Philipp Wichert: Einsatz von Primärrohstoffen reduzieren

Interview mit Philipp Wichert
Philipp Wichert ist Senior Consultant bei TIM CONSULTING in Stuttgart. Mit ihm sprechen wir über lineare Wirtschaft, Ressourcenschonung sowie Integration im eigenen Unternehmen.

Das Konzept der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) gilt als Wirtschaftsmodell der Zukunft. Können Sie uns dieses Modell genauer erklären?

Philipp Wichert: In der Circular Economy werden Materialien am Ende ihres Lebenszyklus nicht entsorgt, sondern wieder dem Herstellungsprozess zugeführt. Ziel ist es, den Einsatz von Primärrohstoffen und die damit verbundenen Emissionen so weit wie möglich zu reduzieren. Gleichzeitig werden dadurch Abfälle weitestgehend minimiert. Neben der Verwendung von Recyclingmaterialien können auch die Verlängerung des Lebenszyklus durch Reparaturfähigkeit und Wartungsangebote, effiziente Distributionswege oder der Einsatz erneuerbarer Energien in der Produktion Aspekte einer Circular Economy sein.

Immer wieder bekommt man zu hören, dass die lineare Wirtschaft ausgedient hat. Wie schätzen Sie das ein?

Philipp Wichert: Die Reduktion von Abfällen und Umweltbelastungen ist natürlich mehr als wünschenswert. Allerdings gibt es noch einige Hürden, die für eine größere Verbreitung der Circular Economy zu nehmen sind. Z.B. eignen sich bestimmte Materialien nur begrenzt zum Recycling, insbesondere Multimaterialkomposite. Globale Lieferketten und Märkte erschweren zudem die Rückführung ausgedienter Materialien an die Produktionsstandorte.

Das Wirtschaftsmodell Circular Economy wird immer als nachhaltig betitelt. Auf welche Weise fördert die Circular Economy die Ressourcenschonung und wie erhöht sie die Wertschöpfung?

Philipp Wichert: Die Wiederaufbereitung von Materialien am Ende ihres Lebenszyklus minimiert die Notwendigkeit für Rohstoffgewinnung und ist zudem ein neuer Wertschöpfungsschritt. Hierbei stellt sich die Frage, ob der Wertschöpfungszuwachs der Wiederaufbereitung den Wegfall der Rohstoffgewinnung überkompensiert. In einer Circular Economy werden weniger Primärrohstoffe eingesetzt, allerdings muss auch genau geprüft werden, ob es auch tatsächlich emissionsärmer oder umweltschonender ist als die lineare Alternative, das ist leider nicht trivial. Ein einfaches Beispiel zur Verdeutlichung: eine Studie, die im Journal of Food Science and Technology veröffentlicht wurde, besagt, dass Gurken, die mit Plastikfolie eingeschweißt sind, so viel länger halten als unverpackte Gurken, dass die negativen Effekte der Plastikfolie auf die Ökobilanz negiert werden. Circular Economy ist also aus sich selbst heraus leider nicht zwangsläufig ressourcenschonender. Mussten bei der Entwicklung von Produkten und Geschäftsmodellen bisher z.B. die Produktionskosten und die Erfüllung von Kundenbedürfnissen stets im Auge behalten werden, muss bei der Entwicklung eines Circular Economy Ansatzes zusätzlich der ökologische Mehrwert beachtet werden.

Die Liste von den Einsatzmöglichkeiten des Modells ist lang. Wie können Unternehmen die Circular Economy im eigenen Unternehmen integrieren?

