Dr. Nils Harnischmacher: Viele Produkte könnten teurer werden

Interview mit Dr. Nils Harnischmacher
Dr. Nils Harnischmacher ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei HARNISCHMACHER LÖER WENSING in Münster. Mit ihm sprechen wir über Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, Schutz von Rechtspositionen sowie mittelständische Unternehmen.

Ein neues Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) wurde vom Bundestag verabschiedet werden. Was ändert sich konkret?

Dr. Nils Harnischmacher: Nach kontrovers geführten Diskussionen wurde das „Gesetz über die unternehmerische Sorgfalt bei Lieferketten“ am 25.06.2021 vom Bundesrat verabschiedet und am 22.07.2021 im Bundesgesetzblatt 2021, Teil I Nr. 46 veröffentlicht. Am 01.01.2023 tritt das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft. Mit dem LkSG existiert ein weiteres Gesetz für Unternehmen, das als „Neuland“ bezeichnet werden kann, wie es auch schon das Geheimnisschutz-Gesetz oder das (für die Zukunft geplante) Verbandssanktionengesetz oder die Whistleblower-Richtlinie sind. All diese Gesetze sollen Rechtspositionen schützen, deren Schutz bislang nicht hinreichend ausgestaltet gewesen sein soll. Insoweit setzt sich mit dem LkSG die Einarbeitung der Unternehmen in „neue Compliance-Gesetze“ und deren Umsetzung in die unternehmerische Praxis fort. Letztendlich bedeutet dies, dass jedes Unternehmen sein „Compliance-Management-System“ entsprechend auch der Vorgaben des LkSG auszurichten hat. Mit dem LkSG soll die Einhaltung international anerkannter Menschenrechte und umweltbezogener Pflichten in globalen Lieferketten sichergestellt werden. Die adressierten Unternehmen sind verpflichtet, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten, mit dem Ziel, menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken vorzubeugen und sie zu minimieren oder die Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu beenden (§ 3 Abs. 1 LkSG). Die menschenrechts- und umweltbezogenen Pflichten werden im LkSG insbesondere anhand von völkerrechtlichen Verträgen und Abkommen definiert. Zu den menschenrechtlichen Risiken gehören z.B. Kinderarbeit, Sklaverei, Verstoß gegen Mindeststandards bei Arbeitszeiten und Arbeitssicherheit, unangemessen niedrige Löhne. Zu den umweltbezogenen Risiken gehören insbesondere die Verwendung und Verarbeitung von Quecksilber und anderen persistenten organischen Schadstoffen. Bei den Sorgfaltspflichten handelt es sich um „Bemühenspflichten“. Bemühenspflichten sind keine Erfolgspflichten. Merkmal einer Bemühenspflicht ist, dass sie Unternehmen durch Auferlegung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht zum Tätigwerden aktiviert. Zusammengefasst lassen sich die Sorgfaltspflichten einordnen in: interne Dokumentations- und externe Berichtspflichten, Risikoanalyse, Präventionsmaßnahmen, Risikomanagement, Abhilfemaßnahmen (§ 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ff. LkSG). Bei der Umsetzung dieser Sorgfaltspflichten gilt der Grundsatz der Angemessenheit, d.h. die Maßnahmen, die zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten im Unternehmen implementiert werden müssen, bestimmen sich nach Art und Umfang der Geschäftstätigkeit, der zu erwartenden Schwere der Verletzung etc. (§ 3 Abs. 2 LkSG). Grundsätzlich gilt: „von keinem Unternehmen darf etwas rechtlich und tatsächlich Unmögliches verlangt werden.“ Fraglich ist, ob die Unbestimmtheit der Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die hohen Bußgeldandrohungen dem Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) Stand hält. Für die Durchsetzung des LkSG sind verschiedene Möglichkeiten vorgesehen. Einen eigenen zivilrechtlichen Haftungstatbestand für Opfer von Verletzungen der Sorgfaltspflichten sieht das LkSG nicht vor. Vielmehr bleibt eine zivilrechtliche Haftung unberührt (§ 3 Abs. 3 LkSG). Allerdings ist eine gewillkürte Prozessstandschaft für inländischen Gewerkschaften und NGO´s (Nichtregierungsorganisationen) vorgesehen. Jedoch nur, wenn ein berechtigtes Interesse vorliegt, d.h. eine überragend wichtige Rechtsposition verletzt ist (§ 11 LkSG). Für die behördliche Kontrolle zuständig ist das BAFA (§ 19 LkSG). Zu dieser Kontrolle gehört insbesondere die jährliche Vorlage des menschenrechtlichen Unternehmensberichts (§ 13 Abs. 1 LkSG). Werden die Sorgfaltspflichten nicht hinreichend umgesetzt, drohen ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen, unter anderem ein Bußgeld bis zu 8 Mio. Euro oder 2 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes (§ 24 LkSG). Zudem ist ausdrücklich der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge als Sanktion vorgesehen (§ 22 LkSG). In seiner Systematik ähnelt das LkSG dem System des Verbandssanktionengesetzes (im Entwurf).

