Was bringt Betriebliches Gesundheitsmanagement für Unternehmen?

Interview mit Dr. Sven Lorenz
Alle Projekte und Angebote werden auf ihre Akzeptanz und Wirksamkeit hin überprüft. Dies ist nur möglich, wenn personelle Ressourcen bereitgestellt werden, damit diese Aufgaben kontinuierlich umgesetzt und reflektiert werden.

Im heutigen Interview haben wir Dr. Sven Lorenz zu Gast. Er hat eine Promotion in Business Administration, einen Master of Business Administration mit dem Schwerpunkt Healthcare/Gesundheitsmanagement und ist diplomierter Sportwissenschaftler für die Bereiche Breiten- und Leistungssport. Herr Lorenz hat Zertifizierungen unter anderem als Aufsichtsrat und als ESG-Officer. Bevor er im September 2022 seine Tätigkeit als Geschäftsführer des Studierendenwerk Hamburg aufnahm, war er bis August 2022 mehr als 10 Jahre geschäftsführender Vorstand des Deutschen Roten Kreuzes Neumünster und Geschäftsführer der vier Tochtergesellschaften.

 

Warum ist ein aktives Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) Ihrer Meinung nach entscheidend für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens?

 

Mitarbeitende sind das wichtigste Kapital eines Unternehmens, weil sich Leistungsfähigkeit, Motivation, Innovation, Zufriedenheit, Gesundheit und Produktivität gegenseitig beeinflussen. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) leistet einen wichtigen Beitrag, um gesunde Arbeitsbedingungen zu schaffen, die Mitarbeitenden an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu beteiligen und so Erkrankungen vorzubeugen. Dies fördert nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Zufriedenheit und Identifikation mit dem Unternehmen. Mitarbeitende erfahren zudem Entlastung durch das BGM, wenn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefördert oder Unterstützung bei privaten Belangen angeboten wird, z. B. mit individuellen Vereinbarungen bei Arbeitszeitmodellen oder einem EAP-Angebot für Mitarbeitende und Angehörige.

 

Gesunde und motivierte Mitarbeitende sind bedeutende Faktoren für den Erfolg eines Unternehmens. „Aktiv“ bedeutet dabei, dass die Teammitglieder des BGM ein Gespür dafür entwickeln, welche Rahmenbedingungen angepasst werden müssen und welche Maßnahmen daraus resultieren sollten. Im Rahmen eines fortlaufenden BGM-Prozesses beschäftigen sich alle Beteiligten mit neuen Impulsen und Verbesserungen innerhalb des Unternehmens.

 

Wie beeinflussen der demografische Wandel und die zunehmende Digitalisierung die Notwendigkeit eines umfassenden BGM in Unternehmen?

 

Zukünftige Herausforderungen ergeben sich aus dem demografischen Wandel, zunehmender Digitalisierung und technologischem Fortschritt. Sinkende Geburtenraten bei gleichzeitig steigender Lebenserwartung führen dazu, dass sich die Altersstruktur in Deutschland mittel- bis langfristig verändern wird. Unternehmen werden in Zukunft vermehrt tendenziell ältere Beschäftigte zur Verfügung stehen.

 

Ein aktives BGM bietet die Chance, möglichst viele Beschäftigte bis zum Eintritt in die Rente gesund und arbeitsfähig zu halten, z. B. auch mit einer alters- und alternsgerechten Arbeitsplatzgestaltung und weiteren Rahmenbedingungen wie Führungsverhalten und sozialem Miteinander, die einen wichtigen Beitrag leisten, um gesund und leistungsfähig zu bleiben.

 

Aus der Digitalisierung entstehen teilweise komplexe Arbeitsvorgänge, Mitarbeitende haben Veränderungsprozesse zu meistern und eine Anpassungsleitung zu erbringen. Das BGM leistet einen Beitrag, um gesunde Arbeitsbedingungen zu schaffen, Überforderung/Arbeitsverdichtung sichtbar zu machen und mit geeigneten Maßnahmen Belastungen zu reduzieren.

