Chancen und Risiken bei Abmahnungen im Arbeitsrecht

Interview mit Dr. Daniel Weigert
Wir sprechen mit Dr. Daniel Weigert, Fachanwalt für Arbeitsrecht, über Abmahnungen im Arbeitsrecht. Jeder meint, etwas zu dem Thema zu wissen, viele Gerüchte, Vermutungen und Behauptungen rund um das Thema Abmahnung, Widerspruchsverfahren und Abfindung werden nun durch Dr. Weigert aufgeklärt.

Arbeitsrecht ist ein breites Fachgebiet. Welches sind die typischen Betätigungsfelder für Anwälte?

Im Arbeitsrecht berät man in der Regel drei Seiten: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsräte. Viele Arbeitsrechtler konzentrieren sich auf die Beratung einer der drei Seiten. Ich selbst vertrete alle drei Seiten, weil ich die Abwechslung mag, ideologisch offen bin und es mir hilft, jede Perspektive zu kennen. Bei der Beratung von Arbeitnehmern sind sicherlich Kündigungen bzw. Trennungssituationen das Hauptberatungsfeld. Oft sind auch sonstige Konflikte (Mobbing, die ggf. unzulässige Zuweisung unerwünschter Aufgaben, eine ggf. zu niedrige Bonuszahlung o.ä.) Auslöser für Rechtsberatung. Diese Konflikte sind aber oft nur Symptom einer grundsätzlichen Unzufriedenheit miteinander, die oft mit einem Aufhebungsvertrag endet. Die Beratung von Arbeitgebern erstreckt sich natürlich auch auf Trennungssituationen. Es geht aber oft auch darum, die betrieblichen Abläufe an die Rechtslage oder neue Rechtsprechung anzupassen, Arbeitsverträge zu gestalten oder das Unternehmen rechtskonform zu strukturieren. Wenn man Betriebsräte berät, geht es typischerweise um die Frage, wie weit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats reicht, also an welchen Entscheidungen der Arbeitgeber den Betriebsrat beteiligen muss und wo nicht. Oft werden dann auch etwa Betriebsvereinbarungen zu zahlreichen Themen verhandelt, z.B. zur Dienstplanung, mobiler Arbeit und vielem mehr.

Rund um das Thema Kündigungen und Abmahnungen kursiert viel Halbwissen. Welche Mythen begegnen Ihnen im Berufsalltag regelmäßig?

Es gibt zwei Standard-Mythen, die falsch sind:

„Mythos 1“ ist, dass man im Kündigungsfall einen Anspruch auf eine Abfindung habe. Konkret wird oft angenommen, jeder bekomme die sogenannte „Regelabfindung“ in Höhe eines halben Gehalts pro Beschäftigungsjahr. Das ist unzutreffend. Abfindungen sind (abgesehen von Sozialplänen) grundsätzlich frei verhandelt. Ein Arbeitgeber kann eine Abfindung von 1 Euro anbieten und der Arbeitnehmer kann Millionen ablehnen. Auf welchen Betrag man sich einigt, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, z.B. die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und das Unwirksamkeitsrisiko in Bezug auf die Kündigung. Die Regelabfindung ist lediglich ein psychologischer Verhandlungsanker, „um den herum“ man oft verhandelt. So könnte etwa vorkommen, dass ein Arbeitnehmer die „doppelte Regelabfindung“ verlangt, weil die Kündigung aus seiner Sicht offensichtlich unwirksam ist oder umgekehrt: Der Arbeitgeber setzt bei der halben Regelabfindung das Limit, weil er gute Chancen sieht, den Prozess zu gewinnen.

„Mythos 2“ ist die Annahme, es benötige drei Abmahnungen vor einer Kündigung. Das Gegenteil ist der Fall: Nach der Rechtsprechung nimmt die Warnfunktion einer Abmahnung ab, wenn ein Arbeitgeber ein Fehlverhalten zu oft abmahnt. Es ist also grundsätzlich durchaus möglich, schon nach einer Abmahnung zu kündigen. Bei schweren Pflichtverletzungen kommt auch eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung in Betracht.

Abmahnungen sind ein beliebtes Disziplinierungsmittel von Arbeitgebern. Welche Voraussetzungen müssen für eine wirksame Abmahnung erfüllt sein?

Viele Abmahnungen sind unwirksam, weil sie den Anforderungen der Rechtsprechung nicht genügen. Eine Abmahnung muss etwa das Fehlverhalten konkret benennen. Wenn ein Arbeitgeber etwa abmahnt, weil ein Arbeitnehmer „gravierend zu spät“ gekommen ist, wäre die Abmahnung schon unwirksam, weil völlig unklar ist, was der Arbeitgeber mit „gravierend“ meint. Dasselbe wäre der Fall, wenn ein Arbeitgeber abmahnt, dass der Arbeitnehmer „mehrfach zu spät gekommen“ sei (Wie oft und wann?) oder, dass er einen Kollegen „beleidigt“ habe (mit welchen Worten denn?). Eine Abmahnung muss deshalb sowohl die Pflicht als auch das Verhalten, mit dem gegen die Pflicht verstoßen worden ist, konkret rügen. Außerdem muss in der Abmahnung eine Kündigung angedroht werden, andernfalls handelt es sich nur um eine „Ermahnung“. Ein häufiger Fehler ist auch, dass Arbeitgeber etwas abmahnen, das keine Verhaltenspflichtverletzung ist. Zum Beispiel kann das „Nichterreichen der Umsatzziele“ nicht abgemahnt werden, weil das kein Verhalten ist. Abgemahnt werden könnte nur ein nicht hinreichendes Bemühen des Arbeitnehmers. Ebenso wenig können etwa häufige Krankmeldungen wirksam abgemahnt werden. Krankheiten sind kein Verhalten. Will ein Arbeitgeber häufige Krankmeldungen abmahnen, steht dahinter vielmehr in der Regel der Vorwurf, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht hat – was ein gänzlich anderer Vorwurf ist.

