„Eingriffe in die Intimsphäre sind stets rechtswidrig“ – Rechtsanwalt Jascha Aust

Interview mit Jascha Aust
Im Interview spricht Rechtsanwalt Jascha Aust über die Grenzen der Meinungsfreiheit, Einstweilige Verfügungen und Sorgfaltspflichten von Journalisten.  

Veröffentlichungen im Internet sorgen regelmäßig für rechtliche Auseinandersetzungen. Welche Grenze haben Gesetzgeber und Gerichte zwischen Öffentlichem Interesse und Persönlichkeitsrechten gezogen?

Jascha Aust: Im Spannungsverhältnis stehen in diesen Fällen häufig das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) mit den Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 GG, insbesondere mit der Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit. Gesetzgeber und Gerichte entscheiden dieses Spannungsverhältnis in jedem Einzelfall im Wege einer umfassenden Güterabwägung. Bei der Gesamtabwägung ist laut Bundesverfassungsgericht die schlechthin konstituierende Bedeutung für den demokratischen Meinungsbildungsprozess maßgeblich zu berücksichtigen. Diese besondere Bedeutung verleiht dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung allerdings keinen generellen Vorrang gegenüber kollidierenden Persönlichkeitsrechten. Erforderlich ist stets eine umfassende Güterwägung, in der die besondere Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 GG für den individuellen und öffentlichen Kommunikationsprozess zu berücksichtigen ist.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit erfolgreich gegen unliebsame Berichterstattung vorgegangen werden kann?

Jascha Aust: Möglich ist ein Vorgehen gegen unliebsame Berichtserstattung vor allem, wenn unwahre Tatsachenbehauptungen oder Schmähkritik vorliegen. Weiter kommt ein Vorgehen gegen unliebsame Berichterstattung in Betracht, sofern das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Rahmen der Güterabwägung überwiegt.

Wie ist der Ablauf, um eine Einstweilige Verfügung zu erwirken?

Jascha Aust: Eine einstweilige Verfügung ergeht auf Antrag. Findet keine mündliche Verhandlung statt, ergeht die einstweilige Verfügung durch Beschluss, andernfalls durch Urteil. Aus mehreren Gründen empfiehlt es sich allerdings, vor dem entsprechenden Antrag die Gegenseite außergerichtlich abzumahnen. Tut man es nämlich nicht und erkennt die Gegenseite im Rahmen einer schriftlichen Anhörung durch das Gericht sofort an, kann den Antragsteller die negative Kostenfolge des § 93 ZPO treffen. Hat das Gericht die einstweilige Verfügung erlassen, muss diese innerhalb von einem Monat ab Zugang des Beschlusses oder ab Verkündung des Urteils im Parteibetrieb oder von Anwalt zu Anwalt zugestellt werden.

Wie lange dauert ein solcher Prozess und welche Fristen sind zu beachten?

Jascha Aust: Eine einstweilige Verfügung ergeht normalerweise innerhalb weniger Tage bis zwei Wochen, abhängig davon, ob eine mündliche Verhandlung stattfindet oder nicht. Wer eine einstweilige Verfügung erwirken möchte, sollte mit dem entsprechenden Antrag nicht zu lange warten, weil das Gericht andernfalls den Verfügungsgrund aufgrund eines sogenannten dringlichkeitsschädlichen Zuwartens verneint. Die Rechtsprechung der Gerichte ist in diesem Punkt allerdings nicht einheitlich. Während also beispielsweise das Oberlandesgericht Nürnberg bereits ein Zuwarten von mehr als einem Monat als dringlichkeitsschädlich erachtet, sieht das Berliner Kammergericht erst ein Zuwarten von mehr als zwei Monaten als dringlichkeitsschädlich an.

Ist es möglich Schadenersatzsprüche gegen die Urheber von negativer Berichterstattung geltend zu machen?

