Katrin Augsten: Arbeitsrecht ist ein komplexes Thema

Interview mit Katrin Augsten
Katrin Augsten ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Mediatorin. Sie ist Inhaberin der auf das Recht der Beschäftigten und das Erbrecht spezialisierten Anwaltskanzlei Augsten in Regensburg. Mit ihr sprechen wir über Kündigungen, Kündigungsschutzrecht sowie Fristen.

Kündigungen sind besonders in der Corona-Zeit ein hartes Thema. Was muss der Arbeitgeber dabei beachten oder läuft eine Kündigung immer gleich ab entsprechend § 622 Abs. 3 BGB?

Katrin Augsten: Kündigungen sind für die Betroffenen immer eine Ausnahmesituation. Rechtlich gesehen gibt es derzeit keinen Unterschied, ob ein Virus grassiert. Juristisch ausgedrückt: die aktuell geltende epidemische Lage von nationaler Tragweite hat auf das Kündigungsschutzrecht keine Auswirkungen. Viel wichtiger als Corona ist in diesem Zusammenhang rechtlich, dass sich beide Seiten bewusst sein müssen, dass wir, wenn wir im Arbeitsalltag „Probezeit“ sagen, meist eigentlich gar nicht wirklich an die „Probezeit“ gemäß § 622 Abs. 3 BGB denken. Die meisten verbinden mit dem Begriff der „Probezeit“ die 6 Monate am Beginn eines Arbeitsverhältnisses, in denen das Kündigungsschutzgesetz nicht greift. In diesen ersten 6 Monaten braucht der Arbeitgeber keine Begründung für eine Kündigung. Danach – jedenfalls in größeren Betrieben, die unter das Kündigungsschutzgesetz fallen – muss eine Kündigung „sozial gerechtfertigt“ sein, also der Arbeitgeber muss bestimmte Gründe nachweisen können. Diese Gründe können dann im Verhalten der Betreffenden liegen (da braucht es grundsätzlich Abmahnungen), in der Person (der klassische Fall ist hier die Langzeiterkrankung ohne Besserungsaussicht) oder auf betrieblicher Seite (in der Regel zweifellos die Betriebsstilllegung). Aber – sogar bei einer Betriebsstilllegung konnte ich vor kurzem z.B. eine Lösung für einen Arbeitnehmer erzielen, die sich wertmäßig im 6-stelligen Bereich bewegte und neben der Abfindung noch ein Jahr längere Beschäftigungsdauer enthielt. Um jedoch nochmals auf den § 622 Abs. 3 BGB zurückzukommen: da ist „nur“ geregelt, dass die Kündigungsfrist in einer vereinbarten Probezeit verkürzt ist. Aber natürlich stecken hier wieder jede Menge Fußangeln drin. Die Probezeit muss vereinbart werden – das bedeutet, sie muss sich auch tatsächlich aus dem Arbeitsvertrag auch ergeben. Sie darf nicht länger als 6 Monate dauern, sonst greift die Regelung zur verkürzten Kündigungsfrist nicht. Aber durch Tarifverträge kann von diesen Regelungen abgewichen werden und auch für bestimmte Kleinbetriebe oder Aushilfsarbeitsverhältnisse gelten Abweichungen.

Hat der Arbeitnehmer gleiche Bedingungen wie der Arbeitgeber, wenn dieser kündigen will?

Katrin Augsten: Wenn Sie damit meinen, ob die Beschäftigten in der „Probezeit“ ebenfalls keine Gründe brauchen, wenn Sie kündigen wollen und ob die verkürzte Kündigungsfrist für beide Seiten gilt: JA. Als Beschäftigte brauchen Sie – arbeitsrechtlich – für eine Kündigung nie eine Begründung. Sie müssen nur die für Sie geltende Frist einhalten. Diese Frist richtet sich wieder nach dem vertraglich Vereinbarten bzw. dem Tarifvertrag.

In wieweit unterscheidet sich eine tarifvertragliche Kündigung von der eines normalen Arbeitnehmers?

Katrin Augsten: Nun, in Tarifverträgen können andere Kündigungsfristen vereinbart werden, als im Gesetz stehen. Oft sind diese Fristen zu Gunsten der Beschäftigten verlängert. Es gibt aber auch Tarifverträge, die die gesetzlichen Fristen verkürzen.

Ebenso ist es nicht unüblich, dass Tarifverträge für bestimmte Beschäftigte einen besonderen und über das Gesetz hinausgehenden Kündigungsschutz vorsehen. Dieser besondere Schutz ist dann oft an Alter und / oder Dauer der Betriebszugehörigkeit gebunden. Ebenso gibt es oft Tarifverträge, die Kündigungen aus betrieblichen Gründen für eine gewisse Zeit ganz ausschließen. In der „Probezeit“ spielen in der Praxis aber meist nur die tariflichen Regelungen zu den Kündigungsfristen eine Rolle.

Wie sinnvoll kann eine Kündigungszurückweisung für einen Arbeitnehmer sein? Kann er sich gegen Kündigungen wehren?

