Dr. Alexandra Hergett: Ausgleich bezieht sich ausschließlich auf in der Ehe erworbene Anwartschaften

Interview mit Dr. Alexandra Hergett
Dr. Alexandra Hergett ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Rae Külper + Röhlig in Hamburg. Mit ihr sprechen wir über Anrechte aus der gesetzlichen Rentenversicherung, Regelsicherungssysteme sowie Vermögensauseinandersetzung.

In Deutschland lassen sich rund 150.000 Paare jährlich scheiden. Geschiedene Ex-Partner müssen ihre Rentenanwartschaften in Form von einem Versorgungsausgleich aufteilen. Welche Versorgungen werden ausgeglichen und welche nicht?

Dr. Alexandra Hergett: Im Rahmen des mit der Ehescheidung vorzunehmenden Versorgungsausgleichs werden Anwartschaften auf Versorgungen und Ansprüche auf laufende Versorgungen ausgeglichen, sofern sie durch Arbeit oder Vermögen geschaffen oder aufrechterhalten worden sind und auf die Absicherung bei Alter oder Invalidität gerichtet sind. Hierzu zählen insbesondere Anwartschaften oder Anrechte aus der gesetzlichen Rentenversicherung, aber auch aus anderen Regelsicherungssystemen, wie der Beamtenversorgung oder der berufsständischen Versorgung, aus der betrieblichen Altersversorgung, der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes oder aus privaten Vorsorgeverträgen. Auch bei Letzteren gilt, dass sie nur dann ausgeglichen werden, wenn sie der Alters- und der Invaliditätssicherung der Ehegatten dienen und die Zahlung einer Zeit- oder Leibrente zum Gegenstand haben. Dass grundsätzlich ein Kapitalwahlrecht besteht, ist unschädlich, solange dieses noch nicht ausgeübt worden ist. Klassische Kapitallebensversicherungen fallen daher nicht in das Regelsystem des Versorgungsausgleichs, sondern unterliegen dem Zugewinnausgleich. Lediglich Verträge nach § 5 AltZertG (Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen) oder Direktversicherungen im Rahmen des BetrAVG (Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung) sind auch dann im Rahmen des Versorgungsausgleichs auszugleichen, wenn sie eine Teilkapitalisierung vorsehen.

Im Gesetz §2 VersAusglG wird erfasst, welche Anrechte dem Versorgungsausgleich unterliegen. Was passiert mit der gemeinsamen Immobilie im Scheidungsprozess?

Dr. Alexandra Hergett: Zwar sind Immobilien in der Regel ein wesentlicher Bestandteil privater Altersvorsorge, sie unterfallen allerdings nicht dem System des Versorgungsausgleichs, sondern sind, sofern es sich um gemeinschaftliches Eigentum der Ehegatten handelt, Bestandteil der Vermögensauseinandersetzung unter den Ehegatten. Außerdem sind Immobilien unabhängig davon, ob sie im Allein- oder Miteigentum eines Ehegatten stehen, im Rahmen möglicher Zugewinnausgleichsansprüche zu berücksichtigen, sofern die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft leben. Für das Scheidungsverfahren bedeutet dies, dass die Auseinandersetzung der Immobilie oder mögliche mit ihr zusammenhängende Ausgleichsansprüche – anders als der Versorgungsausgleich – nicht von Amts wegen im Scheidungsverfahren berücksichtigt werden. Mögliche Ansprüche auf Zugewinnausgleich werden nur dann Gegenstand des Scheidungsverfahrens, wenn ein Ehegatte einen sog. Folgesachenantrag stellt. Andere Ausgleichsansprüche die Immobilie betreffend, sind dem sog. Nebengüterrecht zuzuordnen und können bei Streit nur in gesonderten gerichtlichen Verfahren, neben dem Scheidungsverfahren, geltend gemacht werden. Sind die Ehegatten darüber hinaus Miteigentümer einer Immobilie und kann keine Einigung über die Auseinandersetzung des Miteigentums gefunden werden, kommt manchmal nur eine Teilungsversteigerung in Betracht, um gegen den Willen des anderen Ehegatten die Eigentümergemeinschaft aufzuheben.

Für viele Ex-Partner ist unklar, auf welche Zeit sich der Ausgleich der Anwartschaften erstreckt. Erstreckt sich ein Ausgleich nur auf die Anwartschaften, die die Ehepartner während der Ehe erworben haben?

Dr. Alexandra Hergett: Das ist richtig. Der Ausgleich bezieht sich ausschließlich auf in der Ehe erworbene Anwartschaften. Als Ehezeit gilt die Zeit zwischen dem ersten Tag des Monats in dem die Ehe geschlossen wurde, bis zum letzten Tag des Monats, der der Zustellung des Scheidungsantrages vorausgeht (§ 3 VersAusglG).

Bei einer Ehedauer von bis zu drei Jahren findet ein Versorgungsausgleich allerdings nur dann statt, wenn ein Ehegatte diesen ausdrücklich beantragt. Bei längerer Ehezeit wird der Versorgungsausgleich im Rahmen des Scheidungsverfahrens von Amts wegen durchgeführt.

§27VersAusglG regelt seit November 2016 Ausnahmen beim Ausgleich. In welchen Szenarien teilt das Familiengericht die Rentenansprüche nicht?

