Nikolaus Fackler: Unbefugtes Ausstellen von Gesundheitszeugnissen

Interview mit Nikolaus Fackler
Nikolaus Fackler ist Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Seitz Weckbach Fackler & Partner mbB in Augsburg. Mit ihm sprechen wir über Strafbarkeiten, Sanktionen sowie Umgang mit Urkundenfälschungen.

Seit kurzem beschäftigt sich das Landgericht Osnabrück mit gefälschten Impfpässen. Wie behandelt die Justiz eine Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß §§ 277, 279 StGB?

Nikolaus Fackler: Strafbarkeiten in Bezug auf Gesundheitszeugnisse sind derzeit geregelt in den §§ 277 bis 279 StGB. Dabei sanktioniert § 277 StGB das Unbefugte Ausstellen von Gesundheitszeugnissen, während § 278 StGB das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse und § 279 StGB den Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse unter Strafe stellt. Folglich bestraft § 277 StGB salopp gesagt „falsche“ Mediziner, § 278 StGB „lügende“ Ärzte oder Medizinpersonal und § 279 StGB die „schwindelnde“ Bevölkerung. Kerntatbestandsmerkmal aller Normen ist dabei das Gesundheitszeugnis. Gesundheitszeugnisse im Sinne von §§ 277 ff. StGB sind Urkunden oder (bei Ausstellung in elektronischer Form) Datenurkunden, in denen der Gesundheitszustand eines Menschen beschrieben wird. Zu den bislang in der Rechtsprechung relevant gewordenen Gesundheitszeugnissen zählten beispielsweise ausgefüllte Krankenscheine, Berichte über eine gerichtsmedizinische Blutalkoholanalyse, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Impfscheine als Nachweis einer erfolgreichen Pockenschutzimpfung. Die Relevanz der registrierten Delikte war bisher dennoch sehr gering. So verzeichnete die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2020 gerade einmal 90 Verstöße gegen § 277 StGB. Dahingehend wird jedoch für die Zukunft eine andere Entwicklung zu erwarten sein, nachdem auch die derzeit kursierenden gefälschten Impfpässe wohl unter die Gesundheitszeugnisse zu subsumieren sind. So dokumentiert zwar ein gefälschter Covid-19-Impfpass – anders als bei der früheren Pockenschutzimpfung – nur die Verabreichung des Impfstoffs und bestätigt keine Feststellung des Impferfolgs. Eine solche Bescheinigung hat folglich keine Diagnose, aber sowohl eine durchgeführte ärztliche Maßnahme als auch eine Prognose über die künftige Anfälligkeit gegen die betreffende Krankheit zum Gegenstand, was für das Vorliegen eines Gesundheitszeugnisses jeweils schon für sich genommen genügt. Diese Ansicht bestätigen auch erste Rechtsprechungen, wie beispielsweise die des LG Osnabrück. Die Justiz wird folglich zukünftig mehr und mehr mit den §§ 277 ff. StGB in Berührung kommen.

Beim Landgericht Osnabrück wurde geprüft, ob sich Beschuldigte der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB strafbar gemacht habe. Warum ist in dem Fall der Fälschung von Gesundheitszeugnissen kein Rückgriff auf die allgemeine Regelung der Urkundenfälschung möglich?

