„Für Abzocker ist es zu einfach in Deutschland“ – Mario Poberzin (Kälberer & Tittel)

Interview mit Mario Poberzin
Mario Poberzin ist Partner der Kanzlei Kälberer & Tittel Partnerschaftsgesellschaft mbB. Im Interview spricht der Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht über Kapitalanlagebetrug in Deutschland und die Voraussetzung für Schadenersatzklagen gegen Vermittler, Banken und Vorstände.

Wirecard, P&R und S&K sind nur die prominentesten Beispiele von Kapitalanlagebetrügereien in den letzten Jahren. Wird es Abzockern in Deutschland gemacht?

Mario Poberzin: Anlagebetrüger brauchen in Deutschland kaum etwas befürchten. Strafrechtlich muss man die Absicht nachweisen, dass der „Betrüger“ andere schädigen wollte. Dies ist oft kaum möglich, da z.B. die drei oben genannten Gesellschaften sicher nicht mit dem Ziel „Betrug“ gegründet wurden, sondern zunächst auf ein tragbares Geschäftsmodell gesetzt haben, was irgendwann nicht mehr funktionierte und dann „schleichend“ zum Betrugsmodell wurde. Wer das einigermaßen clever macht, viele Firmen dazwischenschaltet und das Geld am besten noch ins Ausland schafft, wird dabei oft straffrei bleiben, weil am Ende des Ermittlungsverfahrens die vermeintliche Erkenntnis steht, dass sich nur das Geschäftsmodell nicht gerechnet hat das Unternehmen deswegen gescheitert ist. Dazu kommen Staatsanwaltschaften, die solch komplexe Systeme nicht durchschauen. Sie haben kein Personal, um gründliche Ermittlungen durchzuführen und bei grenzüberschreiteneden Sachverhalten sind sie auf die Hilfe der jeweiligen Ermittlungsbehörden vor Ort angewiesen. Ja, für Abzocker ist es zu einfach in Deutschland! 

Die BaFin wird häufig für zu langsamen und unentschlossenes Vorgehen bei dem Verdacht auf Kapitalanlagebetrug kritisiert. Auch im Fall Wirecard hat die BaFin lieber gegen Journalisten als das Unternehmen ermittelt. Was läuft schief bei der Finanzmarktaufsicht?

Mario Poberzin: Die Aufgabe der BaFin ist die Aufsicht über Banken, Versicherungen und den Handel mit Wertpapieren in Deutschland. Bei Wirecard selbst unterlag nur ein Tochterunternehmen der Aufsicht der Bafin, die Wirecard Bank AG, da sie über eine Banklizenz verfügte. Die übrigen Gesellschaften konnten der Aufsicht entgehen, da sie keinem der Aufgabenbereiche der BaFin direkt zugeordnet waren. Wenn Journalisten kritisch über ein Unternehmen berichten, unterliegt dies dem Bereich der „Aufsicht über den Handel mit Wertpapieren“, da diese Enthüllungen Kursrelevanz haben und die BaFin das Vertrauen in die Finanzmärkte und den darin agierenden Gesellschaften sichern soll. Es ist insofern normal, dass die Aufsicht hier genauer hinschaut. Es wurde schon 2008 wurde auf falsche Bilanzen hingewiesen und in Foren und Presse berichtet. Dies wurde aber auch zur Kursmanipulation ausgenutzt. Damit lässt sich auch ein Leerverkaufsverbot wie im Jahr 2019 begründen. 

Die BaFin hätte aus meiner Sicht dennoch besser hinschauen und in beide Richtungen untersuchen müssen, weil auch der Wahrheitsgehalt solcher Aussagen zum Vertrauen in den Finanzmarkt beiträgt. Der Gesetzgeber muss allerdings aus meiner Sicht aktiv werden und die BaFin mit mehr Möglichkeiten ausstatten, um wirksamere Kontrollen durchzuführen. Die Bafin prüft Börsenprospekte z.B. nur auf formale Fehler und nicht inhaltlich. Inhaltliche Fehler werden später in den zahlreichen Anlegerprozessen vor Gericht geprüft. So manches Geschäftsmodell könnte schon bei der bei der BaFin scheitern, wenn der Unternehmer die Tragfähigkeit seines Geschäftsmodells darlegen und der BaFin erklären muss, warum so viele Zwischengesellschaften eingeschaltet werden müssen, die mit dem Initiator verbunden sind und Kapital aus dem Projekt ziehen. 