Dr. Alexandra Hergett: § 27 VersAusglG war bereits Bestandteil des Reformgesetzes vom 03.04.2009 (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2009 Teil I Nr. 1). Die Vorschrift ist als Härtefallregelung konstruiert und soll nur ausnahmsweise zur Anwendung kommen, um grob unbillige Härten, die mit einer Durchführung des Versorgungausgleichs verbunden wären, zu verhindern. Sie ist damit absolut einzelfallbezogen und erfordert eine umfassende Billigkeitsabwägung des Gerichts. Ein typischer Fall in dem in die Anwendung des § 27 VersAusglG denkbar wäre, ist der, dass ein Ehegatte seine Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, über längere Zeit grob und vorwerfbar verletzt hat. Er soll dann auch nicht selbst durch den Versorgungsausgleich begünstigt werden. Denkbar ist die Anwendung der Härtefallklausel auch bei Straftaten gegenüber dem ausgleichspflichtigen Ehegatten oder den gemeinsamen Kindern. Unabhängig von solchem ehelichen Fehlverhalten kommt die Anwendung der Härtefallklausel auch bei einer so genannten phasenverschobenen Ehe in Betracht, z.B. bei einem großen Altersunterschied zwischen den Ehegatten.

Die maßgeblich vom Gericht bei seiner Billigkeitsabwägung zu berücksichtigenden Umständen sind z.B. die gegenwärtige und zukünftige wirtschaftliche Situation der Ehegatten sowie ihre derzeitigen und künftig vorhersehbaren Lebensumstände, die ihre Versorgungslage beeinflussen können, wie Alter, Gesundheit und Erwerbsfähigkeit, sowie auch das Vermögen der Ehegatten oder die Möglichkeit noch weiter eine eigene Altersvorsorge nach Ehescheidung aufzubauen. Je nach Einzelfall ist dann sowohl ein vollständiger als auch nur ein Teilausschluss denkbar.

Eine einvernehmliche Regelung des Versorgungsausgleichs kann auch erzielt werden. Können Sie uns Umstände nennen, in denen ein Versorgungsausgleich nicht erforderlich ist, bzw. ein Versorgungsausgleich wenig sinnvoll wäre?

Dr. Alexandra Hergett: Der Versorgungsausgleich ist ein wichtiger Bestandteil der sozialen Sicherung im Alter und deshalb gerade für den wirtschaftlich schwächeren Ehegatten, der oft in der Ehe neben Haushaltsführung und Kinderbetreuung nur eingeschränkt erwerbstätig war, von meist erheblicher Bedeutung. Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich, die notariell beurkundet werden müssen und auch der gerichtlichen Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle des Gerichts unterliegen, sind daher stets gut abzuwägen.

Ob die Ehegatten auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs angewiesen sind, hängt wesentlich davon ab, wie beide Ehegatten vor und in der Ehe für ihr Alter vorgesorgt haben, und welche Möglichkeiten Sie nach Ehescheidung noch haben, für ihr Alter in angemessenem Maße vorzusorgen. In diese Betrachtung ist auch die Gesamtvermögenssituation der Ehegatten einzubeziehen.

Unwirtschaftlich kann ein Versorgungsausgleich z.B. dann sein, wenn beide Ehegatten über ähnlich hohe Anwartschaften verfügen. Aufgrund der Neugestaltung des Versorgungsausgleichsrechts in dem nicht mehr ein Einmalausgleich erfolgt, sondern jedes Anrecht einzeln ausgeglichen wird, kann die Aufspaltung in viele kleinere Anrechte schon wegen der Teilungskosten unwirtschaftlich sein. Gleiches gilt, wenn z.B. ein Selbstständiger, der selbst keine Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben hat, von seinem Ehepartner Anwartschaften erhält, die aber nicht ausreichend sind, um dessen 60-monatige Wartezeit (§ 50 I Nr. 1 SGB VI), die Voraussetzung  für einen Anspruch auf eine Regelaltersrente oder auf Leistungen der Rehabilitation aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist, zu erfüllen. Im Ergebnis würden in diesem Fall die so übertragenen Rentenanwartschaften für beide Ehegatten verloren sein.

In derartigen Fällen der Unwirtschaftlichkeit ist zu überlegen, ob durch eine Vereinbarung zum Versorgungsausgleich nicht eine sinnvollere Regelung getroffen werden kann, indem man beispielsweise im Rahmen der vermögenrechtlichen Auseinandersetzung der Ehegatten oder einer unterhaltsrechtlichen Regelung einen entsprechenden Ausgleich schafft.

Gerade in Unternehmerehen, in denen in aller Regel die Altersvorsorge vom Unternehmer-Ehegatten nicht in den gesetzlichen Regelungssystemen betrieben wird, wird daher bereits in vorsorgenden Eheverträgen eine Kompensation zum gesetzlichen System des Versorgungsausgleichs angestrebt, die je nach den Bedürfnissen des Einzelfalls und mit Blick auf die Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle des Gerichts auszugestalten ist.

Werden Vereinbarungen zum Versorgungsausgleich beabsichtigt, sollte wegen der erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung unbedingt fachanwaltlicher Rat von jedem der Ehegatten eingeholt werden.

Frau Dr. Hergett, vielen Dank für das Gespräch!

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