Susanne Volz: Wir nehmen diese Knappheit im Alltag noch nicht wirklich wahr

Interview mit Susanne Volz
Susanne Volz ist externe Circular Economy Expertin der brands & values GmbH in Bremen. Mit ihr sprechen wir über Bedeutung der Kreislaufwirtschaft, Recycling sowie Umsetzung von zirkulären Wirtschaften.

Das Konzept der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) gilt als Wirtschaftsmodell der Zukunft. Können Sie uns dieses Modell genauer erklären?

Susanne Volz: Zunächst muss man sagen, dass die Bedeutung des Wortes ‚Kreislaufwirtschaft‘ in der deutschen Sprache bereits durch ein anderes Konzept besetzt ist: Kreislaufwirtschaft bezeichnet das optimale Management von Produkten und Ressourcen an deren Nutzungsende – es ist also das Management von Output aus einem bereits fehlerhaften System. Das ist nicht das, was Circular Economy bedeutet. Circular Economy zielt darauf ab, Ressourcen möglichst lange und werterhaltend innerhalb des Wirtschaftssystems zu zirkulieren und statt sie möglichst schnell und wertvernichtend durch das Wirtschaftssystem hindurchzuschleusen. Daher verwenden wir den Begriff ‚Circular Economy‘ in der Regel unübersetzt, um keine Missverständnisse bei der Bedeutung aufkommen zu lassen. Statt nur das Nutzungsende bestmöglich zu managen, werden Produkte in der Circular Economy gleich zu Beginn so gestaltet, dass besagter langfristige Werterhalt für Produkte ermöglicht wird. Die Idee dahinter ist, die Erfüllung unserer Bedürfnisse vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln. Das ist dringend notwendig, um aktuellen Herausforderungen wie dem Biodiversitätsverlust, dem Klimawandel sowie der zunehmenden Knappheit von Ressourcen und Rohstoffen zu begegnen. Das System ‚Circular Economy‘ soll ‘restorative by Design’ sein, also so gestaltet, dass es widerstandsfähig, flexibel und selbst-regenerierend ist. Im weiteren Wortsinn bezieht das nicht nur Ressourcenflüsse und Ökosysteme mit ein, sondern auch Wirtschafts- und Sozialsysteme. Das bedeutet zum Beispiel faire wirtschaftliche Bedingungen für alle Beteiligten statt Vorteile zu Lasten der Schwachen. Um das zu ermöglichen, muss die Architektur der Wertschöpfung umgebaut werden. Beispielweise müssen wir bereits bei der Herstellung darüber nachdenken, wie gut die eingesetzten Materialien später recycelt werden können. Ebenso müssen wir überlegen, wie das Produkt oder seine Bestandteile so lange und so intensiv wie möglich genutzt werden können, z.B. durch Konzepte wie Langlebigkeit, Re-Use, Aufbereitung (Re-manufacturing) oder Teilen (Sharing). Das muss allerdings nicht nur technisch möglich sein, sondern sich natürlich auch ökonomisch lohnen. Im heutigen System ist es für einen Hersteller wenig sinnvoll auf die Rezyklierbarkeit des Materials zu achten. Außer erhebliche Mehrkosten hat er davon nichts. Warum sollte er diese also in Kauf nehmen, damit irgendein anderer in der Wertschöpfungskette – z.B. der Recycler – später einen höheren Preis für qualitativ besseres Sekundärmaterial erzielen kann? In der Wertschöpfungsarchitektur einer Circular Economy soll es stattdessen für alle Beteiligten ökonomisch attraktiv sein, den gesamten Lebenszyklus eines Produktes zu berücksichtigen und zu optimieren. Das bedeutet, wir müssen – um im Beispiel zu bleiben – dafür sorgen, dass der Hersteller ein Interesse an bestmöglicher und werterhaltender Aufbereitung seines Produktes hat. Wir erleben, dass Unternehmen Angst vor diesen Veränderungen haben. Das ist verständlich. Sie sehen die Anforderungen, sie sehen den Aufwand und sehen die Mehrkosten. Was sie aber nicht sehen ist, wo der Markt herkommen soll, in dem sie das alles wieder verdienen sollen. Das erzeugt eine große Unsicherheit. Wenn man sich jedoch die Beispiele und Geschäftsmodelle anschaut, die schon auf dem Markt sind, kann man sehr zuversichtlich sein. Während es vor einigen Jahren noch kaum erfolgreiche Beispiele gab, werden es in den letzten Jahren mehr und mehr. Aus allen Bereichen, ob KMU, Startups oder Konzerne – die Lösungen funktionieren. Gleichzeitig verbessern sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zunehmend. Weltweit und über nahezu alle Branchen hinweg gewinnt daher das Konzept der Circular Economy zunehmend an Momentum. Was Unternehmen unserer Meinung nach im Moment verunsichert ist die Menge und Unübersichtlichkeit an Veränderungen, denen sie sich gegenübersehen. Unsere Erfahrung zeigt: Sobald Unternehmen sich in diesen neuen Kontext einordnen können, sich auf das positive wirtschaftliche Umfeld verlassen können, ihre Rolle verstehen und das Potential ihrer Geschäftsoptionen sehen, können sie sich mit Gelassenheit und Bereitschaft auf die Veränderungen einlassen.

