Vermieter von Gewerbeimmobilien zeigen sich oft kulant – Kanzlei Grundmann Immobilienanwälte

Interview mit Franka Ackermann und Sheila Dost
Franka Ackermann und Sheila Dost sind Fachanwältinnen für Miet- und Wohnungseigentumsrecht der Kanzlei Grundmann. Im Interview sprechen sie über den Anspruch auf Vertragsanpassung und die Unterschiede bei der rechtlichen Einordnung.

Am 01.01.2021 ist der §313 BGB verabschiedet worden, in dem eine Mietanpassung von Gewerberaummieten für solche Mieträume geregelt wird, die infolge behördlicher Anordnung nicht genutzt werden konnten. Was verändert sich im Vergleich zur bisherigen Gesetzgebung?

Franka Ackermann: Am 01.01.2021 ist Art. 240 § 7 EGBGB in Kraft getreten, der sich auf den bereits seit langem bestehenden § 313 BGB bezieht. Allgemein schafft § 313 BGB für die Vertragsparteien die Möglichkeit, den Vertrag anzupassen, wenn nach Vertragsabschluss unvorhersehbare schwerwiegende Änderungen von bestimmten Umständen eingetreten sind. Diese Umstände sind vertraglich nicht festgeschrieben, bilden aber die Geschäftsgrundlage, weshalb eine Vertragspartei den Vertrag gerade in dieser Form in der Vergangenheit abgeschlossen hat. Daneben muss es für diesen Vertragspartner unzumutbar sein, aufgrund der neu aufgetretenen Umstände an dem bislang geschlossenen Vertrag festzuhalten. Kann der betroffene Vertragspartner diese in der Fachsprache genannte „Störung der Geschäftsgrundlage“ überzeugend darlegen, kann ein Anspruch auf eine Vertragsanpassung bestehen, soweit auch die anderen Voraussetzungen des § 313 BGB erfüllt sind.

Die nun in Art. 240 § 7 EGBGB speziell für das Gewerbemietrecht getroffene Regelung soll es dem Gewerbemieter erleichtern, sich mit seinem Vermieter über eine Anpassung des Mietvertrages aufgrund von Umständen, die die COVID-19-Pandemie mit sich bringt, zu verständigen. Der Gesetzgeber legt fest, dass mit der Anordnung von staatlichen auf COVID-19 beruhenden Maßnahmen und der damit einhergehenden erheblichen Einschränkung der Verwendbarkeit des Betriebs des Mieters die gesetzliche Vermutung besteht, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt. Da es sich aber lediglich um eine Vermutung handelt, kann der Vermieter den Darlegungen des Mieters über die unvorhersehbar aufgetretenen schwerwiegenden Umstände, die sich erheblich auf die Nutzung seines Betriebes auswirken, auch entgegengetreten. Der Streitpunkt liegt letztlich bei den anderen Voraussetzungen des § 313 BGB, die die gesetzliche Neuerung jedoch nicht behandelt.

Mit Art. 240 § 7 EGBGB einher geht eine zivilverfahrensrechtliche Änderung. Um für die Parteien des Gewerbemietvertrages eine schnellstmögliche Rechtssicherheit zu schaffen, sollen im Streitfall die Gerichte diese Verfahren vorrangig behandeln und zeitnah entscheiden.

Wie haben die Gerichte bis dato entschieden, wenn es um Corona-bedingte Mietanpassungen oder Mietkürzungen ging?

Franka Ackermann: Bei den Amts- und Landgerichten besteht bei der Beurteilung der an sie herangetragenen Streitigkeiten Uneinigkeit. Bereits bei der rechtlichen Einordnung zeigen sich Unterschiede. Mehrere Gerichte haben ihre Entscheidung auf die gesetzlichen Regelungen zum Mietmangel gestützt und lehnten bspw. eine damit einhergehende Mietminderung aus dem Grunde ab, weil eine hoheitliche Schließungsanordnung nicht die Beschaffenheit eines Mietobjekts betrifft. Andere entscheiden für den Gewerbemieter und sprechen eine mitunter 100-prozentige Mietminderung zu. Wenden die Gerichte die Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage an, fordern sie durchaus eine Existenzgefährdung bei dem Gewerbemieter, damit eine Vertragsanpassung in Betracht gezogen werden kann.

Zwischenzeitlich haben auch Oberlandesgerichte Entscheidungen getroffen. Das OLG Dresden urteilte aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zugunsten des Gewerbemieters. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass für beide Vertragsparteien die durch die Pandemie verursachten Beeinträchtigungen nicht vorhersehbar waren und die damit einhergehende Belastung sowohl vom Mieter als auch vom Vermieter zu gleichen Teilen getragen werden muss. Das OLG Karlsruhe hingegen forderte vom Mieter, dass er nachweislich darlegt, inwieweit seine Existenz bedroht bzw. in welchem massiven Umfang die zukünftige Aufrechterhaltung seines Betriebes beeinträchtigt ist, wenn an den vertraglichen Regelungen festgehalten wird.

Eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes existiert bislang nicht, so dass hier abgewartet werden muss.

Welche Folgen hat das neue Gesetz für Vermieter und welche für Mieter?

Franka Ackermann: Insgesamt betrachtet, ändert die neue Regelung sowohl auf Mieter- als auch auf Vermieterseite eher nichts. