Melanie Lemm: Für eine verzögerte Schadensregulierung gibt es viele Gründe

Interview mit Melanie Lemm
Melanie Lemm ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Scharrer in Mainz. Mit ihr sprechen wir über Verkehrshaftpflichtversicherung, Schadensersatzansprüche sowie gekürzte Schadenspositionen.
Die Antworten beziehen sich nur auf die Verkehrs- haftpflichtversicherung und nicht auf die Voll- oder Teilkaskoversicherung.

Immer öfter klagen Kunden nach einem Unfall, dass ihre Kfz-Versicherung nicht zahlt oder eine mögliche Regulierung durch hohe Wartezeiten verzögert wird. Warum zahlen einige Versicherungen nicht und stellen sich quer, wenn einer ihrer Kunden geschädigt worden ist?

Melanie Lemm: Die Verkehrshaftpflichtversicherung reguliert Schäden, welche durch den Gebrauch des versicherten Fahrzeugs anderen zugefügt wurden (AKB A.1.1.1). Schäden am eigenen Pkw sind hingegen nicht versichert (AKB A.1.5.3). Die Versicherung prüft die Schadensersatzansprüche dem Grunde und der Höhe nach (AKB A.1.1.3). Fehlt es aus Sicht der Versicherung bereits am Haftungsgrund, werden die Schadensersatzansprüche gänzlich zurückgewiesen. Gründe hierfür sind bspw.: vorsätzliche Verursachung des Schadens, Teilnahme an behördlich genehmigten kraftfahrt- sportlichen Veranstaltungen, Schäden am versicherten Pkw, Beschädigung eines mit dem versicherten Pkw verbundenen Anhängers, Beschädigung eines mit dem versicherten Fahrzeug abgeschleppten Fahrzeuges, Schäden an Sachen, welche sich in dem versicherten Pkw befunden haben (AKB A.1.5 ff.). Ist die Versicherung eintrittspflichtig, die geltend gemachten Schadensersatzansprüche aber der Höhe nach unberechtigt, erfolgt lediglich eine Regulierung auf Basis des aus Sicht der Versicherung berechtigten Schadensbetrages.

Welche Nachweise und Dokumente sollte man seiner Versicherung eigentlich vorlegen, um eine Schadensregulierung zu erhalten?

Melanie Lemm: Der Unfallgeschädigte sollte Unfallort, -datum, -uhrzeit, -hergang, das gegnerische Kennzeichen, Name und Anschrift der aufnehmenden Polizeidienststelle, sowie von Zeugen benennen. Zur Bezifferung des Schadens sollte zumindest ein Kostenvoranschlag nebst Schadensfotos vorgelegt werden. Ferner sind die Unfallbeteiligten verpflichtet, den Unfall ihrer eigenen Versicherung anzuzeigen. Dies gilt selbst dann, wenn sie der Auffassung sind, das Unfallereignis nicht verursacht zu haben (AKB E.1.1. ff.).

Was kann man tun, wenn die Versicherung eine Zahlung verweigert?

Melanie Lemm: Lehnt die Versicherung bereits den Haftungsgrund ab, ist eine gerichtliche Auseinandersetzung unumgänglich. Wird eine Schadensposition der Höhe nach nicht vollständig reguliert, kann in manchen Fällen, sofern der Mandant eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht wünscht, versucht werden, eine vergleichsweise Einigung zu erzielen. Anderenfalls wird auch in diesen Fällen eine gerichtliche Klärung notwendig.

Können Sie ein oder zwei Beispiele aufführen, in welchen bekannten Fällen Versicherungsnehmer den Schaden selbst zahlen mussten?

Melanie Lemm: Gelegentlich in der Praxis anzutreffen sind die Fälle, in denen sich herausstellt, dass der vermeintlich Geschädigte das Unfallereignis selbst verursacht hat. Die Wahrnehmung eines Unfallereignisses erfolgt durch die Beteiligten subjektiv, sodass sich objektiv manchmal ein anderer Geschehensablauf ergeben kann.

Nicht selten sind auch manipulierte Unfallereignisse, bei welchen der Unfall vorsätzlich durch die Beteiligten herbeigeführt wurde. Der Versicherungswirtschaft und den redlichen Versicherungsnehmern entstehen hierdurch jährlich erhebliche Schäden, da nicht alle fingierten Unfälle aufgedeckt werden können. Ergeben sich Anhaltspunkte für ein manipuliertes Unfallereignis, lehnt die Versicherung die Haftung dem Grunde nach bereits ab.

Unter welchen Umständen könnte sich ein Gerichtsverfahren zum Einklagen des Schadensersatzes lohnen?

Melanie Lemm: Ein Gerichtsverfahren wird in der Regel dann geführt, wenn die Versicherung unberechtigt einzelne Schadenspositionen gekürzt hat oder der Unfallhergang außergerichtlich streitig ist. Ob sich das gerichtliche Verfahren lohnt, ist individuell zu beurteilen und hängt maßgeblich von den Zielen und Wünschen des Mandanten ab.

Was sagen Sie, könnte auch ein Sachverständiger bei einer verzögerten Schadensregulierung von Vorteil sein?

Melanie Lemm: Für eine verzögerte Schadensregulierung gibt es viele Gründe. Manchmal ist diese lediglich auf eine Überbelastung der Versicherung zurückzuführen, wenn sich mehrere Schadensereignisse häufen. In solchen Fällen kann die Bearbeitung etwas länger als üblich andauern. Außergerichtlich werden in der Regel Sachverständige mit der Feststellung der entstandenen Schadenhöhe beauftragt. Gibt es Streitigkeiten wegen einzelner Schadenspositionen oder deren Höhe, ist der beauftragte Schadensgutachter ein guter Ansprechpartner. Besteht bereits Uneinigkeit wegen des Unfallherganges, wird ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten benötigt. Jenes wird üblicherweise erst im gerichtlichen Verfahren eingeholt.

Frau Lemm, vielen Dank für das Gespräch!

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