Welche Auswirkungen hat das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) auf Zulieferer in Schwellenländern?

Dr. Nils Harnischmacher: Insbesondere die Ausgestaltung von Verträgen wird bei der Umsetzung des LkSG eine besondere Rolle spielen. Anhand von Verträgen kann von Zulieferern aus Schwellenländern unter Verweis auf das LkSG die Einhaltung internationaler Umwelt- und Sozialstandards verlangt und damit deren Einhaltung sichergestellt werden – zumindest in Theorie. In der Praxis ist fraglich, ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wird, insbesondere bei langen, komplexen Lieferbeziehungen, die bereits heute nur schwer verständlich organisiert sind und von den Behörden, insbesondere den Bußgeldbehörden, daher nur schwer durchdrungen werden dürften. Mittelbare Zulieferer werden nur bei Umgehungskonstellationen (also Strohmanngeschäften, § 5 Abs. 1 Satz 2 LkSG) einbezogen oder wenn das Unternehmen substantiierte Kenntnis hat, also tatsächliche Anhaltspunkte für eine Verletzung von menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Pflichten möglich erscheinen lassen. Gewährleistet werden soll diese Kenntnis durch die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens (§ 9 Abs. 3 LkSG).

Welche Effekte hat das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) für ArbeiternehmerInnen in Deutschland?

Dr. Nils Harnischmacher: Betroffen vom LkSG sind alle MitarbeiterInnen, die in die Umsetzung des LkSG im Unternehmen involviert sind. Dazu gehören die Geschäftsleitung, der „Menschenrechtsbeauftragte“ sowie die MitarbeiterInnen fast aller Abteilungen, die in der Beschaffung tätig sind, also insbesondere der Einkauf, aber auch der Vertrieb, der Kontakt zu Kunden hat, die die Einhaltung des LkSG ggfs. vertraglich fordern. Fraglich ist, ob die eigenen MitarbeiterInnen vom LkSG geschützt werden. § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 LkSG sieht zwar die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbetrieb vor. Dies bedeutet gemäß § 6 Abs. 3 LkSG jedoch nur, die Umsetzung der Sorgfaltspflichten im eigenen Unternehmen, z.B. durch Schulungen der in das LkSG involvierten MitarbeiterInnen.

Fallen auch mittelständische Unternehmen unter das neue Gesetz?

Dr. Nils Harnischmacher: Das LkSG, das ab dem 01.01.2023 gilt, ist anzuwenden auf Unternehmen, ungeachtet ihrer Rechtsform, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben und in der Regel mindestens 3.000 ArbeitnehmerInnen im Inland beschäftigen. In das Ausland entsandte Arbeitnehmer sind erfasst (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LkSG). Abweichend davon ist das LkSG auch anzuwenden auf Unternehmen, die eine Zweigniederlassung gemäß § 13d HGB im Inland haben und in der Regel mindestens 3.000 ArbeitnehmerInnen im Inland beschäftigen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 LkSG). Ab dem 01.01.2024 betragen die Schwellenwerte 1.000 ArbeitnehmerInnen (§ 1 Abs. 1 Satz 3 LkSG). LeiharbeitnehmerInnen sind bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl des Entleihunternehmens zu berücksichtigen, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt (§ 1 Abs. 2 LkSG). Innerhalb von verbundenen Unternehmen (§ 15 AktG) sind die im Inland beschäftigten ArbeitnehmerInnen sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl der Obergesellschaft zu berücksichtigen. In das Ausland entsandte ArbeitnehmerInnen sind erfasst (§ 1 Abs. 3 LkSG). Bei einem bestimmenden Einfluss zählen die konzernangehörigen Unternehmen zum eigenen Geschäftsbereich der Obergesellschaft (§ 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG). Ausgehend von der gängigen Definition eines mittelständischen Unternehmens von weniger als 250 Mitarbeitern sind diese vom Wortlaut her vom LkSG nicht betroffen. Dies ist jedoch nicht zutreffend. Über eine Konzernzugehörigkeit werden auch mittelständische Unternehmen vom LkSG erfasst. Zudem werden kleine und mittelgroße Unternehmen vom LkSG betroffen sein, weil Unternehmen, die unmittelbar zur Einhaltung des LkSG verpflichtet sind, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften des LkSG in der Lieferkette vertraglich an die kleinen und großen Unternehmen weitergeben werden („trickle-down-Effekt“).

Werden Konsumenten/Kunden von dem Gesetz beeinträchtigt, inwiefern?

Dr. Nils Harnischmacher: Neben vielen anderen aktuellen Faktoren (fehlende Rohstoffe, gestiegene Seefrachtraten etc.) kann auch das LkSG dazu führen, dass Produkte teurer werden. Ob dies tatsächlich so ist, bleibt abzuwarten und hängt von der jeweiligen Branche ab und wie bei jedem Gesetz auch davon, wieviel „Vorarbeit“ bereits geleistet wurde, auch ohne das LkSG.

Herr Harnischmacher, vielen Dank für das Gespräch!

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