unterstellt wird, dass eine längere Kündigungsfrist grundsätzlich günstiger für den zu kündigenden Arbeitnehmer ist.

Kündigungen müssen zwingend schriftlich erfolgen. Es gilt das strenge Schriftformerfordernis des § 126 BGB. Dadurch ist eine Kündigung per E-Mail, WhatsApp, Fax etc. nicht ausreichend. Die Kündigung muss eigenhändig unterschrieben worden sein und im Original zugestellt werden. An dieses strenge Schriftformerfordernis müssen sich beide Parteien halten, also auch der Arbeitnehmer.

Gibt es während Corona einen besonderen Kündigungsschutz für Arbeitnehmer/innen?

Rebekka De Conno: Der besondere Umstand der Covid-19-Pandemie bietet per se keinen besonderen Kündigungsschutz.

Selbst, wenn aufgrund von Corona Kurzarbeit eingeführt wurde, bedeutet dies nicht, dass betriebsbedingte Kündigungen dadurch insgesamt ausgeschlossen sind. Dass Kündigungen aus personen- und/oder verhaltensbedingten Gründen weiterhin möglich bleiben, dürfte selbstverständlich sein. Aber selbst betriebsbedingte Kündigungen sind nach Einführung von Kurzarbeit nicht zwingend ausgeschlossen. Das Instrument der Kurzarbeit soll einen vorübergehenden Arbeitsausfall abfangen. Daher ist der Arbeitgeber grundsätzlich auch gehalten, bei einem vorübergehenden erheblichen Arbeitsausfall zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen nach dem Ultima-Ratio-Grundsatz des § 1 II KSchG zunächst Kurzarbeit einzuführen, sofern auch die betrieblichen und persönlichen Gründe vorliegen. De facto sind im Rahmen der Pandemie auch sehr viele Arbeitskräfte erhalten geblieben, weil Kurzarbeit als Mittel durch die Arbeitgeber umfassend genutzt wurde.

Wird in Kurzarbeit gearbeitet, spricht dies indiziell gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf. Dies ist aber Voraussetzung für eine betriebsbedingte Kündigung. Möchte der Arbeitgeber nunmehr betriebsbedingte Kündigungen aussprechen, muss er dieses Indiz durch konkreten Sachvortrag entkräften. Entscheidend ist somit, ob der Beschäftigungsbedarf für den konkreten Mitarbeiter nur vorübergehend oder dauerhaft entfällt. Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer aufgrund später eingetretener weiterer Umstände oder veränderter wirtschaftlicher und/oder organisatorischer Rahmenbedingungen auf Dauer, so kann trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung bestehen (BAG 29.8.2013 – 2 AZR 721/12; 23.2.2012 – 2 AZR 548/10, NZA 2012, 852 Rn. 21; 26.6.1997 – 2 AZR 494/96).

Wenn beispielsweise zunächst ein Produktionsauftrag pandemiebedingt nur ruht und diese Zeit durch Kurzarbeit aufgefangen wurde, kann gleichwohl im Anschluss ein betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliegen, wenn der Auftrag – etwa wegen Insolvenz des Auftraggebers – dauerhaft wegfällt.

Teilweise wurde im Rahmen der Einführung von Kurzarbeit mit dem Betriebsrat auch verhandelt, dass während der Kurzarbeit oder für eine gewisse Zeit nach Ende der Kurzarbeit noch Kündigungssperren greifen sollen, mithin Zeiträume, in denen nicht betriebsbedingt gekündigt werden soll. Solche Abreden sind natürlich auch zu beachten. Ebenso sind Rationalisierungsbeschränkungen im Zusammenhang mit der Kurzarbeit, die eventuell in Tarifverträgen enthalten sind, zu beachten.

Frau De Conno, vielen Dank für das Gespräch!

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