Nikolaus Fackler: Im Strafrecht gilt der Grundsatz lex specialis derogat legi generali. Danach geht das speziellere Gesetz dem allgemeineren Gesetz vor bzw. verdrängt dieses. Die §§ 277, 279 StGB sind vorliegend Spezialvorschriften zur allgemeinen Urkundenfälschung. Bei Vorlage eines unechten oder verfälschten Gesundheitszeugnisses – was ja eine Urkunde darstellt – wird § 267 StGB von diesen Vorschriften verdrängt und kann nicht zur Anwendung gelangen. Nachdem das LG Osnabrück vorliegend bejaht hatte, dass der Impfpass ein Gesundheitszeugnis im Sinne von §§ 277, 279 StGB – und damit keine „normale“ Urkunde – sei, konnte keine Prüfung des § 267 StGB mehr erfolgen. Dieser Grundsatz gilt unabhängig davon, ob die übrigen Tatbestandsmerkmale der §§ 277, 279 StGB erfüllt sind, denn mit einem Strafrahmen von Geldstrafe bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe enthalten diese Vorschriften eine Privilegierung gegenüber der deutlich höheren Strafandrohung des § 267 StGB. Es hatte daher keinen Einfluss, dass die weiteren Voraussetzungen der §§ 277, 279 StGB, wie die Vorlage bei einer Behörde, nicht erfüllt waren. § 267 StGB musste aufgrund der Bejahung des Gesundheitszeugnisses außen vorbleiben, obwohl dessen Tatbestandsvoraussetzungen wohl vollumfänglich erfüllt gewesen wären. Bezogen auf letztere Situation dürfte aber zukünftig eine Änderung der Rechtsprechung zu erwarten sein, die sodann einen Rückgriff auf den § 267 StGB ermöglicht. Dies zeigt sich an der Tatsache, dass die Generalstaatsanwaltschaft Niedersachsen dem Urteil des LG Osnabrück entgegentritt und die Anwendung des § 267 StGB für erforderlich hält, um Strafbarkeitslücken zu vermeiden, die so vom Gesetzgeber nicht gewollt seien. Inwieweit eine bloße Rechtsprechungsänderung jedoch zielführend ist, lässt sich anzweifeln. Sie mag zwar dazu dienen, die Unbilligkeit der aktuellen Situation zu vermeiden, schafft jedoch gleichzeitig auch neue unfaire Gegebenheiten. Die Rechtsprechungsänderung würde dazu führen, dass Fälle der Täuschung von Behörden und Versicherungsgesellschaften den privilegierenden §§ 277 Var. 2, 3, 279 StGB unterfallen würden, während das Vorzeigen gefälschter Gesundheitszeugnisse bei Privaten der schwereren Strafdrohung des § 267 StGB unterlägen, obwohl letzterer Fall für sich gesehen weniger schwere Schäden hervorrufen dürfte. Vorzugswürdig erscheint es daher eine Anpassung der Rechtslage durch den Gesetzgeber anzustreben.

Bisher wurde nicht nach Personen mit gefälschten Impfausweisen gefahndet. Gibt es wirklich eine Strafbarkeitslücke?

Nikolaus Fackler: Die bloße Tatsache, dass nach Personen mit gefälschten Impfausweisen bisher nicht gefahndet wird und somit eine Vielzahl unerkannter Taten gegeben sein dürfte, begründet keine Strafbarkeitslücke. Schließlich finden im täglichen Leben wohl viele Delikte statt, nach denen nicht aktiv gefahndet wird, sondern die erst mit Aufdeckung bekannt werden. Eine präventive Fahndung der Polizei in allen Bereichen wäre wohl auch kaum umsetzbar. Mit dem Ausdruck Strafbarkeitslücke wird vielmehr eine vermeintliche Regelungslücke im Strafrecht bezeichnet, die dazu führen kann, dass ein subjektiv oder moralisch strafwürdig erachtetes Verhalten nicht strafbar ist. Es handelt sich dabei aber nicht um eine tatsächliche „Lücke“ im materiellen Recht, da das Strafrecht aufgrund des dort geltenden Analogieverbots von Natur aus „lückenhaft“ sein muss. Strafbarkeitslücken können vielmehr entstehen durch technische oder gesellschaftliche Entwicklungen, die bei der Verabschiedung des Gesetzes nicht vorausgesehen wurden, aber auch durch handwerkliche Fehler des Gesetzgebers. Nach diesen Maßstäben besteht aktuell tatsächlich eine Strafbarkeitslücke, was die Fälschung von Impfpässen betrifft, da diese unter keinen bestehenden Straftatbestand subsumiert werden können. Diese Lücke ist erst durch die Covid-19-Pandemie entstanden und konnte vom Gesetzgeber bei Schaffung der §§ 277 ff. StGB nicht vorhergesehen werden.

Das Vorlegen eines unrichtigen Impfpasses bei einer Apotheke ist nicht nach dem StGB sowie ebenfalls nicht nach dem IfSG strafbar. Wie können dennoch gefälschte Impfausweise sichergestellt werden?