Philipp Wichert: Insbesondere produzierende Unternehmen können sich jederzeit z.B. über Lieferantenauswahl, Abfallvermeidung und Einsatz erneuerbarer Energien dem Thema nähern. Kleine Schritte sind in jedem Fall hilfreich, auch wenn nicht sofort die 100% Lösung zur Wiederaufbereitung angestrebt wird. Mit stärkeren Einflussmöglichkeiten auf die Wertschöpfungskette wächst auch der Spielraum für Circular Economy Ansätze. Zudem können über Open Innovation Kooperationsprojekte gemeinsam mit starken Partnern ganzheitliche Lösungen entwickelt werden. Wir merken seit längerer Zeit bei unseren Kunden ein wachsendes Interesse an Nachhaltigkeits- und Circular Economy Themen in den Innovationprojekten. Daher entwickeln wir Methoden um diese Projekte bestmöglich zu unterstützen und beobachten aktuelle Forschungs- und Technologietrends.

Know-How, Fördermöglichkeiten und Praxisanwendung unterstützen die Umsetzung von zirkulären Wirtschaften in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Welche Chancen bietet das vor allem für KMU und wie können diese von dem Wirtschaftsmodell profitieren?

Philipp Wichert: KMU zeichnen sich durch Anpassungsfähigkeit, Reaktionsschnelle und Entscheidungsstärke aus. Alles gute Voraussetzungen, um innovative Lösungen voranzutreiben. Die Produktion ist häufig direkt vor Ort, was die Beschäftigung mit Circular Economy Ansätzen vereinfacht.

Viele denken, dass Nachhaltigkeit immer an einen hohen Preis geknüpft ist. Wie wird die Circular Economy finanziert und ist das Stigma, dass Nachhaltigkeit hohe Kosten mit sich bringt, wirklich wahr?

Philipp Wichert: Dass Nachhaltigkeit medial und politisch sehr stark mit Verzicht, Einschränkungen und zusätzlichen Kosten konnotiert wird, ist sehr hinderlich für Innovationen. Ökonomischer und ökologischer Nutzen müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Wenn Unternehmen Nachhaltigkeit und Circular Economy weniger als Zwang verstehen und z.B. mit Steuern gleichsetzen, sondern eher als Chance sehen, um aktuelle Trends zu bedienen, können echte Win-Win-Lösungen entstehen. Unternehmen können Prozesse durch Circular Economy Ansätze effizienter machen oder Geschäftsmodelle mit neuartigen Wertversprechen entwickeln. Allerdings scheint es so, dass trotz einiger positiver Beispiele Wertschätzung und Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Lösungen in der Breite noch Ausbaupotential haben. Damit laufen Geschäftsmodelle, die darauf bauen im Moment noch ins Leere. Im Zuge der Nachhaltigkeitsdiskussion wird in Deutschland und Europa oft über Verbote und zusätzliche Steuern gesprochen, um Unternehmen hier dazu zu bringen nachhaltiger zu produzieren, was in einer globalisierten Welt leider nicht immer die gewünschten Effekte erzielt. Eine mögliche daraus resultierende Deindustrialisierung würde dazu führen, dass die Klimaziele zwar lokal erreicht werden, allerdings würden Waren und Güter weiterhin hergestellt, nur woanders. Die HS Pforzheim schreibt, dass die Herstellung eines Kilogramms Primäraluminium in Europa 7kg CO2 emittiert, in China dreimal so viel. Somit wäre es für das Weltklima mittelfristig deutlich vorteilhafter, wenn wir hier die Ansiedlung von mehr produzierender Industrie befördern, würden damit aber unsere eigenen Klimaziele verfehlen, ein Dilemma. Die Wiederaufbereitung von Sekundärrohstoffen und Weiterverarbeitung brauchen auch in der Circular Economy Energie und Ressourcen. Allerdings sind die perspektivisch erzielbaren Mehrwerte für die Wertschöpfung und die Umweltbilanz deutlich höher als bei konventionellen linearen Methoden. Über gezielte Forschungs- und Förderprogramme könnte darauf hingewirkt werden, diese Mehrwerte zu heben, das Klima zu schützen und den Wirtschaftsstandort Europa zu stärken.

Herr Wichert, vielen Dank für das Gespräch!

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