Jan Vorwerg: Der unübersichtliche Schilderwald

Interview mit Jan Vorwerg
Jan Vorwerg ist Rechtsanwalt in Leipzig. Mit ihm sprechen wir über die Aufgaben als Anwalt für Verkehrsrecht, das Abschließen einer Rechtsschutzversicherung sowie den Verlust des Führerscheins bei Überschreitung der Punkte in Flensburg.

Das Verkehrsrecht als Teil des Verkehrswesens umfasst die Bereiche „öffentliches Recht“ und „Privatrecht“. Als Anwalt für Verkehrsrecht beschäftigt man sich aber vor allem mit „Verkehrssündern“, oder ist das ein Vorurteil?

Jan Vorwerg: Als Fachanwalt für Verkehrsrecht ist man auf dem Gebiet des Zivilrechts tätig (bspw. Ansprüche nach Verkehrsunfällen) sowie auf dem Gebiet des Ordnungswidrigkeitsrechts (Blitzer usw.) und des Strafrechts (bspw. unerlaubtes Entfernen vom Unfallort). Das Rechtsgebiet des öffentlichen Rechts spielt nahezu keine Rolle. Natürlich hat man mit so genannten Verkehrssündern zu tun, aber genauso oft auch mit Geschädigten nach einem Verkehrsunfall, wenn es bspw. um die Durchsetzung eines angemessenen Schmerzensgeldes geht.

Der Bußgeldkatalog wurde im April dieses Jahres erst verschärft, dann aber wie entschärft. Gab es plötzlich zu viele Vergehen und zu viel bürokratischen Aufwand, oder was war der Grund?

Jan Vorwerg: Der Bußgeldkatalog mit den drastischen Verschärfungen bei Fahrverboten stand von Anfang an in der Kritik und sollte eigentlich schon vor diesem Hintergrund überarbeitet werden. Zwischenzeitlich stellte sich ein Formmangel beim Erlass heraus, den man dann als sicher nicht unwillkommene Möglichkeit heranzog, den neuen Bußgeldkatalog zu kippen. Im Ergebnis war das sicher eine richtige Entscheidung, denn die Verschärfungen richteten sich nicht gegen die wirklichen Verkehrsrowdys. Stattdessen hätte es bspw. in Städten „Otto Normalverbraucher“ sofort in den Bereich eines Fahrverbotes gebracht, wenn bspw. innerstädtisch mal ein 30 km/h – Schild übersehen worden wäre, was in dem mitunter fragwürdigen und unübersichtlichen Schilderwald schon bei einfacher Fahrlässigkeit schnell passieren kann.

Ist es erlaubt, dass ich als Unfallverursacher dem Unfallgegner einen Zettel an die Scheibe hänge, wenn dieser nicht auffindbar ist?

Jan Vorwerg: Der berühmte Zettel an der Scheibe genügt nicht. Ich muss am Unfallort zunächst eine angemessene Wartezeit verbleiben. In der Regel dürfte eine halbe Stunde ausreichend sein. Wenn dann niemand kommt, muss man die Polizei rufen. Entweder kommt die Polizei zum Unfallort oder man begibt sich umgehend zur nächstgelegenen Polizeidienststelle, um den Unfall dort zu melden. Durch ein anderes Verhalten, wie bspw. nur einen Zettel unter den Scheibenwischer, macht man sich in der Regel strafbar.

Kann ich die Aufnahmen meiner „Dash-Cam“ (Cockpit-Kamera) als Beweis anführen, wenn es z.B. um die Schuldfrage bei einem Unfall geht?

Jan Vorwerg: Das ist grundsätzlich möglich und ich habe das als Anwalt auch schon mehrfach praktiziert. Vor Gericht könnte jedoch je nach Einzelfall ein Beweisverwertungsverbot vorliegen, sofern durch den Gebrauch der Dash-Cam erheblich gegen Datenschutzgesetze verstoßen wurde. In den allermeisten Fällen dürfte dies aber nicht der Fall sein. 

Wenn ich keine Rechtsschutz-Versicherung habe, muss ich dann einen Anwalt bezahlen, auch wenn ich Geschädigter bin, oder zahlt das die gegnerische Versicherung?

Jan Vorwerg: Sofern den Unfallgegner die Haftung trifft, man demnach unverschuldet Geschädigter eines Unfalls wurde, sind die bei der Durchsetzung von Ansprüchen entstehenden Anwaltskosten auch vom Schädiger bzw. dessen Versicherer zu tragen. Das ist absolut herrschende Rechtsprechung und dort machen Haftpflichtversicherer auch keine Probleme. Eine Rechtsschutzversicherung sollte ich dann haben, wenn man sich bspw. um das Verschulden am Unfall streitet, was häufig genug vorkommt.

Lohnt es sich, ein „Blitzerfoto“ anzuzweifeln und gegen den Bescheid von der Bußgeldstelle vorzugehen?

Jan Vorwerg: Das kann man allein anhand des Fotos oder des Bußgeldbescheides nicht beurteilen. Hierfür muss ein Anwalt mit einer Vollmacht des Betroffenen bei der Behörde Akteneinsicht nehmen, was natürlich Geld kostet, da nicht zuletzt auch an die Behörde die Aktenversendungspauschale zu zahlen ist. Erst dann ist eine seriöse Einschätzung möglich. Sofern gewisse Internetportale „kostenlose“ Prüfungen nur anhand von Bußgeldbescheiden anbieten, dann halte ich das für Unsinn und eher „Mandantenfang“. Ohne Kenntnis der Ermittlungsakte weiß man in vielen Fällen noch nicht einmal, mit welchem Messgerät gemessen wurde, geschweige denn ob dieses geeicht war. Ebenso weiß man nicht, was im Messprotokoll steht und wie das Originalfoto aussieht. Von daher empfiehlt sich der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung, die als reiner Verkehrsrechtsschutz keine 100,00 € pro Jahr kostet. Dann kann man sich auch vernünftig verteidigen lassen. 

Wenn ich acht Punkte in Flensburg angesammelt habe, verliere ich dann sofort meine Fahrerlaubnis? Für wie lange, und wie kann ich diese zurückbekommen?

Jan Vorwerg: Beim Erreichen von acht Punkten wird die Fahrerlaubnis entzogen. Da gibt es auch keinen Spielraum und keine „Gnade“. Ebenso interessiert dort auch nicht, ob man auf die Fahrerlaubnis beruflich angewiesen ist.

Die Mindestsperre beträgt sechs Monate. Man bekommt dann aber nicht seinen alten Führerschein zurück, sondern muss die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis beantragen. Dafür ist Voraussetzung, dass man erfolgreich eine Medizinisch Psychologische Untersuchung (MPU), im Volksmund „Idiotentest“ genannt, absolviert.

Herr Vorwerg, vielen Dank für das Gespräch.

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