Immer wieder bekommt man zu hören, dass die lineare Wirtschaft ausgedient hat. Wie schätzen Sie das ein?

Susanne Volz: Ja, das sehen wir ebenfalls so. Betrachtet man die Fakten, stehen wir in nahezu jedem ökologischen Bereich mit dem Rücken an der Wand. Der Klimawandel schreitet voran und bedroht unsere Lebensgrundlage. Der Biodiversitätsverlust ist mittelfristig eine noch größere Bedrohung. Verschiedene Ressourcen werden knapp oder der An- oder Abbau findet unter zunehmend kritischen Bedingungen statt. Immer mehr Ökosysteme sind angegriffen und stellen ihre Dienstleistungen bereits ein. Wir Verbraucher in Deutschland und in vielen anderen westlichen Ländern nehmen diese Knappheit im Alltag noch nicht wirklich wahr. Zum einen, weil wir die meisten der Ressourcen importieren – auch indirekt, zum Beispiel Wasser und Landfläche, die zum Anbau benötigt werden – zum anderen, weil wir insbesondere in Deutschland in einer klimatischen Komfortzone liegen. Wir nehmen den Anstieg von aktuell bereits ca. 1,2 °C bei weitem noch nicht so einschneidend wahr wie beispielsweise Inselstaaten oder Ländern in klimatischen Grenzregionen, und können die Auswirkungen daher noch leicht ignorieren. Abgesehen von diesen faktischen ökologischen Risiken – die man vielleicht noch ignorieren oder wegdiskutieren könnte – macht sich dieser ökologische Druck zunehmend durch entsprechende Marktmechanismen bemerkbar. Das bedeutet: wir stehen auch wirtschaftlich mit dem Rücken an derselben Wand: wir sehen steigende oder stark schwankende Preise für bestimmte Rohstoffe und Kostensteigerungen durch steigende physische Risiken wie Ernteausfälle oder transformatorische Risiken wie Regulierungen. Hinzu kommen Unsicherheiten an den Absatzmärkten, da Konsumenten immer besser informiert sind und mehr Nachhaltigkeit fordern sowie nicht zuletzt finanzielle Risiken wie der schwierigere Zugang zu Investorengeld oder steigende Kreditkosten für die üblichen – inzwischen risikobehafteten – Geschäftspraktiken. Das ist nur eine kurze Aufzählung aus der langen Liste der so genannten ‚linear risks‘ – Risiken, die für Unternehmen durch das aktuelle lineare Wirtschaften entstehen. Auch wenn die Ausführung hier nur sehr kurz ist, kann man sehen, dass die Linear Economy nahezu zwangsläufig ein Auslaufmodell ist und die Circular Economy ihr natürlicher Nachfolger. Das ist im Prinzip Grund für Optimismus. Doch wir haben ein großes Problem. Jeder in der Nachhaltigkeitsbranche weiß: Winning slowly is the same as loosing. Langsam Gewinnen ist das gleiche wie Verlieren. Der Markt reagiert also zwar korrekt auf die Verknappung von Ressourcen, aber er reagiert viel zu spät und viel zu langsam. Warum? Das System Linear Economy erlaubt es, dass Unternehmen interne Kosten externalisieren können, also nicht die (finanzielle) Verantwortung für durch sie verursachten Schäden übernehmen. Dadurch wird nicht-nachhaltiges Wirtschaften nur sehr langsam durch den Markt korrigiert. Da wir unter enormem Zeitdruck stehen ist hier unter anderem das