Bettina M. Reuss: Es ist nie zu spät

Interview mit Bettina M. Reuss
Bettina M. Reuss ist Business & Mental Coach und Inhaberin von BMR Consulting in München. Mit ihr sprechen wir über Probleme im Job, Kluft zwischen ursprünglichen Zielen und Realität sowie entscheidende Veränderungen.

Es gibt zahlreiche Gründe, warum Beschäftigte unzufrieden mit ihrem Job sind. Für viele ist aber eine berufliche Neuorientierung keine Option. Was sind die häufigsten Gründe, die zu einer Jobunzufriedenheit führen?

Bettina M. Reuss: Jobunzufriedenheit hat unterschiedliche Gründe. Wenn es in der Karriere stockt, wenn es zu Problemen kommt, ist es auch nach einigen Jahren Berufserfahrung nicht ungewöhnlich, dass Menschen Bilanz ziehen und vergleichen, was sie einmal gewollt haben und wie sich die jetzige Situation darstellt. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund, dass das Arbeitsleben endlich ist. Wenn dann die Kluft zwischen den ursprünglichen beruflichen Zielen und der beruflichen Realität groß genug ist, dann werden entscheidende Veränderungen als möglich wahrgenommen. Gründe für berufliche Unzufriedenheit gibt es viele. Schaut man sich die jährlichen Gallup Studien seit 2001 an, dann wird das sehr deutlich. Nur 15 % der arbeitenden Bevölkerung hat eine gute Bindung an das Unternehmen, 70 % macht mehr oder weniger Dienst nach Vorschrift und haben eine geringe Bindung an das Unternehmen, 15 % haben innerlich gekündigt. Human Capital wird heute zwar wieder mehr, aber immer noch zu wenig als Erfolgs-Ressource in Unternehmen gesehen. Es geht noch immer recht stark um „höher, weiter, schneller und mehr“, dafür weniger Kosten usw.! Dies wirkt sich natürlich entsprechend auf die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit von Arbeitnehmern*innen aus. Allem voran, mangelnde Anerkennung und Wertschätzung durch Vorgesetzte und fehlender Sinn in der Tätigkeit.

Sich nicht gesehen fühlen oder in den eigenen Fähigkeiten übergangen, die Kultur im Unternehmen ist nicht mehr mit den eigenen Werten kompatibel, ein Change im Unternehmen folgt auf den nächsten, das Arbeitsumfeld wird als Kampfplatz erlebt, die Arbeitsverdichtung steigt, man fühlt sich häufig unter Druck, der eigene Job steht zur Disposition, man fühlt sich gekränkt. Man fühlt sich bereits in einem Burnout, ist ausgelaugt und müde, alles kostet viel Anstrengung.

Da kann man noch so gut in seinem Job sein, die Arbeit wird dann auf Dauer zur Belastung. Erfolgreich und unglücklich zu sein schließen sich auch nicht aus. Nicht wenige hoch erfolgreiche Menschen, von vielen beneidet, sind gleichwohl beruflich unglücklich. Man fragt sich: “Will ich mir das so wirklich noch 10, 20 oder gar 30 Jahre lang antun?” Denn der Preis ist hoch!

Woher weiß man, dass es Zeit ist den Job zu wechseln, um sich neuen Herausforderungen zu stellen?

Bettina M. Reuss: Berufliche Neuorientierung als Antwort auf Unzufriedenheit im Job. Wenn einem der Sinn fehlt, wenn man sich täglich zur Arbeit quälen muss, wenn man nicht mehr abschalten kann, wenn man bereits Stresssymptome wie Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, körperliche Leiden hat

Viele Beschäftigte über 35 haben Hemmungen sich neu zu orientieren. Kann man im fortgeschrittenen Alter noch adäquat Karriere machen?