Katrin Augsten: Es ist eigentlich nie eine gute Idee, sich spontan mit einer Kündigung einverstanden zu erklären. Wer die Kündigung erhält, sollte die zur Kenntnis nehmen, höchstens den Erhalt quittieren und sich anschließend umgehend qualifiziert juristisch beraten lassen. In der Beratung wird eine der ersten zu klärenden Fragen sein, ob es Zweifel gibt, dass die Person, die die Kündigung unterzeichnet hat, dazu auch berechtigt war. Gibt es diese Zweifel, macht eine umgehende Zurückweisung der Kündigung durchaus Sinn. Meist gibt es diese Zweifel aber nicht. Zurückweisung oder nicht gegen eine Kündigung kann und muss man sich vor Gericht wehren, sonst wird sie wirksam. Dazu muss grundsätzlich innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung die Klage erhoben worden sein. Man sollte also nicht lange warten, bis man sich beraten lässt. Und keinesfalls sollte man auf die oft versuchte Hinhaltetaktik reinfallen. Gerade in der Probezeit und in kleineren Betrieben kommt es durchaus vor, dass den Beschäftigten, die sich beschweren, wenn sie eine Kündigung erhalten, versichert wird, man werde das klären und sich wieder mit ihnen in Verbindung setzen. Der Klärungsvorgang dauert dann und wenn die Klagefrist verstrichen ist, wird mit Bedauern mitgeteilt, leider sei da doch nichts zu machen. Dann ist aber in der Regel auch juristisch „der Ofen aus“.

Gibt es spezielle Rechtsschutzversicherungen, die Arbeitnehmer/innen vertreten im Falle einer Kündigung?

Katrin Augsten: Viele Rechtsschutzversicherungen bieten arbeitsrechtliche Pakete, was Kündigungen einschließt. Hier muss man aber immer genau auf die Bedingungen achten und natürlich auch an ggf. vereinbarte Selbstbehalte etc. denken. Mitglieder von Gewerkschaften haben in der Regel unbegrenzten und kostenfreien Zugang zu arbeitsrechtlicher Beratung und werden dann auch im Kündigungsschutzprozess ohne Kostenrisiko vertreten.

Ist die Kündigung an Fristen gebunden und in welcher Form muss gekündigt werden?

Katrin Augsten: Normalerweise gilt für die Kündigung von Beschäftigten in den ersten Jahren des Arbeitsverhältnisses eine Frist von vier Wochen zum 15. oder zum letzten des Monats. In der vereinbarten Probezeit gelten aber – wenn nichts anderes vereinbart ist – zwei Wochen ohne fixe Vorgabe des Ablaufdatums. Wichtig ist, dass die verkürzte Frist nur gilt, wenn die Kündigung innerhalb der vereinbarten Probezeit zugeht. Wer die Probezeitkündigung am letzten Tag der Probezeit ausspricht, muss also unbedingt darauf achten, beweisen zu können, dass diese auch formgerecht noch an diesem Tag zugegangen ist. Ebenfalls für beide Seiten gleich geregelt: eine Kündigung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Wenn Sie also kündigen wollen, schreiben Sie einen klassischen Brief, senden Sie diesen rechtzeitig mit Zugangsnachweis an den Empfänger und heben Sie sich die Kopie und den Zugangsnachweis gut auf. Dabei ist persönlich abgeben und den Zugang quittieren lassen in der Regel das Beste. Beim Versand per Einschreiben trägt der Versender das Risiko der Postlaufzeit, wenn es eng wird.

Gibt es während Corona einen besonderen Kündigungsschutz für Arbeitnehmer/innen?

Katrin Augsten: Wie gesagt, leider gibt es auch während der Pandemie so gesehen keine kündigungsschutzrechtlichen Besonderheiten. In diesem Zusammenhang interessant ist aber z.B. natürlich, dass Beschäftigte, die sich Kurzarbeit und Kündigung grundsätzlich ausschließen. Wer sich also in Kurzarbeit befindet und eine Kündigung erhält, sollte sich – Sie haben es sich schon gedacht – unbedingt sofort beraten lassen. Arbeitsrecht ist viel komplexer als man oftmals meint und auch scheinbar aussichtslose Situationen lassen sich meist so lösen, dass die Betroffenen in der Nachbetrachtung die Kündigung nicht mehr als Katastrophe, sondern als einen positiven Wendepunkt in ihrem Leben sehen können. Dazu ist es aber einfach nötig, sich eine Unterstützung zu suchen, die nicht nur Ahnung von der Materie hat, sondern sich auch die Zeit zu einem ausführlichen Gespräch nimmt. Wer Fließbandarbeit einkauft wird ein standardisiertes Ergebnis erhalten. Der maßgefertigte Schuh sitzt wie eine zweite Haut, drückt nicht und macht ein Leben lang Freude. Das gilt im übertragenen Sinn auch für die juristische Unterstützung und sicher auch für beide Seiten, Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerseite. Ich vertrete in meiner Anwaltskanzlei seit mehr als 20 Jahren ausschließlich die Seite der Arbeitnehmer:innen. Es mag paradox klingen, aber ich hoffe immer darauf, dass auch die Arbeitgeberseite sich eine:n richtig gute:n Anwältin / Anwalt gesucht hat, nicht nur, weil ich Herausforderungen einfach mag. Die besten, schnellsten und damit auch für beide Seiten wirtschaftlichsten Lösungen kann ich erzielen, wenn auch die Arbeitgeberseite qualifiziert und empathisch juristisch beraten ist.

Frau Augsten, vielen Dank für das Gespräch!

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