Andreas Kitzel: Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein Rohrkrepierer

Interview mit Andreas Kitzel
Andreas Kitzel ist Fachanwalt für Migrationsrecht bei der Kanzlei Mahlberg Rechtsanwälte. Im Interview spricht er über Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt für High Potentials und Fehlsteuerungen im Einwanderungsrecht.

Das Recht der Zuwanderung, kurz Migrationsrecht, stellt bei der Rekrutierung von High Potentials ein Handicap dar. Wann sollte ich mir als Migrant einen versierten Rechtsanwalt zur Unterstützung holen?

Andreas Kitzel: Das Migrationsrecht hat in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt aufgrund der Flüchtlingsbewegung, durch eine Vielzahl von Reformen innerhalb kürzester Zeit massiv an Komplexität gewonnen. Nicht umsonst wurde im Jahr 2015 der Fachanwalt für Migrationsrecht eingeführt. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, welches am 01.03.2020 in Kraft getreten ist, wurde explizit das Recht der Arbeitsmigration vollständig neu geregelt. Der Beratungsbedarf ist aufgrund dieser neuen, hochkomplizierten Regelungen immens.

Sollte also ein Ausländer eine Arbeitsaufnahme in Deutschland beabsichtigen, ist eine anwaltliche Beratung bereits zu Beginn des Vorhabens dringend zu empfehlen; es spielen die verschiedensten Aspekte, angefangen von der Anerkennungsfähigkeit der erworbenen Abschlüsse bis hin zur Gestaltung des Arbeitsvertrages oder Fragen bezüglich einer später avisierten Familienzusammenführung eine Rolle. Hier gilt es, Mandanten eine umfassende Rechtsberatung und souveräne Begleitung durch diese teils langwierigen Verfahren anbieten zu können.

Gibt es unterschiedliche gesetzliche Regelungen zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung zwischen Fachkräften (z. B. IT-Spezialisten) und gewöhnlichen Arbeitskräften aus dem Ausland?

Andreas Kitzel: Der Gesetzgeber differenziert zunächst einmal danach, welchem Zweck der beabsichtigte Aufenthalt dienen soll. Neben einem Aufenthalt zu einer qualifizierten Berufsausbildung (§ 16a Auf-enthG) – also eine werdende Fachkraft – gibt es eine spezielle Regelung für Fachkräfte mit Berufsausbildung im Sinne eines in Deutschland reglementierten Berufes (§ 18a AufenthG) sowie eine Regelung für Fachkräfte mit akademischer Ausbildung (§ 18b AufenthG). Daneben gibt es noch sogenannte „sonstige Beschäftigungszwecke“ (§ 19c AufenthG), also eine Regelung für „gewöhnliche“ Arbeitskräfte. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und letztlich der Erwerb einer Aufenthaltserlaubnis ist für die „gewöhnlichen Arbeitskräfte“ ungleich schwerer, hierzu später mehr. Daneben gibt es noch die Beschäftigungsverordnung, die die Zuwanderung ausländischer Arbeitnehmer steuert und bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine Arbeitsmarktzulassung erfolgen kann. Hier erfahren z. B. die in der Fragestellung genannten IT-Kräfte eine Privilegierung: Selbst wenn es sich bei den einwanderungswilligen Bewerber nicht um eine Fachkraft i. S. d. Gesetzes handeln sollte, aber langjährige Berufserfahrungen im IT-Bereich nachgewiesen werden kann, ist nach § 6 BeschV die Erteilung einer Arbeitserlaubnis gleichwohl möglich. Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber diese Privilegierung derzeit lediglich auf IT-Fachkräfte begrenzt; Die Baubranche beispielsweise wäre hier dringend auf eine entsprechende gesetzliche Anpassung angewiesen.

Ist eine Arbeitsgenehmigung zeitlich begrenzt oder unbegrenzt?