Bettina M. Reuss: Ja klar doch. Allerdings stellt sich dabei in erster Linie auch die Frage: Was will ich? Will ich lieber Karriere machen (die durchaus auch ihren Preis hat) und ist mir das Geld wichtig oder will ich lieber einen erfüllteren Job ausüben, der mir mehr Sinn gibt? Es ist nie zu spät, sich neu zu orientieren und eine neue Karriere zu starten, selbst mit über 50 ist das noch möglich. Eine Alternative ist z. b. auch eine (Teil-) Selbstständigkeit z. b. auch in Kombination mit einem Angestelltenverhältnis. Muss es immer die Standardkarriere sein oder darf Karriere auch anders, nämlich etwas unkonventioneller sein?

Ein Neuanfang ist immer schwer. Wie kann man mentale Hürden der Neuorientierung überwinden?

Bettina M. Reuss: Ist ein Neuanfang wirklich „immer“ schwer? Warum glaube ich denn, dass ein Neuanfang immer schwer ist? Woher kommt dieser Glaubenssatz bei mir persönlich? Was steckt dahinter? Habe ich ggf. eine unbegründete Angst? Habe ich eher Angst vor dem Scheidern oder Angst vor dem Erfolg? Glaube ich an mich selbst? Was wäre mein Warum für meinen Neuanfang? Das Why ist ein starker Motivator. Was motiviert mich tief in meinem Inneren? Was gibt mir Halt und wer kann mich unterstützend begleiten? Und ja, es braucht eine klare Entscheidung zwischen Mut (Neuorientierung) oder Komfortzone (Alles bleibt, wie es ist).

Was muss man also tun, damit eine berufliche Neuorientierung gelingt?

Bettina M. Reuss: Berufliche Neuorientierung erfordert einen persönlichen Entwicklungsprozess.

Der Beruf ist für uns Menschen ein Teil unserer Persönlichkeit wir identifizieren uns sehr stark mit unserem Beruf (z.B.: ich bin JuristIn). Wenn wir uns beruflich verändern, gilt es daher, dass die neue Tätigkeit wieder Teil von uns wird. Wirkliche Berufliche Neuorientierung führt zu einer Veränderung der beruflichen Identität – und die sollte zu uns passen

Damit das möglich ist, erfordert dies einen persönlichen Entwicklungsprozess und auch das Lernen von Neuem. Denken, Wollen und Beschlussfassung reichen dabei allein nicht aus. Man muss sich selbst mitnehmen. Der Weg ist zwangsläufig durch Ambivalenzen, sich widerstreitende Gefühle, innere und äußere, reale oder vermutete Widerstände gekennzeichnet. Es ist normal! Normal ist auch, dass man zu Beginn häufig nicht weiß, wohin die Reise geht. Deshalb ist das Hinterfragen, was will ich und was brauche ich? Was passt zu mir und auch hier wieder, das persönliche Why – von enormer Bedeutung.

Was raten Sie Beschäftigten, die mit dem Gedanken spielen, den Beruf zu wechseln?

Bettina M. Reuss: Selbstreflexion. Hinterfragen, was ist es was mich unzufrieden macht? Was fehlt mir? Und im Umkehrschluss hinterfragen: Was will ich und wo zieht es mich hin? Was sind meinen ungelebten Sehnsüchte und Herzenswünsche?

Die Entscheidung für eine berufliche Neuorientierung oder eine zweite Karriere ist einer der ersten Schritte auf einem mehr oder weniger längeren Weg. Da ist es nicht selten, dass die Entwicklung auch einmal ins Stocken gerät. Auf der Stelle treten ist meist ein Zeichen dafür, dass eine Blockade vorliegt. Dies kann bedeuten, dass alte Kränkungen nachwirken oder dass familiäre Regeln und Loyalitäten den Blick versperren. Hier kann der Blick von außen helfen – im Rahmen einer auf Sie abgestimmten Beratung und mit viel fundiertem Hintergrundwissen wird es einfacher, wieder einen klaren Blick auf die eigenen persönlichen und beruflichen Ziele zu erlangen.

Frau Reuss, vielen Dank für das Gespräch!

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