Lohnt es sich als Arbeitnehmer, gegen unberechtigte Abmahnungen vorzugehen?

Abmahnungsklagen sollten jedenfalls nicht vorschnell erhoben werden. Aus folgendem Grund:

Eine Abmahnung an sich schadet noch nicht. Sie stellt nur ein Risiko dar für spätere Entwicklungen (z.B. Zeugnisse oder Kündigungen). Wenn z.B. eine Kündigung ausgesprochen wird, dann kann im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens immer noch überprüft werden, ob die vorangegangene Abmahnung wirksam war.

Wenn man unmittelbar gegen die Abmahnung klagt, hat man das Risiko, zu verlieren. Dann hat man nicht nur eine Abmahnung in der Personalakte, sondern auch noch eine rechtskräftige Entscheidung, dass sie wirksam ist.

Deshalb spricht in der Regel vieles dafür, nicht gegen eine Abmahnung zu klagen, sondern es bei einer Gegendarstellung zu belassen, die zur Personalakte genommen wird. Dazu sind Arbeitnehmer verpflichtet.

Eine Klage direkt gegen eine Abmahnung kann sinnvoll sein, wenn der Arbeitnehmer ebenfalls unzufrieden mit dem Arbeitsverhältnis ist und eigentlich in einem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht die Gelegenheit nutzen will, für eine (überschaubare) Abfindung zu gehen. Schließlich bringt ein Arbeitgeber mit einer Abmahnung oft zum Ausdruck, dass er sich gern trennen möchte.

Aus diesen Gründen sollten Abmahnungsklagen jedenfalls mit Vorsicht und nicht aus einem emotionalen Impuls heraus erhoben werden. Oft überwiegen objektiv die Argumente gegen eine Abmahnungsklage.

Die Kündigung des Arbeitsvertrags landet häufig vor Gericht. Wann ist es möglich auf Wiedereinstellung zu klagen?

Man kann gegen jede Kündigung Klage erheben. Ob die Klage Aussicht auf Erfolg hat, ist eine andere Frage. In einem Kleinbetrieb mit bis zu zehn Arbeitnehmern sowie in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses hat man keinen Kündigungsschutz. Dann sind Kündigungen in aller Regel wirksam und eine Klage lohnt sich nicht. Das wäre nur ausnahmsweise der Fall, wenn es etwa klare Indizien dafür gibt, dass man aus diskriminierenden Gründen gekündigt worden ist (etwa aufgrund von Familienplanung). Selbst wenn das der Fall wäre, wäre es in der Regel nicht beweisbar.

Wenn man Kündigungsschutz genießt, dann ist die Situation umgekehrt: Grundsätzlich sind Kündigungen unzulässig. Der Arbeitgeber kann nur dann ausnahmsweise wirksam kündigen, wenn es dafür einen betriebsbedingten, personenbedingten oder verhaltensbedingten Grund gibt. Die Hürden sind recht hoch, insofern lohnt es sich jedenfalls immer, die Chancen einer Klage mit einem Arbeitsrechtler zu erörtern. In vielen Fällen lohnt sich eine Kündigungsschutzklage.

Üblicherweise endet eine Klage auf Wiedereinstellung mit einer Abfindung. Gibt es eine Faustformel für die Höhe?

Kaum. Es ist zwar häufig von der sogenannten Regelabfindung (ein halbes Gehalt je Beschäftigungsjahr) die Rede. Darauf besteht jedoch kein Rechtsanspruch. Die Regelabfindung ist ein häufiges Ergebnis in normalen Fällen. Mit „normal“ meine ich, dass beide Seiten ein Prozessrisiko haben, das Arbeitsverhältnis „normal“ lang bestanden hat (also ein paar Jahre) und die Situation auf dem Arbeitsmarkt „normal“ ist (der Arbeitnehmer also keine großen Existenzängste hat, aber auch nicht täglich Headhunteranrufe erhält).

Es sind aber teils starke Abweichungen davon üblich. Wird etwa ein Arbeitnehmer nach einem Jahr gekündigt, obwohl es keinen Grund gibt und der Arbeitgeber im Prozess praktisch chancenlos wäre, dann wäre die Regelabfindung für den Arbeitnehmer ein sehr schlechtes Ergebnis: Die Abfindung betrüge nur ein halbes Gehalt.

Umgekehrt: Wenn ein Arbeitnehmer 30 Jahre beschäftigt war und dann „in flagranti“ von Überwachungskameras bei einem Diebstahl gefilmt wird, dann wird er nicht im Entferntesten die Regelabfindung erhalten. Die Prozessaussichten des Arbeitgebers wären sehr gut, der Arbeitnehmer könnte also froh sein, wenn er „noch eine Kleinigkeit“ erhält – aber definitiv nicht im Entferntesten 15 Gehälter Abfindung.

Insofern darf man den Begriff „Regelabfindung“ nicht überbewerten.

Herr Weigert, vielen Dank für das Interview.

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