Andreas Kitzel: Nach erfolgreichem Visumsverfahren erhält der Bewerber eine Aufenthaltserlaubnis, die mit einer entsprechenden Arbeitserlaubnis versehen ist. Die Dauer des Aufenthaltstitels wird üblicherweise zunächst für 1 – 2 Jahre erteilt, auch wenn beispielsweise eine Arbeitsgenehmigung seitens der Bundesagentur für Arbeit für einen längeren Zeitraum gewährt wurde. Dies hat den Hintergrund, dass Ausländerbehörden im Rahmen der Verlängerung des Aufenthaltstitels überprüfen, ob die ursprünglich vorgesehenen Konditionen des Arbeitsvertrages auch eingehalten werden und ob das Arbeitsverhältnis an sich überhaupt noch fortbesteht. Zu Beginn der Arbeitsaufnahme besteht ferner eine sogenannte „Arbeitgeberbindung“, welche nach 2 Jahren ununterbrochener Beschäftigung gemäß § 9 BeschV allerdings aufgehoben wird. Sodann hat der Ausländer einen „freien“ Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt und kann auch ohne ein zusätzliches Genehmigungsverfahren seine Arbeitsstelle wechseln.

Nach welchen Kriterien beurteilt die Bundesagentur für Arbeit, ob ein Antrag auf Arbeitserlaubnis genehmigt wird?

Andreas Kitzel: Die Bundesagentur für Arbeit prüft stets auf der Grundlage des § 39 AufenthG in Verbindung mit der bereits zuvor erwähnten Beschäftigungsverordnung. Diese enthält beispielsweise Privilegien für einzelne Berufs- oder Personengruppen, z.B. IT-Spezialisten, Berufskraftfahrer oder für Staats-angehörige der Balkan-Staaten (§ 26 Abs. 2 BeschV), die auch unabhängig von ihrer Qualifikation eine Arbeitserlaubnis erhalten können. Wichtiges Instrument im Rahmen der Prüfung ist nach wie vor die sogenannte „Vorrangprüfung“, wonach die Bundesagentur für Arbeit ein konkretes Jobangebot dahingehend überprüft, ob die Stelle nicht mit Arbeitskräften aus Deutschland oder der EU besetzt werden kann.

Diese Vorrangprüfung ist für Fachkräfte mit der Gesetzesreform aufgehoben worden. Es wird nur noch geprüft, ob das konkrete Arbeitsplatzangebot den Arbeitsmarktbedingungen (tarifvertraglichen Bestimmungen, Durchschnittslohn in der Branche, etc.) entspricht. Umgekehrt gilt, dass für all diejenigen, die nicht als Fachkraft gelten und für die auch keine Privilegierung in der Beschäftigungsverordnung vorgesehen ist, nach wie vor diese Vorrangprüfung stattfindet, was in der Praxis bei den meisten Fällen zu einer Ablehnung des Antrages führt.

Bei Fachkräften mit akademischer Ausbildung ist noch wichtig zu erwähnen, dass die Bundesagentur für Arbeit den Arbeitsvertrag auf die Konditionen hin überprüft, da ab bestimmten Gehaltsgrenzen eine sogenannte „Blaue Karte“-EU erteilt werden kann. Diese „Blaue Karte“ sieht insbesondere im Hinblick auf den Erwerb eines dauerhaften Aufenthalts (Niederlassungserlaubnis) erhebliche Privilegierungen für entsprechende Anwärter vor.

Macht es Sinn für Arbeitssuchende, die aus dem Ausland gekommen sind, gegen einen ablehnenden Bescheid Widerspruch einzulegen?

Andreas Kitzel: Sofern der Arbeitssuchende – was sehr selten der Fall ist – zuvor ein Visum zur Arbeitsplatzsuche für 6 Monate erhalten hat und sich bereits im Bundesgebiet befindet, wäre der Widerspruch bzw. je nach Bundesland der Klageweg gegen einen ablehnenden Bescheid der Ausländerbehörde der richtige Rechtsbehelf. Ist der Arbeitssuchende – dies der Regelfall – noch im Ausland und die zuständige Botschaft hat das Visum abgelehnt, kann gegen den Ablehnungsbescheid remonstriert werden. Diese Verfahren dauern allerdings sehr lange und oftmals ist es so, dass der potenzielle Arbeitgeber dann gezwungen ist, sich anderweitig am Arbeitsmarkt umzusehen. Dies ist sehr misslich, da nur „Kleinigkeiten“ zu einer Ablehnung führen, die bereits im Verwaltungsverfahren selbst hätten korrigiert werden können. Insbesondere auch aus diesem Grunde ist es zu empfehlen, ein derartiges Verfahren, welches mitunter über die weitere berufliche Zukunft entscheidet, (fach-) anwaltlich begleiten zu lassen.