Nikolaus Fackler: Grundsätzlich ist zwischen Beschlagnahme und Sicherstellung zu unterscheiden. Eine Beschlagnahme ist im Strafrecht nach § 94 Abs. 1 StPO oder § 111b StPO denkbar. § 94 Abs. 1 StPO gestattet den Strafverfolgungsbehörden Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, in Verwahrung zu nehmen oder auf andere Weise sicher zu stellen. Wird das Strafverfahren jedoch eingestellt oder eine Strafbarkeit verneint, so regelt §§ 94 Abs. 4, 111n Abs. 1 StPO, dass die nun nicht mehr zu Beweiszwecken benötigten Gegenstände wieder an den vorherigen Gewahrsamsinhaber herauszugeben sind. Dies hat im Fall der Vorlage eines gefälschten Impfpasses bei einer Apotheke zur Folge, dass – mangels Strafbarkeit – es immer zur Herausgabe der zuvor eingezogenen Impfpässe kommen wird. § 111b Abs. 1 StPO regelt daneben die Sicherstellung von Gegenständen zur Einziehung oder Unbrauchbarmachung. Eine Beschlagnahme nach § 111b StPO ist folglich möglich, wenn ein einfacher Tatverdacht dahingehend besteht, dass der betroffene Gegenstand der Einziehung oder der Unbrauchbarmachung unterliegt. Demnach müssen für die Einziehung eines gefälschten Impfpasses, welcher ein Tatmittel darstellt, die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 StGB gegeben sein. Es muss eine vorsätzliche Straftat vorliegen. Nachdem die Vorlage eines gefälschten Impfpasses – wie bereits erläutert – aktuell nicht strafbar ist, ist daher die Einziehung nicht gerechtfertigt. Die Sicherstellung bzw. Einziehung der gefälschten Impfdokumente ist dennoch möglich. Hierfür sind ordnungsrechtliche Vorschriften heranzuziehen. Der Gebrauch eines unechten oder gefälschten Impfausweises stellt unabhängig von der Strafbarkeit des Verhaltens aufgrund der bestehenden Ansteckungsgefahr eine gegenwärtige Gefahr für die Allgemeinheit dar. Um die Allgemeinheit vor diesen Gefahren zu schützen kann der Impfausweis wohl auf Grundlage des polizeirechtlichen Gefahrenabwehrrechtes sichergestellt werden, wie auch das Urteil des LG Osnabrück beweist. Die einschlägigen Normen variieren hierbei je nach Bundesland. So ist beispielsweise für Niedersachsen § 26 Nr. 1 NPOG einschlägig, während in Bayern Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 a) PAG greift.

Die Strafbarkeitslücke darf allerdings nicht von Gerichten, sondern nur vom Gesetzgeber geschlossen werden. Wird es in Zukunft eine Gesetzesänderung bezüglich der Impfausweise geben, wann kann man damit rechnen und welche Strafen kommen auf Personen mit gefälschten Impfausweisen zu?

Nikolaus Fackler: Grundsätzlich gilt, dass Gesetzesänderungen langwierige Prozesse sind. Zwar hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass der Gesetzgeber in Bezug auf Covid-19 und seine Auswirkungen schnell handeln kann, jedoch sind konkrete Zeitangaben bei einer Gesetzesänderung kaum zu nennen. Sicher dürfte aber sein, dass Änderungen im Hinblick auf die Impfausweise kommen. Dies zeigen bereits die seit November 2021 zur Beratung gegebenen Gesetzesentwürfe der Ampel und der Union. Hauptänderungspunkt dürften wohl die §§ 277, 278, 279 StGB sein. Zu erwarten ist hierbei, dass die Passagen betreffend „gegenüber Behörden und Versicherungsgesellschaften“ gestrichen werden und vielmehr eine offenere Formulierung im Hinblick auf „die Täuschung des Rechtsverkehrs“ eingeführt wird. Hierdurch kann der Großteil der aktuell bestehenden Strafbarkeitslücken beseitigt werden, da so auch die Vorlage der gefälschten Dokumente bei privaten Stellen strafbar wird. Die Union plant in ihrem Gesetzesentwurf zudem auch den Strafrahmen dieser Normen anzuheben, sowie auch Versuchsstrafbarkeiten und besonders schwere Fälle einzuführen. Kommt eine Gesetzesänderung, so wird diese also in großem Umfang geschehen, um zukünftig alle Fallkonstellationen abzudecken und teilweise auch Normen des IfSG entbehrlich machen. Zu beachten bleibt jedoch, dass Gesetzesänderungen erst ab Rechtskraft wirken und niemals für die Vergangenheit gelten. Dies hat zur Folge, dass für die zahlreichen aktuell laufenden Verfahren mit weiteren Strafbarkeitslücken zu rechnen ist.

Herr Fackler, vielen Dank für das Gespräch!

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