Die Wirtschaftsprüfer von EY stehen derzeit im Fokus der Vorwürfe. Ist es möglich gegen die Wirtschaftsprüfer Schadenersatzansprüche durchzusetzen? Auf welcher Rechtsgrundlage?

Mario Poberzin: Ein Anspruch eines Anlegers kann sich gegen EY nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung ergeben. Dies kommt in Betracht, wenn der Bestätigungsvermerk nicht nur unrichtig ist, sondern der EY seine Aufgabe nachlässig erledigt hat, z.B. durch unzureichende Ermittlungen oder durch Angaben ins Blaue hinein und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag gelegt hat, die angesichts der Bedeutung des Bestätigungsvermerks für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint. Hier eine gesicherte Prognose abzugeben ist allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum möglich. EY würde bei fahrlässigem Verhalten nur sehr eingeschränkt mit vier Millionen Euro haften und daher ist ein (bedingt) vorsätzliches Verhalten vor Gericht darzulegen und zu beweisen. 

Neben den Verantwortlichen gehen Rechtsanwälte im Schadensfall häufig auch gegen Vermittler von Kapitalanlagen vor. Was sind die einschlägigen Prüfpflichten von Finanzberatern?

Mario Poberzin: Der Bundesgerichtshof hat die Prüfpflichten in der „Bond-Entscheidung“ unter der Überschrift anleger- und anlagegerechte Beratung definiert. Danach sind bei der Anlageberatung einerseits die Umstände in der Person des Kunden, zu denen insbesondere dessen Wissensstand über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art und dessen Risikobereitschaft gehören, zu berücksichtigen („anlegergerechte Beratung“). Andererseits hat sich die Beratung in Bezug auf das Anlageobjekt auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Anlage Entscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können („anlagegerechte Beratung“). 

Gerade im letzten Punkt ist zwischen einer Beratung durch eine Bank und durch einen freien Anlagevermittler zu unterscheiden. Banken müssen mit bankenüblichem kritischem Sachverstand prüfen. In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich die Prüfung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Dabei ist zwischen den allgemeinen Risiken (Konjunkturlage, Entwicklung des Börsen- oder Fondsmarktes) und den speziellen Risiken zu unterscheiden, die sich aus den individuellen Gegebenheiten des Anlageobjektes (Kurs-, Zins- und Währungsrisiko etc.) ergeben. Für den Umfang der Beratung ist hier insbesondere von Bedeutung, ob die beratende Bank das Anlageobjekt in ein von ihr zusammengestelltes Anlageprogramm aufgenommen und sie dieses zur Grundlage ihrer Beratung gemacht hat. Jedenfalls die in ihr Anlageprogramm aufgenommenen Anlageprodukte muss sie einer eigenen und kritischen Prüfung unterziehen. Der Anlageinteressent darf davon ausgehen, dass seine ihn beratende Bank, der er sich anvertraut, die von ihr in ihr Anlageprogramm aufgenommenen Kapitalanlagen selbst als „gut“ befunden hat.

Der freie Anlagevermittler muss hingegen nur auf Plausibilität und insbesondere die wirtschaftliche Tragfähigkeit hin überprüfen. Er muss nur prüfen, ob das im Prospekt dargestellte wirtschaftlich plausibel ist und nicht den „Markt“ drum herum erforschen. Dies macht die Haftungsprozesse gegen freie Anlagevermittler in Betrugsfällen oft schwerer, da sich der Betrug oft nicht direkt aus dem Prospekt ergibt, sondern erst, wenn erst wenn man weitere Nachforschungen im Umfeld der Unternehmen anstellt. Die Plausibilität ergibt sich oft mit den „schön“ gerechneten Prognosen, die nur eingeschränkt überprüfbar sind.

Auch die Hausbanken von betrügerischen Unternehmen können gegebenenfalls schadenersatzpflichtig sein. Welche Voraussetzungen müssen Banken erfüllen, damit sie in Haftung genommen werden können?