Eingreifen der Politik und innovativer Finanzmechanismen notwendig, um diesen eigentlich organischen Prozess zu beschleunigen. Wir brauchen starke gestalterische Leitplanken, die die aktuell fehlenden Marktmechanismen ersetzen und mittelfristig implementieren. Dazu gehören zum Beispiel die Bepreisung von CO2, minimale globale Produktstandards oder Instrumente wie Plastic Credits. Die Europäische Union hat unter anderem mit dem European Green Deal und der Taxonomy für nachhaltiges Wirtschaften die Weichen gestellt, unsere Wirtschaft mittelfristig zu einer ‚Circular Economy‘ umzubauen. Andere Länder bzw. Kontinente tun das gleiche. Unternehmen begegnen den Anzeichen dafür bereits in ihrem Alltag, zum Beispiel durch Berichtspflichten, Effizienzgebote, Recyclingquoten und Anforderungen an Lieferketten. Besonders einschneidend werden Regulierungen zur Extended Producer Responsibility (EPR) werden, die Hersteller verpflichtet, über die Nutzungsphase hinaus Verantwortung für die von ihnen erzeugten Produkte zu übernehmen. Auch Finanzströme werden verstärkt aus der Linear Economy abgezogen und in die Circular Economy umgelenkt. All das dient dazu, dass Unternehmen – wie es der Kerngedanke der Circular Economy vorsieht – die Wertschöpfung und damit unser Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch und damit gleichzeitig auch von der Erzeugung von Treibhausgasemissionen entkoppeln. Diese Entkopplung hat jedoch noch ein anderes Ziel: eine auf dem Weltmarkt wettbewerbs- und widerstandsfähige europäische Wirtschaft zu gestalten. Angesichts globaler Abhängigkeiten von der Versorgung mit elementaren Ressourcen, zum Beispiel in der Energieversorgung oder für die Bauwirtschaft, wird dieses Ziel nicht minder konsequent verfolgt wie der Klimaschutz. Aktuelle Entwicklungen zeigen einmal mehr, wie dringend nötig ein gewisses Maß an europäischer und nationaler Autarkie sein muss. Die Circular Economy beinhaltet Strategien, die es uns ermöglichen, emissionsarm und ressourcenschonend zu wirtschaften und unsere Wirtschaft so unabhängig wie möglich zu machen. Angesichts der ökologischen Faktenlage sowie der globalen (finanz)politischen und regulatorischen Maßnahmen können wir davon ausgehen, dass global die Weichen in ein neues Wirtschaftssystem gestellt sind und die Linear Economy in der Tat ausgedient hat. Wie genau sich die Circular Economy im Einzelnen ausgestalten wird, bleibt noch abzuwarten und ist abhängig von unserem Gestaltungswillen. Unabhängig davon, wohin diese Reise geht, ist es für Unternehmen jetzt wichtig zu analysieren, auf welchen linearen Geschäftsmodellen ihr aktueller Erfolg basiert und inwieweit das für sie zum Risiko werden kann oder wird. Auch hier zeigt unsere Erfahrung, dass Unkenntnis über die Risiken gefährlicher ist als die Tatsache der vorhandenen linearen Geschäftsmodelle selbst.

Das Wirtschaftsmodell Circular Economy wird immer als nachhaltig betitelt. Auf welche Weise fördert die Circular Economy die Ressourcenschonung und wie erhöht sie die Wertschöpfung?

