Kleinanleger haben sich über das Onlineforum Reddit verabredet, um den Aktienkurs des Spieleanbieters Gamestop nach oben zu drücken – erfolgreich. Der Kurs des Unternehmens stieg seit Anfang des Jahres von unter 15 US-Dollar auf zeitweise mehr 400 US-Dollar. Wie konnten eine Aktion von Kleinanlegern solche Kursschwankungen auslösen?
Stefan Nann: Dies hatte vermutlich mehrere Gründe. Zum einen hatten Hedgefonds wohl unterschätzt, was für eine Kaufkraft private Investoren und Trader entfalten können, wenn sie eine kritische Masse erreichen und sich für ein bestimmtes Ziel systematisch verabreden. Die Hedgefonds lagen bei ihren Betrachtungen für Gamestop auch nicht grundsätzlich falsch. Das Geschäftsmodell ist laut deren Bewertungen nicht mehr zukunftsträchtig, daher haben sie mit Wetten auf einen weiteren Kursverfall die Schwankungen weiter verstärkt. Es waren teilweise bis zu 140 Prozent der frei umlaufenden Aktien leer verkauft, da reicht ein Funken um die Akteure auf der falschen Seite zum Handeln zu zwingen. Es ist auch eher ungewöhnlich, dass über 100 Prozent des Free Floats in Shorts verliehen ist, in Europa ist das zum Beispiel nicht zulässig. Eine solche Situation ähnelt stark dem Schema wie man es im Falle Volkswagen/Porsche vorgefunden hat. Auch dort wurden Aktien verliehen, die es gar nicht mehr gab. Das Ergebnis ist dann einfach, dass diese Positionen eingedeckt werden müssen, es aber keine Gegenseite bei den Verkäufern gibt. Die Masse auf Reddit und später auch auf anderen Social Media Kanälen wie Twitter oder Stocktwits haben durch systematische Aufrufe die Aktie zu kaufen dann dafür gesorgt, dass einige Hedgefonds ihre Short-Positionen auflösen mussten, was den Kurs dann wiederum stark steigen ließ und es so zu Multiplikator-Effekten kam, die außergewöhnlich sind. Wir untersuchen bei Stockpulse sehr viele Social Media Quellen systematisch nach finanzrelevanten Informationen, daher konnten wir hier ein sehr gutes Gesamtbild zeichnen.
Das Ziel von WallStreetBets ist u.a. Verluste bei Hedgefonds zu verursachen, die auf fallende Kurse wetten. Laut Medienberichten haben die beteiligten Hedgefonds 75 Milliarden US-Dollar verloren. Verändert sich hierdurch die allgemeine Risikobewertung von Short-Positionen?
Stefan Nann: Auf der Seite der Hedgefonds sitzen Profis, die ihre Risikomanagementsysteme nach diesem Vorfall vermutlich anpassen werden. Es ist ja auch so, dass über diverse Börseninformationssysteme wie Bloomberg oder Reuters etc. die Höhe der Leerverkäufe festgestellt werden können. Ich denke schon, dass die professionellen Anleger diese neuen Entwicklungen mehr ins Blickfeld nehmen werden, da sie nun bemerkt haben welche Auswirkungen es haben kann. Eine systematische Auswertung der Daten wird daher umso wichtiger werden, da die Masse der Informationen deutlich zugenommen hat und in Zukunft sicherlich noch weiter zunehmen wird, so dass die Notwendigkeit von Systemen diese Informationen strukturiert zu verarbeiten relevanter wird.
Wie haben die betroffenen Hedgefonds und Regulierungsbehörden reagiert?
Stefan Nann: Melvin Capital, ein Hedgefonds gegen den sich der Groll der wallstreetbets Nutzer vor allem gerichtet hat, brauchte von anderen Hedgefonds oder Banken eine kräftige Finanzspritze, um die zeitweisen Verluste seiner Short-Positionen ausgleichen zu können. Auf einigen Brokerplattformen wurden zeitweise Käufe in der Gamestop-Aktie unterbunden. Hier gibt es einige Spekulationen, u.a. dass Hedgefonds den Broker diese Vorgaben gemacht haben. Eine andere Theorie ist, dass die Broker ihre Eigenkapitalquote erhöhen mussten, um die Positionen abzusichern. Was bei Käufen jedoch etwas schwierig nachzuvollziehen ist. Auf jeden Fall hat sich nach diesen Vorkommnissen die SEC eingeschaltet um den Sachverhalt zu untersuchen.
Handelt es sich bei der Aktion von WallStreetBets aus Ihrer Sicht um illegale Marktmanipulation?
Stefan Nann: Zunächst sieht es nicht nach Marktmanipulation aus. Die Shortseller haben bei der Aktie massiv auf einen Kursverfall gesetzt, die Masse in Social Media hat es geschafft eine kritische Masse zu mobilisieren um die Shortseller in eine Ecke zu drängen und ihre Short-Positionen aufzulösen wodurch sich der Kursanstieg exponentiell entwickelt hat. Das ist aus meiner Sicht keine Marktmanipulation und bestätigt vielmehr die Hypothese und Annahmen, die wir bei Stockpulse schon seit 10 Jahren vertreten und im kleinen jeden Tag beobachten. Abhängig davon, welche Theorie bei der Einschränkung der Käufe der Aktie über die Broker stimmt, kann hier durchaus eine Marktmanipulation im Raum stehen. Die Frage wird sein, ob sich das jemals klären können wird. Dafür haben die großen Hedgefonds sehr viel Macht.
Einige Broker-Apps wie Robin Hood haben den Handel mit Aktien von Gamestop und einigen anderen Titeln beschränkt und damit nicht nur Proteste, sondern auch strafrechtliche Ermittlungen ausgelöst. Welche Konsequenzen drohen den beteiligten Unternehmen?
Stefan Nann: Na ja, im Prinzip ist dieses Vorgehen nicht ohne Geschmäckle, wenn man bedenkt, was der Grund sein könnte. „Die Hand, die mich füttert beißt man nicht.“ Falls die Theorie mit den Hedgefonds und Brokern stimmt, muss es letztlich Konsequenzen geben von Seiten der Regulierungsbehörden. Ein Broker darf sich nicht zur Steighilfe für Hedgefonds machen, die so ihre Verluste begrenzen wollen. Insgesamt wird aber auch spekuliert, dass einige Fonds sogar noch mit Gewinn aus den Positionen kommen. Dennoch dürften hier abschließend auch von Seiten der SEC noch weitere Schritte folgen.
Droht durch solche Aktionen eine generelle Instabilität an den Märkten?
Stefan Nann: Aus meiner Sicht nicht. Es sind freie Marktkräfte die einer höheren Volatilität unterliegen. Es ist die Aufgabe des Risk Management, die richtigen Schritte einzuleiten. Auch die professionellen Anleger haben Zugang zu den Foren und Quellen und können ihre Strategien unter Berücksichtigung dieser Daten anpassen.