Angst essen Seele auf

Angst essen Seele auf

Diesen Titel hab ich geborgt von Rainer Werner Fassbinder, der in den 70er Jahren einen Film mit diesem Titel gedreht hatte. Dieser Spruch beschreibt die zerstörerische Macht von Angst. Und genau darum soll es hier gehen: um das Tabuthema Angst in den Führungsetagen.

Gastbeitrag von Christiane Barho

 

Wer nur die Fassade sieht, sieht häufig nur den Status und das Prestige, das mit bestimmten Rollen verbunden wird.

Die wenigsten Menschen haben eine Idee, was diejenigen geleistet haben, um dahin zu kommen. Von außen betrachtet sehen Menschen gerne den Glitzerschein des Erfolgs.
Was hinter der Fassade steckt, möchten vermutlich die wenigsten sehen.

 

Das, was dahintersteckt, bezieht sich nicht nur auf den Fleiß, die Leistung, durchgearbeitete Nächte und all das, was Menschen leisten, um die Führungslaufbahn zu gehen.

 

Was nämlich auch hinter der Fassade steckt, sind Gefühle, die gerne gemieden werden, verdrängt werden, mit denen Führungskräfte schlichtweg nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Denn schließlich will man als Führungskraft stark und souverän sein und genau das auch signalisieren.

 

Ein Gefühl, das besonders gerne negiert wird, ist die Angst.

 

Angst – das verdrängte Gefühl

 

Vermutlich werden mir die meisten zustimmen bei der Einschätzung, dass die wenigsten Menschen es als angenehm empfinden, Angst zu spüren. Doch Angst gehört zu den lebensnotwendigen und gesunden Gefühlen, die wir haben. Deshalb ist es auch wichtig, sich bewusst zu machen, wenn wir Angst haben und diese anzuerkennen. Die wesentliche Frage ist dann nur, wie wir mit dieser Angst umgehen wollen.

Wirklich gefährlich sind eher Menschen, die gar keine Angst kennen.

Kritisch ist es auch, wenn Menschen sich nur noch von ihrer Angst treiben lassen, dann wird es pathologisch.

Kritisch wird es allerdings auch, wenn Menschen versuchen, ihre Ängste non-stop wegzudrücken und zu ignorieren. Ganz nach dem Motto: wenn ich nicht drüber nachdenke und nicht drüber rede, dann wird sich das schon von allein auflösen.

So einfach funktioniert unser Seelenapparat nur leider nicht.

 

Viel wären erstaunt, wenn sie wüssten, wie häufig mir Führungskräfte und Geschäftsführer von ihren Ängsten berichten. Es ist für sie normal und gehört zur Alltags-Maske, dass sie nach außen hin immer Stärke zeigen. Umso wichtiger ist es diese Ängste im vertrauten Raum adressieren zu können.

 

Wirksame Führungskräfte zeichnen sich durch emotionale Kompetenz aus. Und Emotionale Kompetenz beinhaltet zuerst eine hohe Selbstkenntnis. Sowohl über das, was die Führungskraft antreibt, welche Gedanken und Gedankenmuster sie hat, aber auch welche Gefühle sie hat.

Menschen spüren, ob jemand in seiner Kraft ist oder nicht. Führungskräfte, die eine hohe Selbstkenntnis haben, sind sich ihrer Ängste bewusst und sind mutig genug, diesen Ängsten in die Augen zu schauen – ohne sich ihnen auszuliefern. Ein gutes Buch, das diesen Zusammenhang beschreibt, ist beispielsweise „Die Angst. Dein bester Freund“ von der Bergsteiger Ikone Alexander Huber.

 

Wenn wir uns unseren Ängsten stellen, heißt das nicht, diese nach außen zu kehren. Das scheint aktuell in Deutschland en vogue zu sein, dass man einen Striptease seines Innenlebens macht.

 

Das kann allerdings nicht das Ziel sein. Es bedeutet lediglich, dass wir in der Auseinandersetzung mit uns selbst adäquat mit diesen Ängsten umgehen. Denn wenn wir das nicht tun, können wir nicht unser komplettes Potenzial leben.

 

Fallbeispiele

 

Hier will ich einmal ein paar typische Beispiele für Angst aus meinem Berufsalltag im Executive Coaching mit Führungskräften und Geschäftsführern darstellen:

 

Je höher jemand kommt umso dünner wird die Luft

 

Diesen Spruch kennt wahrscheinlich fast jeder. Und kann vielfältig interpretiert werden.

Tatsache ist, dass viele in ihrer Führungsrolle den Eindruck haben, allein unterwegs zu sein. Auch wenn es Peers auf derselben Stufe gibt, ob auf Abteilungsleiter-, Bereichsleiter- oder Geschäftsführerebene. „Führung kann jeder“ stimmt eben nicht ganz. Es braucht einiges an mentalen Voraussetzungen und Skills.