Susanne Volz: Die aktuelle Linear Economy basiert auf dem Prinzip des ‚take-make-use-dispose‘. Wir entnehmen Ressourcen, verarbeiten, nutzen und entsorgen sie. Auf jedem Schritt dieses Weges verschwenden und zerstören wir Ressourcen und damit auch ihren wirtschaftlichen Wert. Die Circular Economy sucht gezielt nach diesen Verschwendungen und vermeidet sie. Der Begriff Circular Economy scheint selbsterklärend zu sein. Daher wird oft angenommen, Ressourcen im Kreislauf zu führen sei es, was dieses Wirtschaftsmodell nachhaltig macht. Das ist jedoch nicht ganz richtig. Wir können sagen, dass nachhaltige Ressourcensysteme häufig Kreisläufe sind. Der Umkehrschluss gilt allerdings nicht: Kreisläufe sind nicht automatisch nachhaltige Ressourcensysteme. Beispielsweise gibt es zunehmend Mietsysteme für Kleidung. Für Baby- und Umstandskleidung kann das ein sehr sinnvolles und ressourcenschonendes Geschäftsmodell sein. Für Businesskleidung und Alltagsfashion wiederum kann – muss nicht – ein solches Modell die Geschwindigkeit des Ressourcendurchlaufs sogar noch erhöhen und die sogenannte Fast-Fashion auf ein noch schädlicheres Level heben. Wie kann man nun beurteilen, ob ein Geschäftsmodell sinnvoll ist? Die Circular Economy hat den Anspruch, durch ihr Design regenerativ und ressourcenschonend zu sein. Die Grundlagen dafür sind, den gesamten Lebenszyklus von Produkten zu berücksichtigen sowie das Umfeld, in dem das Produkt genutzt wird. Dafür ist eine systemische Sichtweise nötig. Wir wissen zum Beispiel, dass rund 80% der Umweltlasten eines Produktes bereits in der Gestaltungsphase festgelegt werden. Deswegen liegt hierauf das besondere Augenmerk und wir stellen die Frage: was können wir tun, damit das Produkt entlang seines gesamten Lebensweges einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck hat, und dass der Wert des Produktes, seiner Bestandteile und seiner Materialien zu jeder Zeit so lange wie möglich auf dem höchstmöglichen Level gehalten werden kann. Die Antwort auf diese Frage kann sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob wir über eine Verpackung, ein Feuerwehrauto oder eine Kartoffel sprechen. Wir schauen uns alle diese Systeme individuell an und finden heraus, wo (Ressourcen)Verschwendung stattfindet. Danach überlegen wir, wie wir eine ähnliche Leistung erbringen können, ohne Ressourcen und ökonomische Werte zu verschwenden. Manchmal ist die Antwort einfach. Sie ist dann einfach, wenn Ressourcenwert und ökonomischer Wert kongruent und im besten Falle hoch sind und wenn die Kontrolle über beides bei demselben Akteur liegt oder übernommen wird. Ein Beispiel: in einem MRT (das hier stellvertretend für Investitionsgüter stehen mag) steckt sowohl ein erheblicher Materialwert sowie erhebliche Herstellungskosten. Wird das MRT entsorgt, geht beides verloren. Nimmt ein Unternehmen sein MRT jedoch zurück und bereitet es auf, werden Materialwert und Herstellungskosten eingespart während gleichzeitig der Marktwert für aufbereitete Gerät die Aufbereitungskosten weit übersteigt. Der Gedanke ist naheliegend und wir kennen ihn von Kfz – dennoch ist er noch längst nicht so verbreitet wie man meinen könnte. Darüber hinaus basiert dieses Beispiel auf einem sehr einfachen Modell, dabei gibt es viele analoge Fälle, auf die es angewendet werden kann. Bei vielen KMU schlummert hier erhebliches ungenutztes Potential. Während wir für die Linear Economy ein bekanntes Set an Archetypen von Geschäftsmodellen haben, die mit Abwandlungen die Bandbreite aller möglichen Konstellationen abbilden, sind diese für die Circular Economy noch im Entstehen begriffen. Es gibt noch wenige Lösungen, die man einfach aus der Schublade ziehen kann – auch wenn diese Konzepte immer stabiler werden. Stattdessen ist es für Unternehmen wichtig neue Managementmethoden zu lernen, beispielsweise, wie sie belastbare Entscheidungen in komplexen und dynamischen Systemen treffen können. Natürlich ist es wichtig, Unternehmen Beispiele zeigen zu können und bei der Entwicklung von Circular Solutions zu helfen. Dennoch denken wir, dass es für Unternehmen richtig und wichtig ist, kompetent zu werden im Umgang mit diesem neuen Denken und ‚Emerging Techniques‘, statt sich nur auf Best Practices zu verlassen, die von außen an sie herangetragen werden.

