Der Ruf der BaFin, Deutschlands oberster Finanzaufsichtsbehörde hat in den letzten Jahren stark gelitten. Auf Finanzskandale will man in Zukunft verzichten. Ist das der Grund, weshalb bei Start-Ups in Zukunft höhere Eigenmittelanforderungen gefordert werden, um bereits beim Zulassungszeitpunkt eine höhere Eigenkapitalquote zu erreichen?
Karen Halfbrodt: Das würde ich so pauschal nicht unterstellen. Die BaFin hat die Vorschriften der besseren Eigenkapitalausstattung lediglich für Versicherungsunternehmen angekündigt. Es betrifft daher nur Unternehmen, die tatsächlich auch Versicherungsleistungen, also Schadensregulierung erbringen. Nicht betroffen sind davon sonstige sog. Insurtechs, die z.B. nur Vermittlungsleistungen erbringen. Die Finanzskandale der letzten Jahre betrafen aber überwiegend Banken wie z.B. Wirecard oder andere Finanzdienstleister. Deswegen sehe ich da keinen Zusammenhang. Die BaFin begründet die neuen Eigenkapital-Anforderungen mit rein versicherungsspezifischen Anforderungen. So müssen die Vorschriften aus der Solvency II-Richtlinie beachtet und deswegen die sog. versicherungstechnischen Rückstellungen erhöht werden. Daher müssen die für Startups typischerweise hohen Anlaufkosten in diese Rückstellungen aufgenommen werden. Die neu gegründeten Unternehmen haben aufgrund des geringen anfänglichen Prämienaufkommens keine Möglichkeit, dies auf andere Weise zu kompensieren, wie es etablierte Versicherer haben. Daher gehe ich davon aus, dass diese Anforderung sehr spezifisch diesen neuen Regularien geschuldet ist und nicht auf Startups in weiteren Branchen übertragbar ist.
Experten bewerten die Pläne als harte Ansage der BaFin gegenüber neu gegründeten Versicherungen, aber ist dieser Schritt nicht nachvollziehbar? Denn die oberste Priorität der Bafin sollte der Schutz von Verbrauchern sein, oder doch nicht?
Karen Halfbrodt: Die Ansage wirkt erstmal tatsächlich hart. Aber natürlich sollten alle Versicherungsunternehmen die Gewähr dafür bieten, die versprochene Leistung im Schadensfall auch erbringen zu können. Dies soll durch die Aufsicht der BaFin sichergestellt werden. Für den Kunden ist es dabei auch unerheblich, ob es sich um ein Startup handelt oder einen etablierter Versicherer. Dazu sind nicht nur rein deutsche Aufsichtsanforderungen zu erfüllen, sondern auch europäische Vorgaben wie die vorgenannte Solvency II-Richtlinie. Die BaFin begründet ihren Schritt auch mit zwei weiteren Aspekten. Der eine Aspekt ist, dass die Startups sehr häufig die Anlaufkosten unterschätzen und diese daher nicht mit eingeplant werden. Dies ist bekanntlich in der Tat sehr häufig der Fall. Der zweite Aspekt sollen die Auswirkungen der Corona-Krise sein. Dies führe dazu, dass das Geld der Investoren nicht mehr so einfach zur Verfügung steht.
Tatsächlich wäre es keinem geholfen, wenn bereits gewonnene Neu-Kunden sich nicht auf die Versicherung verlassen könnten, nur weil dem Startup mangels neuer Finanzierungsrunden die sprichwörtliche Puste ausgeht. Ein solcher Vertrauensverlust wäre für die Startup-Branche nach meiner Auffassung schädlicher als die Berücksichtigung der Anlaufkosten.
Nach dieser Neuerung müsste Start-Ups früh den Breakeven berechnen, denn am Tag des Lizenzantrages müssen alle Kosten vorfinanziert sein. Doch wie soll man so weit im Voraus die Profitabilität berechnen?
Karen Halfbrodt: Das ist in der Tat nicht immer eine einfache Aufgabe. Aber man wird auf bestimmte Erfahrungswerte zurückgreifen können. Natürlich wird die Markteintrittshürde für neue Versicherer mit dieser Anforderung deutlich erhöht. Und sicherlich kann man immer über eine Verhältnismäßigkeit nachdenken. Aber man sollte dabei schon beachten, dass es sich nur um Versicherungsunternehmen nach § 1 VAG handelt, die Risiken der Versicherten absichern sollen. Diese bilden nach den Erhebungen nicht die Hauptgruppe der sog. Insurtechs. Vielmehr besteht das Geschäftsmodell der meisten Insurtechs in versicherungsnahen Dienstleistungen oder in der Vermittlung von Versicherungsleistungen. Diese sind von dieser Neuregelung nicht betroffen. Sollte tatsächlich eine neue Versicherung gegründet werden, dürfen deren Kunden schon erwarten, dass dort auch Profis handeln, die in der Lage sind, seriöse Berechnungen anzustellen und sich das ausreichende Kapital zu besorgen.
In den überwiegenden Fällen stellen Risikokapitalgeber ihr Kapital in mehreren Finanzierungsrunden zur Verfügung – logischerweise will man abwarten, wie sich der Geschäftsplan entwickelt. Welche Auswirkungen entstehen in der deutschen Venture-Kapital-Landschaft durch die Neuregelungen in der Aufsicht?
Karen Halfbrodt: Für den begrenzten Bereich der Versicherer wird es sicherlich eine strukturelle Änderung geben. Aber die Märkte haben bisher immer gezeigt, dass sie sich auf neue Anforderungen einstellen können. Daher bin ich sicher, dass gute Ideen und Geschäftsmodelle weiterhin potente Investoren finden werden. Aber sicherlich wird die Selektion noch härter. Da die Aufsicht immer ein besonderes Augenmerk auf die Eigenkapitalausstattung der Finanzunternehmen hat und auch die Investoren einer Prüfung unterzieht, treten in diesem Bereich ohnehin überwiegend Profis am Markt auf, die diese aufsichtsrechtlichen Anforderungen auch kennen und berücksichtigen.
Sind höhere Kapitalanforderungen das Ende der gekannten Start-Up-Kultur?
Karen Halfbrodt: Ich glaube, die neuen Anforderungen bei Versicherern lassen sich nicht auf die gesamte Start-Up-Kultur übertragen. Es wird schon andere Faktoren brauchen, um die agile Star-Up-Szene zu Fall zu bringen.