 

Viele der Führungskräfte berichten mir hier davon, wie sie mit Entscheidungsfindungen umgehen. Auch wenn sie andere mit ins Boot holen wollen, die Entscheidung muss von ihnen gefällt werden. Und es gibt nun mal eine Menge an Entscheidungen, die schwierig zu treffen sind und vielen Menschen nicht gefallen wird. Schwierige Entscheidungen zu treffen, führt bei diesen Führungskräften dazu, dass sie diese Themen auch mit sich nach Hause nehmen und schwer abschalten können. Auch wenn sie versuchen, die damit verbundene Angst zu ignorieren. Sie werden davon häufig gelähmt. Denn die Angst, die damit einhergeht, ist Angst vor Abwehr durch andere und Angst vor Isolation. Hier ist es besonders wichtig, dass diese Angst im gemeinsamen Sparring auch thematisiert wird.

 

Wer diese Angst einfach mit sich herumschleppt und sich bei schwierigen Themen davon blockieren lässt, wird in der Führungsrolle scheitern.

Wenn ich dann im Vergleich dazu in der Presse Headlines sehe, die gerne die bösen Unternehmer, die kaltherzigen Geschäftsführer und Führungskräfte stilisieren, fällt mir dazu immer wieder ein, dass ich diese Menschen nicht bei mir im Sparring treffe. Die gibt es auch. Dem ein oder anderen Exemplar bin ich auch schon begegnet. Aber vermutlich würden diejenigen auch nicht mit einem Sparringspartner arbeiten.

 

Bin ich gut genug?

 

Ein weiteres Thema mit Führungskräften ist die Angst, nicht gut genug zu sein in der Rolle. Diese Angst erlebe ich vor allem bei Frauen. Ich hatte allerdings auch männliche Führungskräfte im Coaching, die diese Angst mitbrachten.

 

Wer sich selbst nicht ausreichend Anerkennung geben kann und diese ausschließlich im Außen sucht, wird immer wieder an eigene Grenzen stoßen. Das erfordert enorm viel Energie, die dann nicht für die eigentlichen Führungsaufgaben zur Verfügung steht.

 

Da liegt daran, dass meist die Fähigkeit, sich selbst Anerkennung zu geben, nicht entwickelt wurde. Damit einher geht dann die Angst, auch nicht von anderen Menschen genügend Anerkennung zu erhalten.

 

Leider führt das zu dem Ergebnis, das es insbesondere die Frauen sind, die sich überfordern, weil sie sich zuviel aufbürden. Weil sie den Eindruck haben, sie müssten überall beweisen, dass sie „es“ können. Eine self fulfilling prophecy. Sie suchen die Anerkennung von aussen und hoffen implizit, dass diese gegeben wird. Die Leistungsmaschine läuft dann permanent auf Hochtouren, was zu enormem Druck führt. Im worst case wird dies in einem burnout enden und das bedeutet von heute auf morgen erstmal nicht mehr arbeitsfähig zu sein.

Klingt dramatisch? Ja, ist es auch.

 

Ich habe einige weibliche Führungskräfte bei mir im Coaching gehabt, die leider erst, als der Schmerzpunkt schon sehr hoch war, ins Coaching gekommen sind.

 

Verlustangst

 

Als dritten Punkt will ich hier noch erwähnen, dass es auch die Verlust-Angst gibt. Wer viel erreicht hat, hat auch etwas zu verlieren. Wer nichts erreicht hat, hat nichts oder wenig zu verlieren. Damit einher geht auch die Angst vor Statusverlust. Damit ist auch zu erklären, dass es so viele gibt, die Angst davor haben, klare Position zu beziehen im Unternehmen, klare Meinungen zu äußern, insbesondere wenn diese kritischer Natur sind. Die Angst damit bei den Schlüsselpersonen anzuecken und damit Missgunst zu ernten, ist hoch.

 

Kritisch zu betrachten ist hier insbesondere, wenn eine Führungsperson sich komplett mit der Führungsrolle identifiziert und keine innere gesunde Distanz zu dieser Rolle eingenommen werden kann. Man spricht dann von Über-Identifikation. Das hat mehrere Konsequenzen. Unter anderem führt es dazu, dass diese Führungskräfte eine Angst haben, diese Rolle zu verlieren, denn diese Rolle definiert ihren Selbstwert. Wer wären sie denn noch ohne diese Rolle .. ? Wenn diese Angst sehr stark ist, braucht es eine Therapie, das ist kein Thema für ein Business Coaching.

 

 

Die meisten von uns wollen keine Angsthasen sehen in den Führungsrollen, egal ob im Unternehmenskontext oder in der Politik. Wirksames Leadership braucht Menschen, die Klarheit und Stärke im Denken und Handeln mitbringen.

 

Genau diese Stärke und Kongruenz im Denken und Handeln ist dann gewährleistet, wenn wir uns selbst gut genug kennen. Wenn wir wissen, wovor wir innerlich kneifen wollen und wenn wir wissen, wie wir verführt werden können. Erst dann können wir bewusste Entscheidungen treffen. Solange wir einiges im Unterbewusstsein köcheln und blockieren lassen, schmälern wir unsere Wirksamkeit.

 

Leadership braucht Klarheit.
Jeder von uns hat Ängste.
Das ist menschlich.
Ignorieren wir sie nicht, sondern schließen wir Freundschaft mit ihnen.

Damit wird Leadership gestärkt und nicht geschwächt.

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Zum Expertenprofil von: Christiane Barho

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