Know-How, Fördermöglichkeiten und Praxisanwendung unterstützen die Umsetzung von zirkulären Wirtschaften in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Welche Chancen bietet das vor allem für KMU und wie können diese von dem Wirtschaftsmodell profitieren?

Susanne Volz: Lineare Geschäftsmodelle unterliegen oft dem Prinzip ‚sell more, sell faster‘. Verkaufe mehr und verkaufe schneller. In der Circular Economy dagegen predigen wir langlebige Produkte und ‚Konsumverzicht‘. Unternehmen haben daher zu Recht die Frage, womit sie in Zukunft Geld verdienen sollen. Die Liste der Einsatzmöglichkeiten der ‚Circular Business Models‘ ist lang und Circular Economy ist ein vielversprechender Ansatz, um gleichzeitig Win-Win-Situationen für Umwelt und Unternehmen zu schaffen. Das kann jedoch nicht mit dem bisherigen Business-as-Usual umgesetzt werden. Die Strategien der Wertschöpfung in der Circular Economy fordern Veränderungen in Herstellungsprozessen, Produktdesign, Geschäftsmodellen und dem Verhalten der Stakeholder (unter anderem der Kunden) entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Gleichzeitig basieren Lösungen in der Circular Economy aus extrem vernetzten Ressourcenflüssen und Wertschöpfungssystemen. Das macht die Circular Economy ökonomisch zu einem wesentlich komplexeren System als die Linear Economy. Daher können Ansätze für die Innovation von zirkulären Lösungen nur erfolgreich sein, wenn wir von Beginn an die gesamte Wertschöpfungskette, andere Stakeholder und den wirtschaftlichen Kontext berücksichtigen. Dann jedoch lassen sich große Schätze heben, die dem ‚sell more, sell faster‘-Prinzip problemlos das Wasser reichen können. Neue Märkte: Wie oben beschrieben erhalten wir mit Strategien der Circular Economy innerhalb der Wertschöpfungskette Werte, die andernfalls zerstört oder nicht erkannt würden. Dadurch entstehen veränderte und neue Märkte, die erhebliche Chancen für KMU bieten, zum Beispiel im Re-Use Bereich oder bei Produkt Service Systems. Darüber hinaus schafft eine Anpassung an die Circular Economy eine gewisse Zukunftssicherheit, denn lineare Geschäftsmodelle werden früher oder später ausgedient haben. Intensivere Geschäftsbeziehungen: Bei linearen Geschäftsmodellen ist es heutzutage manchmal erschreckend zu sehen, welche Möglichkeiten der Wertschöpfung nicht genutzt werden; einfach nur deshalb, weil Kundenbedürfnisse nicht erkannt und daher nicht bedient werden. Circular Business Models gehen häufig mit engeren Beziehungen zu Kunden und Lieferanten einher. Denken wir zum Beispiel an Leihmode oder Chemical Leasing Konzepte. Beides ermöglicht es, die Bedürfnisse der Stakeholder entlang der Wertschöpfungskette besser zu verstehen und damit gezielter und wertschöpfender bedienen zu können. Zusammenarbeit: Intuitiv möchten Unternehmen ihr Geschäftsmodell vor neugierigen Blicken der Wettbewerber schützen. Und selbstverständlich soll niemand seine Geheimnisse preisgeben. Allerdings basiert die Wertschöpfung und Resilienz in einer Circular Economy zu großen Teilen auf starken Allianzen mit Geschäftspartnern. Das kostet zunächst Überwindung, doch das Vertrauen wird belohnt. Denn in einem komplexen System wie der Circular Economy stärken starke Partnerschaften die individuelle Stellung jedes einzelnen. Gleichzeitig bieten diese Strukturen Optionen für weitere neue Geschäftsmodelle. Beispielsweise sehen wir Lösungen, bei denen Papier aus Gras oder aus Agrarabfällen hergestellt werden. Alle Beteiligten können sich bei einem solchen Zusammenschluss in eine wesentlich bessere Ausgangsposition bringen, stützen und schützen sich gegenseitig und nutzen Werte, die vorher nicht genutzt wurden. Das klare Gegenteil eines Nullsummenspiels. Die Circular Economy bietet insbesondere für KMU erhebliche Geschäftsoptionen – allerdings müssen sie bereit sein, sich ein Stück weit neu zu erfinden. Gar nicht so sehr in ihrer Kernkompetenz, jedoch im so genannten ‚Mindset‘. Ein Einlassen auf die Zukunft und ein Grundoptimismus sind notwendig. Denn wir müssen auch bedenken, dass die Circular Economy noch im Entstehen begriffen ist und sich Rahmenbedingungen wie Regulierungen, Kundenansprüche, Lieferketten und die Aufstellung der Branche insgesamt in den nächsten Jahren sehr dynamisch ändern werden. Anders als bisher ist es daher selten möglich Lösungen zu entwickeln, die für die nächsten Jahre ‚einfach funktionieren‘. Zwar gibt es zunehmend ‚off-the-shelf‘ solutions, allerdings noch nicht in dem Umfang, wie KMU sich das wohl aktuell wünschen würden. Deshalb ist es nötig, in die Lösung selbst eine Flexibilität einzubauen, die laufende Anpassungen an diese Dynamik der Entwicklung erlaubt. Was zunächst als Hürde und zusätzlicher Aufwand erscheint, hat allerdings auch entscheidende Vorteile: zum Beispiel können Erfolgsfaktoren besser angesteuert und nachjustiert werden, während weniger erfolgreiche Entscheidungen sofort korrigiert werden können. Außerdem können Kunden wesentlich intensiver in den Prozess eingebunden werden, was für die Kommunikation, die Kundenbindung und die Erhöhung des Umsatzes pro Kunde genutzt werden kann.

