„Klarstellung“ der Strafbarkeit – Einschränkung der Meinungsfreiheit?

Interview mit Dr. Jan-Maximilian Zeller
Vor kurzem wurde durch ein, unter Fachkreisen in diesem Fall für fragwürdig empfundenes, sog. „Omnibusverfahren“ der Paragraf 130 im StGB um einen weiteren Absatz ergänzt, welches viel Raum für Spekulationen hinsichtlich der Gesetzgebungsgründe sowie Diskussionen bezüglich der Strafbarkeit lässt. Über die genauen Hintergründe und Definitionen klärt uns Fachanwalt für Strafrecht Dr. Jan-Maximilian Zeller und Mitbegründer der Kanzlei Zeller Khatib Rechtsanwälte GbR auf. 

Die bisherige Regelung der Volksverhetzung hat unter Strafe gestellt, wenn jemand eine bestimmte Handlung bzw. ein Kriegsverbrechen leugnet, billigt oder verharmlost. Mit dem neu geschaffenen § 130 Abs. 5 StGB hat sich nun etwas geändert. Wie hat sich das Gesetz mit dem neuen Absatz geändert? 

Durch die Einführung des neuen § 130 Abs. 5 StGB wird die Strafbarkeit der öffentlichen Billigung, Leugnung und gröblichen Verharmlosung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich angeordnet. Bisher war lediglich die Strafbarkeit solcher Handlungen in Bezug auf Taten unter der Herrschaft des Nationalsozialismus ausdrücklich in § 130 Abs. 3 StGB geregelt. Die öffentliche Billigung, Leugnung und gröbliche Verharmlosung von Völkerrechtsverbrechen war zwar bereits vorher unter bestimmten Voraussetzungen strafbar. Allerdings gab es insofern früher eben keine ausdrückliche Erwähnung. Diese Handlungen konnten aber gegebenenfalls unter die anderen Absätze der bisherigen Fassung des Tatbestandes fallen. Es war also vor der Reform (noch) mehr der staatsanwaltlichen und richterlichen Würdigung über-lassen, ob auch die nun ausdrücklich hinzugetretenen Fälle damals als tatbestandlich im Sinne des Strafgesetzbuches gewertet wurden.

Wie bei der bisherigen gesetzlichen Regelung wird auch in Zukunft erforderlich sein, dass weitere Voraussetzungen erfüllt sind, damit die Handlung strafbar ist. Zum einen muss sich die Handlung gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen oder zu einem Teil der Bevölkerung richten. Zum anderen muss die Handlung geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören sowie zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Person oder Gruppe aufzustacheln.

Bereits im Dezember 2021 hat die Europäische Kommission ein sog. „Vertragsverletzungsverfahren“ gegen Deutschland eingeleitet. Was genau war der Hintergrund für die Gesetzesänderung bei der Volksverhetzung? 

Die Gesetzesänderung des Paragrafen zur Volksverhetzung im Strafgesetzbuch steht im Zusammenhang mit dem von der Europäischen Kommission im Dezember 2021 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland. Im Rahmen dieses Verfahrens hat die Kommission gerügt, dass die Bundesrepublik den Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in ihren Gesetzen nur unzureichend umgesetzt habe. In diesem Beschluss werden Maßgaben zur Strafbarkeit des öffentlichen Billigens, Leugnens und Verharmlosens von Völkerrechtsverbrechen gemacht. Die Rüge der Kommission bezieht sich dabei insbesondere auf das öffentliche Leugnen und gröbliche Verharmlosen, deren Strafbarkeit bisher nur in Bezug auf nationalsozialistische Taten ausdrücklich im Strafgesetzbuch angeordnet war.

Wieso schärfte die Ampel-Koalition den Volksverhetzungsparagrafen gerade jetzt? 

Nach Leseart der Regierung erfolgte die Einführung des neuen Absatzes in die Vorschrift des § 130 StGB, bei der es sich nicht um eine Schärfung, sondern lediglich um eine „Klarstellung“ der Strafbarkeit handeln soll, um die Vorgaben des Rahmenbeschlusses des Rates richtig und hinreichend umzusetzen und das von der Europäischen Kommission gegen Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahrens zu beenden, indem klargestellt wird, dass nicht nur das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen in Bezug auf nationalsozialistische Taten, sondern auch in Bezug auf andere Völkerrechtsverbrechen unter bestimmten Voraussetzungen strafbar ist.