Mario Poberzin: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann eine Bank dann haften, wenn Sie einen die Aufklärungspflicht auslösenden konkreten Wissensvorsprung hat und mit Schädiger wissentlich zusammenarbeitet. Dies ist eine Rechtsprechung, die im Zusammenhang mit den sogenannten „Schrottimmobilien“ entwickelt wurde. Für den Komplex Wirecard sehe ich hier aber noch keine Anhaltspunkte, dass Banken Aktionäre zum Kauf von Aktien bewegt haben. Die „Hausbank“ ist durch den Bilanzskandal selbst geschädigt, da sie meist Kredite ausgegeben hat, für die das Unternehmen haftet und nicht wie bei einer Schrottimmobilie der Anleger. 

Welche Anspruchsgegner kommen noch in Frage, um Schadenersatz geltend zu machen?

Mario Poberzin: Neben dem Unternehmen selbst auch die handelnden Vorstände. 

Welche sind derzeit die beliebtesten Maschen, um Menschen um ihre Ersparnisse zu betrügen?

Mario Poberzin: Wir beobachten immer wieder Anlagemodelle in denen Anleger in ihren Ängsten bestärkt werden, dass sie vorhandenes Kapital verlieren oder einen vermeintlichen Boom verpassen, wenn sie nicht schnell investieren. Im Rahmen der Euro-Krise funktionierte z.B. in Berlin ein Anlagemodell in Gold sehr gut für den Initiator. Es wurde Gold verkauft, welches tatsächlich nicht existierte und der Anleger bemerkte es nicht, da es angeblich im Ausland gelagert wurde. Das System kippte irgendwann, da immer mehr Anleger das Gold wieder verkaufen wollten und nicht genug Neuinvestitionen nachgekommen waren, da sich die Krise um den Euro wieder beruhigte. Die Angst vor dem Währungsverfall trieb die Anleger direkt in die Hände von Betrügern, die ihnen den Werterhalt in einem der ältesten Sachwerte versprochen haben.

Im Bereich der Kapitalmärkte sind derzeit immer mehr zwielichtige Trading- und Brokerseiten zu finden. Diese locken Anleger mit Bonuszahlungen für die ersten Einzahlungen und sammeln so Geld ein. Die ersten Geschäfte laufen vermeintlich gut und wenn es daran geht, die Gewinne auszuzahlen, wird meist mit der Begründung, dass die Gewinne aus dem Bonus stammen, noch mehr eigenes Geld gefordert. Viele Anleger verlieren dann die Kontrolle und zahlen hohe Summen ein, weil sie ja schon eine hohe Summe „gewonnen“ haben. An das Kapital kommt man danach oft nicht mehr heran. Die Unternehmen sitzen im Ausland, oft auf Zypern. 

Worauf sollten Kapitalanleger achten, um nicht auf Schneeballsysteme und betrügerische Angebote hereinzufallen?

Mario Poberzin: Sie sollten das Geschäftsmodell hinterfragen und eigene Recherchen anstellen. Wenn es einmal gut gegangen ist, sollte man die Gewinne mitnehmen und nicht im Ganzen reinvestieren. Schneeballsysteme funktionieren nur so gut, weil alle an das Modell glauben. P&R hat über Jahre funktioniert, weil fällige Anlagegelder direkt wieder angelegt wurden – meist mit samt der Gewinne. Wichtig ist auch, nicht auf vermeintlich benötigte Nachschüsse in Form eines echten Nachschusses reagieren. Wenn kein Geld mehr aus der Anlage herausfließt, weil sie in Schieflage geraten ist, hilft auch das neue Kapital meist wenig. Oft verlängert es nur das Leiden der Anleger und vergrößert die Beute der Betrüger.

Anleger sollten bei Zinsversprechen hinterfragen, ob diese auch realistisch sind. Bei allzu üppiger versprochener Verzinsung sollten Sie misstrauisch werden. Dann ist entweder das Anlagemodell hoch riskant oder es steckt ein gezielter Betrug dahinter. Warum sollte jemand ohne Risiko mehr Zinsen zahlen als andere? Keiner hat etwas zu verschenken. Skepsis sollte auch immer dann aufkommen, wenn der Anlageberater von einer einmaligen Chance spricht und alles ganz schnell gehen muss, weil es nur noch wenige Möglichkeiten für das Investment gibt. Ziel dieser Masche ist, dass der Anleger erst gar nicht zum vernünftigen Überlegen kommt. Anleger können auch die BaFin befragen. Anbieter, die die Rückzahlung Ihrer Einlagen mit Zinsen versprechen, benötigen dafür eine Genehmigung der BaFin. Wenn diese nicht vorliegt, Finger weg!

Herr Poberzin, vielen Dank für das Gespräch.

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