Unterhaltspflicht: Fürsorge besser als Nachsorge

Interview mit Vera Templer
Wir sprechen heute mit Vera Templer, Fachanwältin für Familienrecht und Mitinhaberin der Rechtsanwaltskanzlei Templer & Partner in München über das schon immer als recht heikel angesehene Thema „Unterhalt“. Wer wann wie viel zahlen muss, welche Rechte und Pflichten für den betreuenden Elternteil gelten und weitere interessante Fragen rund um das Thema werden mithilfe ihrer jahrelangen Erfahrung und Expertise für uns geklärt. 

Betreut der Ex-Partner oder die Ex-Partnerin nach der Trennung das gemeinsame Kind, steht der nicht betreuende Elternteil in der Verpflichtung, dem Kind Kindesunterhalt zu zahlen. Wie muss der betreuende Elternteil seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind erfüllen?

Der betreuende Elternteil erfüllt seine Unterhaltspflicht, in dem er die Lebenshaltungskosten für das Kind bezahlt und gegebenenfalls dem Kind, je nach Alter, Taschengeld gibt. 

Die Lebenshaltungskosten beinhalten insbesondere Wohnung und Nebenkosten einschließlich Fernsehen, Computer und Telefon, Nahrungsmittel, Pflege- und Haushaltsbedarf, Kleidung, Kosten für Hobbies (auch Sport), Kino und- Restaurantbesuche etc. sowie Urlaube.

Das Elternteil, das nicht die betreuende Funktion einnimmt, ist barunterhaltspflichtig. Wie genau wird die Höhe des Unterhalts berechnet?

Die Berechnung des Barunterhaltes ist nicht ganz einfach: 

Zunächst wird aus allen sieben Einkommensarten:

– aus Arbeitstätigkeit, 

– selbstständiger oder freiberuflicher Tätigkeit, 

– Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, 

– Kapitaleinkünfte, 

– Renteneinkünfte

– Einkünfte aus Landwirtschaft

– etc.

das sogenannte Nettoeinkommen ermittelt, also das Einkommen nach Abzug von 

– Kranken-, Renten- und anderen Sozialversicherungsbeiträgen sowie

– Einkommenssteuern und Solidaritätsbeiträgen. 

Dem Einkommen werden aber unter Umständen noch geldwerte Vorteile, wie z.B. Kostenersparnis aufgrund eines Firmen-PKW wie z.B. oder andere Vergünstigungen durch die Firma (auch bei Selbstständigen) hinzugerechnet; gegebenenfalls wird auch ein Wohnvorteil angerechnet, wenn der Barunterhaltspflichtige z.B. mietfrei in der eigenen Immobilie lebt. 

Anschließend werden unterhaltsrechtlich relevante Abzüge vorgenommen, wie 

– berechtigte Darlehensraten, 

– Lebensversicherungsbeiträge, 

– Zusatz-Krankenversicherung, oder 

– private Rentenversicherungen bis zu einem bestimmten % vom Brutto-Einkommen,

– etc. 

Die Oberlandesgerichte haben insoweit Leitlinien zusammengestellt, die die genauen einkommens- und abzugsrelevanten Positionen beinhalten. 

Aus dem eigentlichen Einkommen wird das sog. „bereinigte“ unterhaltsrechtlich relevante Einkommen ermittelt.

Grundsätzlich wird hiernach Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle geschuldet.

Bei besonders günstigen Einkommensverhältnissen kann aber auch der „konkrete Unterhaltsbedarf“ des Kindes geltend gemacht werden. 

Insoweit muss das Kind bzw. der betreuende Elternteil dann exakt und nachvollziehbar auflisten, welche konkreten Bedarfspositionen das Kind hat (Wohn- und Nebenkosten, Nahrungsmittel, Kleidung, Reisen, teure Sportarten (wie Golf oder Polo) etc.), Restaurant, Hobbies, etc.) In Ausnahmefällen kann ein Kindesunterhaltsanspruch also auch weit über dem höchsten Tabellenbetrag liegen. In unserer Kanzlei haben wir schon einen Beschluss über Kindesunterhalt von monatlich 3.900 € erwirken können. Plus Internatskosten und Auslandssemester.

Ein höheres Einkommen des betreuenden Elternteils wirkt sich normalerweise nicht auf die Barunterhaltspflicht des anderen Elternteils aus. Können Sie uns die Ausnahmen nennen, die die Rechtsprechung macht?