 

Können Sie die drei Säulen des BGM – Arbeitsschutz, Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) und Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) – näher erläutern und deren jeweilige Bedeutung für die Gesundheit der Mitarbeiter beschreiben?

 

Arbeitsschutz:

 

Arbeitsschutz ist verpflichtend für Arbeitgeber und Beschäftigte und zielt auf die Vermeidung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Die wesentliche Rechtsgrundlage bildet das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Es formuliert vor allem allgemeine Schutzziele. Demnach ist zum Beispiel die „Arbeit so zu gestalten (…), dass eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird“.

 

Unternehmen stellen den notwendigen Arbeitsschutz in der Regel durch einen dauerhaften Arbeitssicherheitsausschuss (ASA) sicher. Dieser ASA trifft sich regelmäßig und setzt sich aus einem Arbeitgebervertreter, dem Betriebsarzt, der Fachkraft für Arbeitssicherheit, einer Vertretung des Betriebs- oder Personalrates, den jeweiligen Sicherheitsbeauftragten und weiteren Fachkundigen zusammen. Es werden Themen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes (z. B. Analysen, Unfallgeschehen) besprochen. Zudem werden betriebliche Maßnahmen diskutiert und Entscheidungen zur Vermeidung von Gesundheitsgefahren getroffen.

 

Bei der Umsetzung des betrieblichen Arbeitsschutzes ist die sogenannte Gefährdungsbeurteilung eines der wichtigsten Instrumente. Hierfür ermitteln Fachkräfte bestenfalls im Austausch mit den Mitarbeitenden als Experten für ihre Arbeitssituation die gesundheitlichen Risiken und arbeitsbedingten Belastungen und machen Vorschläge für geeignete Schutzmaßnahmen. Berücksichtigt werden technische und bauliche Gefährdungen sowie psychische Gefährdungen, die sich aus dem Arbeitsinhalt, der Arbeitsorganisation, den sozialen Beziehungen sowie der Arbeitsmittel und –umgebung ergeben.

 

Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM):

 

Das betriebliche Eingliederungsmanagement unterstützt Mitarbeitende beim Wiedereinstieg nach längeren Erkrankungen und/oder bei gesundheitlichen Herausforderungen am Arbeitsplatz. Es bietet die Chance, mit enger Mitarbeiterbeteiligung Kompetenzen zu bündeln, um bestmögliche, individuelle Lösungen zu finden und so das Unternehmen als Ganzes zu stärken.

 

Beschäftigten, die innerhalb von 12 Monaten am Stück oder wiederholt länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt waren, muss ein BEM-Gespräch angeboten werden. BEM-Verfahren sind für Arbeitgeber verpflichtend. Ziel des BEM ist es, Erkrankte in Abstimmung und idealerweise mit ärztlicher Begleitung in kleinen Schritten wieder ins Arbeitsleben einzubinden. Beschäftigte können eine Teilnahme ablehnen.

 

Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF):

 

Die BGF umfasst konkrete Maßnahmen und Angebote, die Beschäftigte zur Stärkung der geistigen und körperlichen Gesundheit nutzen. Diese sind für Arbeitgeber und Beschäftigte freiwillig. Viele betriebliche Maßnahmen werden von gesetzlichen Krankenkassen finanziell unterstützt. Darunter fallen Angebote aus den Bereichen Bewegung, Ernährung, Stressbewältigung, Entspannung und Suchtprävention. Auch Unfallversicherungsträger fördern Maßnahmen in Betrieben und Unternehmen. Der Arbeitgeber darf darüber hinaus eigene Angebote unterbreiten, die gleichzeitig die Arbeitgeberattraktivität steigern können. Maximal 600 € pro Mitarbeitenden und Jahr für Maßnahmen der Primärprävention können steuerlich abgesetzt werden.

