„Corona konnte keiner voraussehen“ – tatsächlich nicht? Seit 2009 gibt es eine ISO-Norm für Risikomanagement (31000). Waren Sie auf die Krise ausreichend vorbereitet?
Stefan Pape: Politik und Behörden hätten vorbereitet sein müssen. Für Unternehmen gestaltet sich die Antwort etwas schwieriger. Natürlich ist jede Krise in der Theorie vorhersehbar. Und es stand auch immer im Raum, dass uns eine Pandemie treffen könnte. Aber dieses Risiko gestaltete sich für Unternehmen eher auf einer abstrakten Ebene. Es gab natürlich keine internen Abteilungen, die sich mit einem solchen Szenario beschäftigten. Dementsprechend traf der Fast-Lockdown und die damit einhergehenden Maßnahmen die deutschen Unternehmen mit voller Wucht.
Das von Ihnen angesprochene ISO-Risikomanagement kommt bei kleinen oder mittelständischen Unternehmen meiner Meinung gar nicht zur Anwendung. In diesen Firmen sind die Ressourcen nicht vorhanden, um ein solches Risikomanagement umzusetzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Unternehmen von der ISO-Norm für Risikomanagement überhaupt Kenntnis hatten und inzwischen haben, halte ich darüber hinaus für sehr gering. Und ich muss gestehen: Auch wir waren auf die Corona-Pandemie in keiner Weise vorbereitet. Da wir aber mit dem Start Up ReiseRecht und dem zugehörigen Anwalts-Netzwerk erst zum 01.07.2020 gestartet sind, haben uns die Auswirkungen durch die Corona-Pandemie nicht wirklich getroffen.
Wie hat sich die Marktlage in Ihrer Branche durch die Corona-Krise verändert?
Stefan Pape: Das muss man differenziert betrachten. Gerade im Flugverkehrssektor haben wir einen enormen Einbruch. Im 2. Quartal 2020 fanden praktisch keinerlei Flüge statt. Folge: Im Bereich der Ansprüche auf Entschädigungszahlungen gegenüber Fluggesellschaften ist der Markt komplett zusammengebrochen. Hingegen ist die Auftragslage in Bezug auf die klassische Pauschalreise massiv gestiegen.
Die Corona-Pandemie veranlasst viele Reisende, ihren Urlaub nicht anzutreten. Wir haben dabei die Erfahrung gemacht, dass die meisten Reiseveranstalter in diesem Punkt nicht gerade kundenfreundlich reagieren und den Reisenden hohe Stornierungskosten in Rechnung stellen. Ich habe dafür sogar Verständnis, da die Reiseveranstalter natürlich so viel Geld wie möglich im Unternehmen behalten wollen. Die Rechtsprechung der Gerichte geht aber eindeutig in die Richtung, dass derzeit sämtliche Pauschalreisen kostenlos storniert werden können. Die meisten Reisenden akzeptieren daher anfallende Stornierungsgebühren nicht und beauftragen dementsprechend zum Beispiel ReiseRecht, um die Stornierungsgebühren abzuwehren. Hier stellen wir eine sehr stark erhöhte Nachfrage fest.
Wir haben den Vorteil, dass wir sowohl Entschädigungszahlen gegen die Fluggesellschaft geltend machen, als auch Ansprüche gegenüber dem Reiseveranstalter. Entsprechend sind wir nicht von einer einzelnen Marktlage abhängig. Es ist immer vorteilhaft, breit aufgestellt zu sein. So kann man gewisse Einbrüche in einem Segment leichter auffangen.
Insgesamt ist die Lage im Reisesektor derzeit jedoch sehr kritisch. Die Branche musste enorme Umsatzeinbußen verkraften und zumindest bis zum 1. Quartal 2021 sind die wirtschaftlichen Aussichten ungewiss. Eine rechtssichere Planung ist für Veranstalter, Fluggesellschaften und letztendlich auch für jeden ReiseRecht-Rechtsdienstleister nicht möglich, da sich die Rahmenbedingungen durch die Reisewarnungen beinahe täglich ändern. Da man hier abhängig ist von externen Entscheidungen, insbesondere durch die Politik, gibt es für die Unternehmen selbst kaum Gestaltungsspielräume, die Zukunft planbar zu gestalten.
Krisen- und Risikomanagement wird in Unternehmen oft nachrangig behandelt. Welche internen und externen Risikofaktoren haben Sie für Ihr Unternehmen / Ihre Branche besonders im Blick?
Stefan Pape: Als externe Faktoren haben wir derzeit immer die aktuellen Reisewarnungen und Maßnahmen der jeweiligen Regierungen im Blick, da diese das Reiseverhalten der Menschen extrem beeinflussen. Für uns als Unternehmen in der Reisebranche stellen sich selbstverständlich große Herausforderungen. Auf Grund der sinkenden Umsatzzahlen haben viele Betriebe ihrer Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Die Bundesregierung plant, die Regelungen bis weit in das Jahr 2021 hinein zu verlängern. Ich bin überzeugt davon, dass vor allem in der Reisebranche viele Betriebe weiterhin auf die Kurzarbeit setzen werden. Wir sind davon zum Glück nicht betroffen, da wir als junges, gerade gelaunchtes Start Up noch keine größere Anzahl an Mitarbeitern haben. Dennoch stellt sich auch für uns die Frage, wie wir die Sicherheit unserer Mitarbeiter gewährleisten können. Hier spielt insbesondere das Homeoffice-Modell eine übergeordnete Rolle. Wir sind in der Lage, sämtliche Arbeitsschritte von jedem Ort in der Welt digital durchführen zu können. Sollte es daher zu einem erneuten Lockdown kommen, können wir unser Angebot hundertprozentig weiter aufrechterhalten. Bei der Digitalisierung sehe ich aber bei vielen Betrieben erheblichen Nachholbedarf.