Das Einkommen des betreuenden Elternteils wirkt sich grundsätzlich auf den Mehr- oder Sonderbedarf eines Kindes aus. Das heißt, beide Eltern müssen quotal nach ihren Einkünften Mehrbedarf (monatliche Mehrkosten, wie Krankenversicherung, Schulkosten, Kindergartenkosten, Sportkosten, etc.) sowie Sonderbedarf (Schulausflüge, einmalige Anschaffungen, Zahnspange, etc.) teilen. Es kann also vorkommen, dass ein Elternteil barunterhaltspflichtig ist, der andere Elternteil mit dem höheren Einkommen aber die höhere Quote an Mehr- und Sonderbedarf zu bezahlen hat.

Grundsätzlich gilt die Faustregel, dass der nicht betreuende Elternteil Unterhalt bezahlen muss. Die Grenze ist: Der betreuende Elternteil verdient etwa doppelt so viel wie der barunterhaltspflichte Elternteil. Dann kann das Gericht im Einzelfall auch eine andere Regelung der Zahlungspflichten treffen.

Im Ausnahmefall kann sich die Barunterhaltspflicht also ganz oder teilweise auf den betreuenden Elternteil verlagern. Wann geht der Bundesgerichtshof von einem finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Elternteilen aus?

Der BGH geht davon aus, dass der nicht betreuende Elternteil keinen Kindesunterhalt schuldet, also der kinderbetreuende Elternteil barunterhaltspflichtig ist, wenn die Elternteile ein „starkes wirtschaftliches Ungleichgewicht“ in den Einkünften oder im Vermögen haben. 

Bei einer erheblichen Einkommensdifferenz müssen die örtlichen Familiengerichte eine sogenannte Billigkeitsabwägung vornehmen. Im Regelfall würde man davon ausgehen können, dass der betreuende Elternteil barunterhaltspflichtig wird, wenn er etwa das dreifache unterhaltsrechtlich relevante Einkommen hat, als der nicht betreuende Elternteil. 

In Ausnahmefällen kann es aber auch schon bei geringeren Einkommensdifferenzen zu einem wirtschaftlichen Ungleichgewicht kommen. Dies gilt erst recht für sehr vermögende, betreuende Elternteile. 

Anhaltspunkt dürfte regelmäßig die Frage sein, ob der betreuende Elternteil überhaupt auf den Unterhalt angewiesen ist. Dies immer in Relation zu den Einkünften des nicht betreuenden Elternteils, z.B. auch bezüglich der Frage, ob dieser dann erhebliche Einsparungen bei seiner Lebensführung hinnehmen müsste. 

Da der BGH auch im Familienrecht immer nur Einzelfälle entscheidet, gibt es keine klare Vorgabe seitens des BGHs, ab wann eine Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteiles konkret entfällt. Die örtlichen Familiengerichte können dies immer im Einzelfall analysieren. Normalerweise hat ein Otto-Normal-Verbraucher aber ein „Bauchgefühl“, dass wirtschaftliche Verhältnisse vorliegen könnten, die eine Unterhaltspflicht als „nicht gerecht“ empfinden lassen. In derartigen Fällen lohnt es sich, einen Anwalt zu konsultieren.

Was muss beachtet werden, wenn man das nicht betreuende Elternteil dazu auffordern möchte, sich am Kindesunterhalt zu beteiligen?

Der unterhaltspflichtige Elternteil muss zur Zahlung des Kindesunterhaltes „aufgefordert“ werden. Hierbei reicht aber schon die Aufforderung Auskunft zu erteilen, um die Kindesunterhaltsansprüche zu berechnen zu können. Eine derartige Aufforderung sollte nachweisbar (eine E-Mail kann im Spam landen…) sein. 

Der Kindesunterhalt wird erst ab dem Zeitpunkt geschuldet, ab dem der nicht betreuende Elternteil zur Zahlung aufgefordert wurde. 

Rückständiger Unterhalt kann demzufolge auch nur ab dem Monat gefordert werden, ab dem der nicht betreuende Elternteil Kenntnis von seiner Unterhaltspflicht (also von der Aufforderung) Kenntnis hatte. 

Daher empfehlen wir unseren Mandanten immer schon in dem Monat der Trennung eine entsprechende Aufforderung machen zu lassen. Andernfalls kann der Unterhaltsschuldner sich darauf berufen, dass er – noch – keinen Kindesunterhalt bezahlen muss. Für die Vergangenheit kann viel Geld „verloren“ gehen.

Frau Templer, vielen Dank für das Interview.

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Vera Templer

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