 

Bestandteil der BGF ist z. B. die Sensibilisierung der Mitarbeitenden für Gesundheitsthemen, Unterstützung bei der Änderung hin zu gesundheitsförderndem Verhalten und Erhöhung von individueller Gesundheitskompetenz durch zielgruppengerechte Kommunikation und Ansprache. Maßnahmen müssen bedarfsgerecht geplant und kompetent begleitet und ausgewertet werden. Wenn dies der Fall ist, kann BGF einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung und Ausbildung von Gesundheitskompetenz seiner Beschäftigten leisten – nicht zuletzt stärkt es über gemeinsame Aktivitäten und Aktionen das Gemeinschaftsgefühl und die Identifikation mit dem Unternehmen.

 

Welche konkreten Maßnahmen und Angebote zählen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung, und wie tragen diese zur Steigerung der geistigen und körperlichen Gesundheit der Beschäftigten bei?

 

Die betriebliche Gesundheitsförderung umfasst Maßnahmen, die auf das Verhalten von Menschen ausgerichtet sind (Verhaltensprävention) und Maßnahmen, die die Arbeitsbedingungen und die Unternehmenskultur betreffen (Verhältnisprävention).

 

Im Bereich Verhaltensprävention bieten wir im Studierendenwerk unterschiedliche Angebote in den Bereichen Bewegung, Ernährung, Entspannung und Suchtprävention an. Angebote der letzten Jahre waren z. B. Workshops zu Rückengesundheit oder Stressbewältigung, ein Yoga Kurs, ein Stimmtraining für Mitarbeitende in beratenden Positionen, mehrere Workshops zur Augengesundheit und Sehtrainings für Mitarbeitende am Bildschirmarbeitsplatz, bewegte Pausen online und vor Ort in den Betrieben, Vortrag für alle Führungskräfte zum Thema Suchterkrankungen, eine jährliche Gesundheits-Team-Challenge, um einen Monat mit Kollegen ein bestimmtes Gesundheitsverhalten umzusetzen (z. B. zuckerfrei essen, dreimal wöchentlich Sport, Schritte zählen, 15 Minuten tägliche Meditationspraxis).

 

Die Maßnahmen, die aus der Gefährdungsbeurteilung entwickelt werden, betreffen eher die Ebene der Verhältnisprävention (z. B. Anpassung von Öffnungs- und Sprechzeiten, um ruhige Phasen des Abarbeitens zu gewährleisten, Änderung der Meeting Gestaltung, Anschaffung von technischen Arbeitshilfen). Außerdem tragen so verschiedene Maßnahmen wie z. B. Betriebssportgruppen, kostenfreie Grippeschutzimpfungen, eine externe Sozialberatung, aber auch Leitlinien, eine systematische Führungskräfteentwicklung und Maßnahmen zur Führung auf Augenhöhe zu einer gesundheitsförderlichen Unternehmenskultur bei.

 

Inwieweit können Unternehmen durch die Implementierung eines aktiven BGM finanziell profitieren, und welche Rolle spielen hier gesetzliche Krankenkassen sowie Unfallversicherungsträger und die Deutsche Rentenversicherung?

 

BGM soll die Gesundheit der Mitarbeitenden unterstützen und bewahren und kann den Krankenstand dauerhaft reduzieren. Dadurch findet weniger Arbeitsverdichtung sowie auch ein geringerer Einsatz von Leiharbeit statt. Beides spart dem Unternehmen Geld.

 

Die Krankenkassen fördern Präventionskurse nach §20 SGB V, sofern die Beschäftigten mindestens an 80% der Termine des Gesundheitskurses teilnehmen. Diese Kurse umfassen unter anderem die Bereiche Bewegung, Ernährung, Stressbewältigung, Entspannung und Suchtprävention.

 

Unfallversicherungen bieten Know-how und umfassende Beratungen und Begleitbroschüren an. Die Deutsche Rentenversicherung unterstützt bei der Vorbeugung von Erkrankungen. Nähere Informationen siehe: Erkrankungen vorbeugen mit Prävention | Deutsche Rentenversicherung.