Die Transformation ist im vollen Gange und Unternehmen müssen sich heute folgende Fragen stellen:

1.         Wie sieht mein Markt in einer CO2-neutralen Wirtschaft aus?

2.         Wie kann mein Produkt oder Geschäftsmodell aussehen, um in einem solchen Markt erfolgreich zu sein?

3.         Was muss ich jetzt tun, um ein solches Produkt oder Geschäftsmodell zu entwickeln?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass insbesondere in KMU großes Potential für eine solche Transformation schlummert. Zwar herrscht im Moment teilweise eine große Unsicherheit bei Unternehmen darüber, was genau die nächsten Schritte sind und welche Circular Strategies erfolgreich sein können, CO2-neutral zu werden. Viele Unternehmen wünschen sich im Moment Rat von außen. Wir allerdings haben sehr viel Vertrauen in die Kreativität der Unternehmen – vielleicht mehr als diese aktuell in sich selbst. Denn wir sehen welche Lösungen Unternehmen entwickeln können, wenn sie nur die Rahmenbedingungen und die neuen ‚Spielregeln‘ verstehen. Natürlich beraten wir, analysieren, machen Vorschläge, zeigen den Weg und bieten Optionen an. Das ist unser Job. Doch viel mehr helfen wir Unternehmen zu verstehen, wie dieser neue Markt funktioniert und bieten Informationen, Wissen und Methoden an, unabhängige und tragfähige Entscheidungen zu erarbeiten und innovative Lösungen zu entwickeln.

Viele denken, dass Nachhaltigkeit immer an einen hohen Preis geknüpft ist. Wie wird die Circular Economy finanziert und ist das Stigma, dass Nachhaltigkeit hohe Kosten mit sich bringt, wirklich wahr?

