Dr. Franc Zimmermann: Insolvenzwelle gab es in Pandemiezeiten bislang nicht

Interview mit Dr. Franc Zimmermann
Dr. Franc Zimmermann ist Fachanwalt für Insolvenzrecht, Sachverwalter, Insolvenzverwalter und Partner bei Mönning Feser Partner Rechtsanwälte Insolvenzverwalter Berlin, Braunschweig, Hildesheim. Mit ihm sprechen wir über rückläufige Unternehmensinsolvenzen, Unterstützungsleistungen und die zukünftige Entwicklung.

Kann man davon ausgehen, dass durch die Pandemie die Unternehmensinsolvenzen weiter steigen?

Dr. Franc Zimmermann: Die Frage müsste insofern angepasst werden, als – entgegen der ursprünglichen Annahme – die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Pandemiezeiten (stark) rückläufig war. Dies beruhte zum einen auf den direkten Unterstützungs- und Stabilisierungsmaßnahmen der Bundesregierung. Zum anderen war dies Folge der zeitweisen Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gemäß dem Covid 19-Insolvenzaussetzungsgesetz COVInsAG, welche so missverständlich kommuniziert wurde, dass viele CEOs den Eindruck gewonnen haben, ein Insolvenzantrag sei nicht erforderlich. Dies traf in einer Vielzahl der Fälle jedoch nicht zu. Im laufenden Jahr 2021 ist nach meiner Einschätzung davon auszugehen, dass die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen im Verhältnis zum aktuellen Niveau nicht signifikant steigen wird. Denn nicht zuletzt in Anbetracht der anstehenden Wahlen besteht ein großes politisches Interesse daran, in der Öffentlichkeit ein Bild zu zeichnen, dass die pandemiebedingten Auswirkungen trotz aller Widrigkeiten die Wirtschaft nicht so hart getroffen haben wie ursprünglich befürchtet. Daraus dürfte sich erklären, dass die Möglichkeit für Firmen, Kurzarbeitergeld zu beziehen, bis zum 31.12.2021 verlängert wurde und Finanzämter angehalten wurden, Steuerforderungen gegen Unternehmen bei recht niedrigen Voraussetzungen bis Ende des Jahres 2021 zu stunden. Meines Erachtens ist daher erst im Jahr 2022 mit (deutlichen) Zunahmen von Unternehmensinsolvenzen zu rechnen. Denn auch die Unternehmen, die „natürlicherweise“, also auch ohne Pandemie, hätten Insolvenz anmelden müssen, also bei denen die wirtschaftliche Schieflage nicht durch die Pandemie verursacht wurde, wurden durch die Unterstützungs- und Stabilisierungsmaßnahmen noch über Wasser gehalten.

Welche Unternehmen mit welchen Geschäftsmodellen könnten besonders betroffen sein?

Dr. Franc Zimmermann: In erster Linie wird dies den Reise-, Hotellerie- und den Gastronomiesektor betreffen, aber auch den lokalen Einzelhandel. Denn diese Geschäftsbereiche waren durch die sogenannten „Lockdowns“ in ihren Möglichkeiten, Umsatz zu generieren, besonders stark eingeschränkt. Dazu kommen aber auch Insolvenzen von diesen Branchen nahestehenden Unternehmen, bspw. Zulieferern. Auch betroffen werden Unternehmen sein, die zu Unrecht staatliche Hilfen vereinnahmt haben. Nach einer jüngsten Nachricht des Bundeskriminalamtes ist die Wirtschaftskriminalität in Pandemiezeiten drastisch angestiegen, was auch auf zu Unrecht vereinnahmten Unterstützungsleistungen beruhen dürfte. Diese Unternehmen werden in Anbetracht der Rückforderungen ebenfalls zur Gruppe der Betroffenen gehören.

Bisher gibt es viele Unternehmens-Pleiten: Warum läuft es mit der finanziellen Unterstützung so schlecht?

Dr. Franc Zimmermann: Die Aussage lässt sich so nicht bestätigen: Die Statistiken besagen, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen stark zurückgegangen ist, wie in der Antwort zu Frage 1 geschildert. Dass moniert wird, dass Unterstützungsleistungen recht spät bei den Empfängern ankommen, ist nachvollziehbar. Andererseits ist es auch für eine stabile Wirtschaftslage wichtig, dass im Einzelfall geprüft wird, ob die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind. Denn schließlich werden die Unterstützungszahlungen aus Steuergeldern finanziert und der Bund muss sich für die Zahlungen rechtfertigen können. Deswegen dürfen die Auszahlungen nicht adhoc, sondern eben nur nach eingehender Prüfung erfolgen dürfen. Alles andere wäre auch nicht angemessen, da die Gelder, die als Unterstützungsleistungen gewährt werden, schließlich wieder „eingespielt“, also über Steuerzahlungen finanziert werden, infolgedessen der Steuerzahler ein Anrecht darauf hat, dass der Staat nicht freimütig zu seinen Lasten Gelder verteilt.

Wovon hängt die Zahl der Insolvenzen noch ab?

Dr. Franc Zimmermann: Die Zahl der Insolvenzen hängt generell von (a) der allgemeinen Wirtschaftslage, aber auch von (b) der jeweiligen Branche und (c) in einer großen Zahl von der Art der Geschäftsführung ab. Zu (a) und (b): Es existieren (noch) Branchen, die per se aufgrund der allgemeinen Entwicklungen an sich keine Möglichkeit mehr haben, sich am Markt zu behaupten, da deren Geschäftsmodell überholt ist. Hierzu zählen z.B. tradierte Möbeltischlereien, die mit Billig-Möbelherstellern, wie IKEA etc. preis- und produktmäßig nicht konkurrieren können, klassische Teppichhändler etc. Zudem gibt es Unternehmen, deren Produkte regelmäßig nur bei guter Konjunkturlage nachgefragt werden. Hierzu zählen etwa Luxusgüter. Sobald sich diese abflacht, sei es aufgrund von Konkurrenz auf dem Weltmarkt, sei es aufgrund anderer Faktoren, sinken auch die Umsätze und Gewinne bzw. steigen die Verluste.  Was (c), die Art der Geschäftsführung angeht, so belegt die empirische Krisenursachenforschung, dass in einer Vielzahl der Fälle – unabhängig von der Branche oder Wirtschaftslage – insbesondere strukturelle Mängel und/oder Führungsmängel zu Insolvenzen führen. Dies kann unterschiedliche Ausgestaltungen haben, bspw. weil die Führungsebene in einem überholten Führungsstil verhaftet ist, oder aber, dass sie mit den technischen Möglichkeiten aufgrund von Berührungsängsten nicht Schritt hält oder aber auch fehlender Konsequenz im Personalbereich etc.

Corona paradox: Experten betonen, dass eine weitere Insolvenzwelle möglicherweise ausbleibe. Könnte das bei der jetzigen Wirtschaftsentwicklung der Fall sein?

Dr. Franc Zimmermann: Eine Insolvenzwelle gab es in Pandemiezeiten bislang nicht. Diese sollte ja auch gerade durch die oben genannten Maßnahmen verhindert werden. Nach meiner Einschätzung ist auch nicht von einer anstehenden „Insolvenzwelle“ auszugehen, sondern von einer Normalisierung der Fallzahlen im Jahr 2022 auf Vor-Pandemie-Niveau und vielleicht – dann post-pandemiebedingt – etwas erhöht, was sich dann im Jahr 2023 wieder ausgeglichen haben dürfte.

Herr Zimmermann, vielen Dank für das Gespräch!

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