Wer trägt die Kosten für einen Fachanwalt und mit welchen Kosten kann man in der Regel rechnen?

Andreas Kitzel: Diese Frage ist schwer zu beantworten, da sich – wie in der Eingangsfrage bereits dargestellt – häufig verschiedenste Fragestellungen und damit einhergehend ein sehr unterschiedlicher Aufwand darbietet. Oftmals treten auch Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam an uns heran und wünschen neben der Begleitung im Verfahren auch die Erstellung des Arbeitsvertrages oder vor Beginn des eigentlichen Verfahrens soll auch das Anerkennungsverfahren für die Abschlüsse begleitet werden. Abhängig von all diesen Fragestellungen bewegt sich das Honorar je nach individuellem Anforderungsprofil zwischen 2.000 und 5.000 Euro. Die Kosten hierfür muss der Mandant in der Regel selbst tragen; mitunter gibt es auch Arbeitgeber, die den künftigen Arbeitgeber unterstützen wollen und Bereitschaft zeigen, einen Teil mitzutragen.

Deutschland verspricht Fachkräften aus dem Ausland eine sofortige Arbeitsaufnahme. Geht dieser Schritt wirklich reibungslos vonstatten?

Andreas Kitzel: Dass die Bundesrepublik Deutschland so etwas im Ausland kommuniziert und verspricht, kann ich mir offen gestanden nicht vorstellen. In der Politik herrscht vielleicht die Vorstellung, dass mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz der „große Wurf“ gelungen ist. Tatsächlich handelt es sich in meinen Augen um einen „Rohrkrepierer“, der an den Anforderungen des Arbeitsmarktes vorbeigeht. Der Gesetzgeber hat sich dahingehend entschieden, dass ausschließlich Abschlüsse zu einer Qualifizierung als Fachkraft führen, die letztlich unseren reglementierten Berufen entsprechen. Diese Sichtweise geht insoweit völlig an der Realität vorbei und lässt eine Vielzahl hochqualifizierter, potenzieller Arbeitskräfte, die unser Arbeitsmarkt dringend benötigt, außen vor. Dies gilt insbesondere für die Baubranche. Ein Fliesenleger oder Maurer, der diesen Beruf seit 15 Jahren ausübt, allerdings keine 3-jährige Ausbildung genossen hat (etwa, weil es im Heimatland dort nur eine 1-jährige Ausbildung gibt), sind von den privilegierenden Regelungen ausgenommen. Gleichzeitig sind die Wartezeiten bei der Botschaft auf Termine immens, teilweise bis hin zu zwei Jahren.

Etwas Abmilderung sollte das sogenannte „beschleunigte Fachkräfteverfahren“ nach § 81a AufenthG schaffen, wonach gegen eine Sondergebühr von rund 400 Euro der Antrag in Deutschland vorab geprüft wird und bei positivem Ergebnis innerhalb von 8 Wochen einen Termin bei der Botschaft zu erhalten ist – angeblich. Dieses sicherlich gut gemeinte Verfahren könnte ein wirksames Instrument sein. Allerdings prüfen die hierzu neu geschaffenen, zentralen Verwaltungsbehörden – die sich hauptsächlich aus zusammengezogenem Personal von umliegenden Ausländerbehörden zusammensetzen – auch im Geiste einer Ausländerbehörde und werden damit den Anforderungen, die die Wirtschaft stellt, nicht gerecht. Insoweit bleibt momentan im Hinblick auf das Fachkräfteeinwanderungsgesetz das ernüchternde Resümee „gut gedacht, aber schlecht gemacht“.

Herr Kitzel, vielen Dank für das Gespräch.

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