Allerdings greift der geänderte Tatbestand deutlicher als die alte Fassung in das Grundrecht der Meinungsfreiheit ein. Man bedenke, dass nach dem aktuellen Wortlaut der Vorschrift im Einzelfall schon bei einer Billigung des Angriffs Russlands auf die Ukraine eine Strafbarkeit vorliegen könnte. Auch geäußerte Zweifel betreffend Kriegsverbrechen in der ukrainischen Stadt Butscha könnten unter die Norm fallen. Der Gesetzestext gibt keinen Aufschluss darüber, ob sich die Vorschrift nur auf gerichtlich festgestellte Verstöße gegen das Völkerrecht bezieht. Es stellt sich zudem die Frage, wie deutsche Strafgerichte zu ausländischen Ereignissen, die einer andauernden Dynamik unterliegen, beispielsweise dem Ukraine-Konflikt, ausreichende Tatsachenfeststellungen treffen sollen. Die nun von unbestimmten Rechtsbegriffen wie „gröblich verharmlost“ gespickte Norm bedingt (zu) viel Unberechenbarkeit. All dies führt zu Unsicherheiten und ist geeignet, eine offene Diskussion z.B. im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine zu behindern.

Auch die in gewisser Weise verschleiernde, jedenfalls befremdliche Gestaltung des Gesetzgebungsverfahren im Sinne eines sog. „Omnibusverfahrens“ wirkt befremdlich.

Bei den zu billigenden, verleugnenden oder verharmlosenden Handlungen muss es sich für eine strafrechtliche Verfolgung um solche handeln, welche in den Paragrafen 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches unter Strafe stehen. Können Sie uns erklären, welche das im Einzelnen sind? 

Die Paragrafen 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches sanktionieren Straftaten gegen das Völkerrecht. Das sind Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Kriegsverbrechen sind dabei solche, die im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt begangen werden. Darunter fallen unter anderem die Tötung oder Geiselnahme von Zivilisten, der Angriff auf humanitäre Hilfsmissionen oder auch der Einsatz von verbotenen Waffen.

Wann werden Kriegsverbrechen eigentlich gebilligt, verleugnet oder verharmlost? 

Unter „Billigen“ versteht man das Gutheißen einer Handlung. Die Billigung kann hierbei entweder ausdrücklich oder durch ein schlüssiges Verhalten zum Ausdruck gebracht wer-den. 

Wird eine Tat gebilligt heißt das, dass sie als richtig, akzeptabel oder notwendig hingestellt wird. Möglich ist auch, dass der Täter sich hinter die Willkürmaßnahmen stellt oder auf sonstige Weise seine Zustimmung kundtut.

Als Leugnen ist das Bestreiten, in Abrede stellen oder Verneinen einer Tatsache in Bezug auf die oben genannten Taten. Da nach dem Wortlaut nur das geleugnet werden kann, das wahr ist, fällt das Abstreiten von Ereignissen, die im Einzelnen noch wissenschaftlich um-stritten sind, nicht unter diesen Begriff. Auch schlichtes Infrage Stellen oder Bezweifeln ist grundsätzlich noch kein Leugnen, kann aber ein Verharmlosen sein.

Verharmlost wird ein Geschehen, wenn es in tatsächlicher Hinsicht heruntergespielt, beschönigt, in seinem wahren Gewicht verschleiert oder seinem Unwertsgehalt bagatellisiert bzw. relativiert wird. Das kann zum Beispiel ein „Herunterrechnen“ von Opferzahlen sein.

Welche Strafe droht jemandem, der eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung erhält? 

Der neue § 130 Abs. 5 StGB sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geld-strafe vor. Welche Strafe konkret droht ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig. So kann eine Rolle spielen, ob die Person bereits wegen der gleichen oder einer ähnlichen Straftat vorbestraft ist, oder welche der oben genannten Tathandlungen vorliegt. Bei einem Ersttäter dürfte allerdings in aller Regel eine Geldstrafe zu erwarten sein.

Herr Dr. Zeller, vielen Dank für das Interview.

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