 

Zudem können Unternehmen einen Zuschuss für Arbeitserleichterungen im Betrieb beantragen. Unternehmen, die bisher kein strukturiertes BGM aufgebaut haben, können durch die gesetzlichen Krankenkassen unterstützt werden. Die BGF-Koordinierungsstelle, ein Gemeinschaftsangebot der gesetzlichen Krankenkassen, unterstützt und begleitet Unternehmen mit kostenloser Erstberatung beim Aufbau einer Betrieblichen Gesundheitsförderung, kurz BGF: BGF-Koordinierungsstelle.

 

Bei der individuellen Gesundheitsberatung, z. B. auch über das BEM, findet Information zu Unterstützungsmöglichkeiten durch die sozialen Sicherungssysteme und Hilfestellung bei deren Inanspruchnahme statt. Kranken-, Renten- und Unfallversicherungen bieten z. B. ein breites Spektrum an beruflichen und medizinischen Rehabilitationsleistungen an. Diese können durch die/den Mitarbeitende/n und/oder den Arbeitgeber beantragt werden und einen wichtigen Beitrag zur Bereitstellung von leistungsgerechten Arbeitsplätzen und damit Gesunderhaltung der Mitarbeitenden leisten. Auch die Arbeitsagentur oder Stellen wie das Integrationsamt sind wichtige Partner und Unterstützer. Ein aktives BGM bietet an dieser Stelle ein breites Netzwerk und Hintergrundwissen zu Fördermöglichkeiten und Ansprechpartnern.

 

Welche Empfehlungen würden Sie Unternehmen geben, um BGM effektiv in ihren Betrieb zu integrieren und sicherzustellen, dass die Maßnahmen regelmäßig überprüft und an veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden?

 

Für eine effektive Integration des BGM in das Unternehmen sollten Arbeitgeber und Geschäftsführungen das BGM als Chance begreifen und finanzielle Mittel sowie personelle Kapazitäten im Unternehmen zur Verfügung stellen.

 

Leitende Angestellte nehmen an internen und externen BGM-Terminen (ASA, BGF etc.) aktiv teil. Geschäftsführung und Leitende Angestellte positionieren sich als Vorbild in Sachen BGM und leben die Werte vor. Ab 200 Beschäftigten wird das Thema BGM federführend im Unternehmen geplant und koordiniert, idealerweise im Rahmen einer eigens dafür befähigten und beauftragten Ansprechperson. Bei kleineren Unternehmen wird auf eine externe Beratung und Begleitung zurückgegriffen.

 

Es kommt auf die Verortung des Themas im Unternehmen an: Neben der Entscheidung des Geschäftsführers für ein aktives BGM ist ein Steuerkreis wichtig, der das BGM strategisch weiterentwickelt und einen Überblick über alle gesundheitsförderlichen Maßnahmen im Unternehmen hat. Dabei ist eine abteilungsübergreifende und partizipative Herangehensweise von Bedeutung. In engem Austausch mit den anderen internen Gremien werden so relevante Gesundheitsthemen identifiziert und Strategien entwickelt. Ideen und Bedarfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden regelmäßig ermittelt und spiegeln sich in den BGM-/BGF-Angeboten wider, sodass die Partizipation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sichergestellt wird. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure und der Interessenvertretung der Mitarbeitenden ist ein weiterer Erfolgsfaktor für ein effektives BGM.

 

Alle Projekte und Angebote werden auf ihre Akzeptanz und Wirksamkeit hin überprüft. Dies ist nur möglich, wenn personelle Ressourcen bereitgestellt werden, damit diese Aufgaben kontinuierlich umgesetzt und reflektiert werden.

 

Wir legen zudem Wert auf eine regelmäßige Kommunikation und gute Erreichbarkeit der jeweiligen Ansprechpartner, um die Maßnahmen und Angebote sichtbar zu machen und diese bei Bedarf in Anspruch nehmen zu können. Informiert wird z. B. im Intranet, mit Aushängen, einem BGM-Newsletter, der dreimal im Jahr erscheint, sowie per Flyer, Mail und auch in Präsenz vor Ort (z. B. in Dienstbesprechungen).

 

Vielen Dank für das Interview.

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