Jascha Aust: Schadensersatz wird im deutschen Recht grundsätzlich nur zugesprochen, wenn nachweislich ein Schaden entstanden ist. Wegen verletzender Äußerungen kann ausnahmsweise eine Geldentschädigung, oft auch als Schmerzensgeld bezeichnet, zugesprochen werden. Im Bereich des Äußerungsrechts ist jedoch zu beachten, dass die grundlegenden Kommunikationsfreiheiten gefährdet wären, wenn jede Persönlichkeitsrechtsverletzung die Gefahr einer Verpflichtung zur Zahlung einer Geldentschädigung nach sich ziehen würde. Die Zuerkennung einer Geldentschädigung kommt folglich nur dann als letztes Mittel in Betracht, wenn die Persönlichkeit tatsächlich in ihrem Kern betroffen ist.

Aus Sicht eines Urhebers kritischer Berichterstattung: Ist es ratsam eine Unterlassungsaufforderung zu unterschreiben, wenn diese zugestellt wird?

Jascha Aust: Ohne vorherige rechtliche Prüfung ist es nicht zu empfehlen, eine von der Gegenseite vorformulierte Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Der Hintergrund ist, dass vorformulierte Unterlassungserklärungen oftmals zu weitgehend sind und auch zulässige Berichterstattung erfassen. Im Rahmen einer rechtlichen Prüfung ist insbesondere zu klären, ob überhaupt eine Unterlassungserklärung abgegeben werden soll und falls ja, ob die vorformulierte Unterlassungserklärung der Gegenseite zu modifizieren ist, was in den meisten Fällen bejaht werden kann.

Was ist zu tun, wenn eine Einstweilige Verfügung ins Haus flattert? 

Jascha Aust: Es bestehen in diesen Fällen verschiedene Reaktionsmöglichkeiten. Abhängig vom Streitgegenstand kann die Abgabe einer Abschlusserklärung, ein Kostenwiderspruch nebst Abgabe einer Abschlusserklärung, ein Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung, ein Antrag auf Erzwingung der Hauptsacheklage oder ein Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen veränderter Umstände in Betracht kommen. In jedem Fall empfiehlt sich eine Reaktion innerhalb von zwei Wochen, weil die Gegenseite andernfalls anwaltlich zur Abgabe einer Abschlusserklärung auffordern kann und man dann die Kosten für dieses anwaltliche Schreiben zu tragen hat. Diese Kostenfolge greift dann unabhängig davon, ob man eine Abschlusserklärung abgeben möchte oder nicht.

Was sollten Journalisten beachten, damit die Berichterstattung rechtssicher ist?

Jascha Aust: Journalisten sollten vor Veröffentlichung prüfen, ob durch die jeweilige Berichterstattung Persönlichkeitsrechte betroffen sein können. Zu unterscheiden ist zwischen der Öffentlichkeitssphäre, der Sozialsphäre, der Privatsphäre und der Intimsphäre. Die Öffentlichkeitssphäre ist der Bereich, in dem sich der Einzelne bewusst der Öffentlichkeit zuwendet, zum Beispiel durch öffentliche Äußerungen. Die Öffentlichkeitssphäre genießt den schwächsten Schutz.

Die Sozialsphäre ist der Bereich, in dem sich der Mensch als „soziales Wesen“ im Austausch mit anderen Menschen befindet. Hierzu zählt insbesondere die berufliche, politische oder ehrenamtliche Tätigkeit. Die Sozialsphäre ist gegen Veröffentlichungen relativ schwach geschützt, sodass Eingriffe in die Sozialsphäre grundsätzlich zulässig sind, sofern nicht ausnahmsweise Umstände hinzutreten, die den Persönlichkeitsschutz im Einzelfall überwiegen lassen.

Die Privatsphäre wird einerseits räumlich (z.B. das Leben im häuslichen Bereich, im Familienkreis), andererseits aber auch gegenständlich (also typischerweise privat bleibende Sachverhalte) definiert. Eingriffe in die Privatsphäre sind grundsätzlich unzulässig, sofern nicht ausnahmsweise Umstände hinzutreten, die die gegenläufigen Interessen überwiegen lassen. Als Beispiel genannt werden können Presseveröffentlichungen aus dem Privatleben von Politikern, falls ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse besteht. Eingriffe in die Intimsphäre, also in die innere Gedanken- und Gefühlswelt sowie den Sexualbereich, sind stets rechtswidrig.

Herr Aust, vielen Dank für das Gespräch.

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