Susanne Volz: Die Circular Economy bietet viele höchst lukrative Geschäftsmodelle. Das liegt in der Natur der Sache, denn statt Wert zu vernichten wird Wert geschöpft. Allerdings wäre es natürlich naiv zu glauben, dass die Transformationsphase kosten- oder anstrengungslos wäre. Wir werden einen Preis zahlen, die einen mehr, die anderen weniger. Der Preis, diese Transformation nicht durchzuführen ist jedoch ungleich höher. Nicht nachhaltig zu sein wird wesentlich höhere Kosten mit sich bringen, nicht nur volkswirtschaftlich, sondern auch betriebswirtschaftlich. Das Problem ist, dass wir aktuell sehr kurzfristig denken – in politischen, wirtschaftlichen als auch monetären Belangen. Noch ist daher nicht-nachhaltiges Verhalten vermeintlich günstiger. Das wird jedoch nicht mehr lange so bleiben. Allein der Finanzmarkt hat in den letzten beiden Jahren gezeigt, dass lineare Modelle weniger resilient sind als nachhaltige und dass eine mittel- und langfristige Ausrichtung sinnvoller ist. Doch auch Nachhaltigkeit muss natürlich gut durchdacht sein. Nichts ist einfach deswegen profitabel, weil es nachhaltig ist. Das ist vor allem der Fall, da viele Leistungen heute kostenlos genutzt werden, wie zum Beispiel Ökosystemdienstleistungen. Heute ist es günstig, CO2 in die Atmosphäre oder Müll in die Umwelt zu entsorgen, denn das Ökosystem stellt uns seine Leistung nicht in Rechnung. Verglichen mit aktuellen Preisen kann Nachhaltigkeit also durchaus teurer sein. Sobald wir dies jedoch tun – die bisher kostenlosen Leistungen bepreisen –, geht die alte Rechnung nicht mehr auf. Und das ist auch dringend nötig. Denn einige Ökosysteme stehen in der Tat davor, dass sie bestimmte Dienstleistungen nicht mehr übernehmen können, wie die Aufbereitung zu sauberer Luft und Wasser oder die Aufnahme von CO2. Dann müssen wir das selbst tun; mit teurer Technik. Stellen sie sich vor, wir müssen die Obstplantagen am Bodensee mit Drohnen bestäuben, weil nicht mehr ausreichend Insekten vorhanden sind. Unvorstellbare Kosten! In diesem Kontext mag Nachhaltigkeit zunächst teurer erscheinen. Vor allem, wenn wir Innovationskosten und Marktrisiken berücksichtigen. Spätestens mittelfristig werden wir jedoch sehen, dass Nachhaltigkeit die günstigere und sicherere Variante ist. Dennoch: Insbesondere in einer Transformationsphase sind ständige Anpassungen an das Marktverhalten nötig, gutes Timing und vorausschauendes Agieren: ‚Augenmaß‘ ist wohl ein guter Begriff.  Es gibt bereits viele Ansätze und Modelle, die sich im aktuellen Marktumfeld relativ schnell rechnen und nicht teurer oder risikoreicher sind als herkömmliche Innovationen. Dazu gehören zum Beispiel einige Circular Business Models wie Kleiderbibliotheken oder Leasingmodelle für Investitionsgüter sowie verschiedene Entwicklungen neuer Prozesstechnologien.   Wie oben beschrieben gehen wir davon aus, dass die Circular Economy der natürliche Nachfolger der Linear Economy ist. Aktuell besteht hier jedoch noch nicht überall Wettbewerbsgleichheit zwischen linearen und nachhaltigen Produkten. Unter anderem wegen des beschriebenen Effekts der Externalisierung interner Kosten. Um den Prozess zu beschleunigen, sorgen entweder Regulierungen dafür, dass diese Kosten nun internalisiert werden. Zum Beispiel durch Maßnahmen wie Kosten für Müllentsorgung, Abgaben und Steuern auf schädliches Verhalten oder Extended Producer Responsibility (EPR). Oder indem zum Beispiel der Staat Risiken oder Kosten für Innovationen übernimmt, eventuell durch Garantien, Fördermittel oder Steuererleichterungen. Dadurch haben Innovationen wie der Einsatz neuer Materialien, geschlossene Stoffkreisläufe oder Produkt- bzw. Systeminnovationen eine gleichwertige Chance auf dem Markt. Aus unserer Erfahrung heraus raten wir Unternehmen dazu, sich in der nächsten Zeit möglichst viel Wissen und Kompetenz ins Haus zu holen, um sinnvolle und belastbare Entscheidungen treffen und Strategien entwickeln zu können.

Frau Volz, vielen Dank für das Gespräch!

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