Krisen offenbaren oft Schwächen im Unternehmen, die im Tagesgeschäft unbemerkt übergangen werden, wenn das Business „läuft“. Inwiefern haben Sie die Ausrichtung und Arbeitsweise Ihres Unternehmens während einer Krise angepasst?
Stefan Pape: Da ReiseRecht erst zum 01.07.2020 am Markt aktiv geworden sind, hat das Coronavirus keinen größeren Einfluss auf unser bisheriges Tagesgeschäft nehmen können. Wir setzen in der jetzigen Situation primär auf digitale Kommunikation. Haben Reisende zum Beispiel Probleme wegen eines Flugausfalls oder mit einer Pauschalreise und möchten Entschädigungsforderungen gegen Fluggesellschaften und Reiseveranstalter durchzusetzen, kontaktieren sie ReiseRecht meist direkt über die Website oder via E-Mail.
Aber bei unseren Kooperationsanwälten hat ein massives Umdenken stattgefunden. Viele Mandantengespräche werden mittlerweile via Skype, FaceTime oder Zoom geführt. Auch Mandanten sind mittlerweile eher bereit, ihre Unterlagen ausschließlich per E-Mail oder sogar Messenger an den Anwalt weiterzuleiten. Das erleichtert auch die Arbeit für uns, da viele Arbeitsschritte automatisiert und aufeinander abgestimmt erfolgen können. Daher sehen wir uns derzeit sehr gut aufgestellt.
Leiden in Ihrem Unternehmen aufgrund der Krise andere Themen wie z.B. Umweltschutz, Nachhaltigkeit oder die Produktqualität?
Stefan Pape: Nein, ganz im Gegenteil. Gerade bei vielen unseren Kooperationsanwälten hat die Coronakrise zu einem Umdenken geführt. Die Handakte gehört in der Kanzlei zwar immer noch zum täglichen Erscheinungsbild, die aktuelle Situation hat die Digitalisierung in vielen Kanzleien aber beschleunigt. Um ihre Arbeit zusätzlich im Homeoffice zu ermöglichen, arbeiten viele Anwälte nun eher mit digitalen „Akten“. Erfreulich: Hier ist ein enormes Einsparungspotential vorhanden, gerade was den Papierverbrauch angeht. Post wird zudem, wenn möglich, nur noch per Email verschickt. Das spart nicht nur Geld, sondern auch CO2.
Welche Erkenntnisse haben Sie aus der Corona-Krise gewonnen?
Stefan Pape: Gerade im digitalen Bereich stellt die Coronakrise auch eine Chance dar. Unsere Kunden sind jetzt eher bereit, Schriftverkehr ausschließlich über E-Mail zu führen. Der klassische Publikumsverkehr verliert weiter an Bedeutung. Vorteil: Wir werden somit weniger anfällig bei Lockdown-Maßnahmen und vergleichbaren Krisensituationen.
Darüber hinaus bin ich überzeugt, dass weitere innovative Tools für die Dienstleistungsbranche wie Bots, Spracherkennungssoftware und künstliche Intelligenzen nun noch schneller ihren Einzug finden werden. Im Service-Bereich werden Chatbots eine herausragende Rolle spielen. Ein Großteil der Kundenkommunikation wird über diese Bots laufen, zum Beispiel beim „FAQ“-Katalog. Ein Chatbot erkennt umgehend akute Probleme des Nutzers, analysiert diese und offeriert die passende Lösung. Chatbots schlafen nicht, der Kunde kann rund um die Uhr in Kommunikation treten. Ein Chatbot kann mehrere Anfragen gleichzeitig bearbeiten. Und: Da diese digitalen Helfer keine falschen Aussagen treffen können, erfolgt ein positives Nutzererlebnis – die Zufriedenheit der Kunden steigt.
Welche Ratschläge möchten Sie gerade Start Ups zum Thema „Krisen-Prävention“ mit auf den Weg geben?
Stefan Pape: Die Coronakrise zeigt, dass wir noch flexibler mit neuen Rahmenbedingungen umgehen müssen. Das bezieht sich auf den digitalen Wandel, der erst jetzt richtig an Fahrt aufnimmt. In diesem Bereich sind viele „aufgewacht“ und nun erfreulich aktiv. Aber auch Flexibilität und Kreativität hinsichtlich des Produktangebots sind gefragt. Wie kann ich neue Zielgruppen erreichen? Schöpfe ich alle Offline-/Online-Marketingmaßnahmen aus? Entspricht meine Website den aktuellen Anforderungen – von der User Experience bis hin zur Suchmaschinenoptimierung?
Problematisch wird es für Firmen, die sich auf ein bestimmtes Produkt spezialisiert haben oder von globalen Lieferketten abhängig sind. Sie könnten wirtschaftlich besonders stark durch die Pandemie betroffen sein. Besonders insolvenzgefährdet sind Firmen aus dem Gastrogewerbe und der Entertainment-/Event-Branche.
Insgesamt würde ich dringend die Einrichtung eines Krisenmanagement-Systems empfehlen. Eine interne und externe Krisenfrüherkennung ist unabdingbar. Worst-Case-Szenarien sollten rechtzeitig durchgespielt werden. Und die interne sowie externe (Krisen-)Kommunikation muss einwandfrei funktionieren.