Gastbeitrag von Jörg-Simon Löblein
Der Mangel an qualifizierten Fachkräften und Mitarbeitenden ist in vielen Branchen und Regionen inzwischen so enorm geworden, dass er zum existenzbedrohenden Faktor in der Weiterentwicklung von Organisationen und Unternehmen geworden ist.
Offene Stellen belasten die Teams: Ein guter Teamaufbau und sinnvolle Arbeitsverteilungen sind nicht mehr möglich. Einzelne Stellen unterliegen, selbst wenn sie besetzt werden können, nicht selten hohen Wechseln. Viele Mitarbeitende nehmen eine neue Stelle an und beobachten sehr aufmerksam, ob Ihnen die Arbeit, die Unternehmenskultur und vor allem ihr Team gefällt. Erkennen sie größere Schwierigkeiten, wechseln sie schnell wieder die Stelle – sie haben ja eine große Auswahl auf dem Arbeitsmarkt.
Insgesamt entwickelt sich so in vielen Regionen und Branchen eine hohe Fluktuation, die mehrere Organisationen betreffen und ihre Mitbewerber auf dem Markt prägen.
Die jahrzehntelange Vorstellung vom Arbeitgebermarkt wurde von der Realität eines Arbeitnehmermarktes überholt. Nun konkurrieren die Arbeitnehmenden nicht mehr um die besten Jobs, sondern die Arbeitgebenden um die besten Arbeitnehmenden.
Dies hat enorme Folgen. In einzelnen Unternehmen sind Teams und Einzelunternehmungen in ihrem Fortbestand gefährdet.
Besonders in den Bereichen Jugendhilfe, Behindertenhilfe, Pflege, Krankenhäusern, Schulen und Bildungseinrichtungen, Vertrieb, Tourismus, Baugewerbe, Elektrotechnik oder Maschinenbau ist die Situation teilweise so angespannt, dass bereits jetzt einzelne Einheiten von ihren Organisationen geschlossen oder beendet werden mussten.
Viele Organisationen und Unternehmen versuchen daher, mit Benefits für Mitarbeitenden die Bindung an das Unternehmen zu stärken. Es wird vieles getan: Höhere Gehälter, bessere und familienfreundlichere Arbeitszeiten, Homeoffice oder weitere Zusatzleistungen für persönliche Lebensführung.
Ebenso wird in vielen Organisationen der Sinn der Arbeit und die Werteorientierung in den Vordergrund gerückt.
Eine Personalbewirtschaftung, die nur auf Benefits oder Sinnstiftung ausgerichtet ist und an den bisherigen Konzepten der Einzelunternehmungen festhält, greift oft zu kurz und nur wenig in das Karussell der hohen Fluktuation ein.
Der Personalnotstand in vielen Branchen wird ein Umdenken in ihren Organisationen zur Folge haben. Unternehmen, die eine agile Organisationskultur von der Spitze weg lebt und umsetzt, werden am Markt bestehen. Sie werden immer wieder innovative und bespielbare Angebote leisten können und damit langfristig am Arbeitsmarkt bestehen bleiben.
Zwei weitere entscheidende Faktoren sind wichtig für das Verlangsamen von hohen Mitarbeiterwechseln und dem Aufbau personell stabiler Einheiten.
Die Qualität der Arbeit, also eine hohe Fachlichkeit, die Wirkung und der Sinn der eigenen Arbeit haben eine hohe Bindungswirkung auf die Mitarbeitenden, ebenso wie die Erfahrung, dass Innovationen im Unternehmen möglich sind. So steigt das Erleben von Erfolg, von eigener Wirksamkeit und Zufriedenheit im täglichen Tun.
Der Gedanke an einen Stellenwechsel wird seltener verfolgt, auch in schwierigen Phasen.
Ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, ist eine gesunde und agile Organisationskultur.
Es gilt, nicht nur hilfreiche und sich gegenseitig unterstützende Teamkultur einzelner Einheiten im Unternehmen zu stärken und gezielt zu schaffen, sondern auch die gesamte Unternehmenskultur als gemeinsam atmendes System zu gestalten.
Oft stehen folgende Fragen im Vordergrund:
- Haben wir eine breite Übereinkunft für die gemeinsame Suche nach Fachlichkeit und Qualität?
- Wie gehen wir mit Schwierigkeiten um?
- Wer im Unternehmen ist bereit, an der Bearbeitung der Probleme mitzuwirken?
- Können wir über Fehler offen und lösungsorientiert reden?
- Haben wir eine Kultur der Veränderung und Entwicklung, wenn bestehende Konzepte nicht mehr auf gutem Niveau durchführbar erscheinen?
- Wer unterstützt in welcher Weise das Aufstellen neuer Ziele, die Planung und Umsetzung?
Es gibt immer mehr Organisationen, in denen sich Vorstände:innen mit einer proaktiven und agilen Organisationskultur umfassend auseinandersetzen, es nicht nur mit Schlagworten oder Willensbekundungen hinterlegen, sondern kraftvoll, demütig und lustvoll umlenken.
Wenn eine Organisation eine proaktive und agile Kultur aufbaut, merkt man schnell:
- Es werden innovative Konzepte umgesetzt.
- Teileinrichtungen können geschlossen werden. Die Belegschaft unterstützt das und gestaltet den Change aktiv von Anfang an.
- Konzeptentwicklungen oder PE-Prozesse werden mit breiter Beteiligung geplant und belebt.
- Es gibt eine Kultur der Verbesserung durch kleine Schritte.
- Eine Praxis der Fehlerhinweise, die in produktive Prozesse führen, ist spürbar.
- Es werden Matrix-Strukturen der geteilten Verantwortungen aufgebaut und kontinuierlich verbessert.
Zum Autor:
Jörg-Simon Löblein ist selbständiger Organisationsentwickler, Führungskräfte-Coach, Trainer und Supervisor im deutschsprachigen Raum. Mit Vorständen und Personalentwicklungsabteilungen gestaltet er Angebote zu nachhaltiger Mitarbeiterbindung im deutschsprachigen Raum. Er war über 20 Jahre in der freien Wohlfahrtspflege in Führungs- und Vorstandsfunktionen tätig.
Kontakt unter: www.senfsaat.info.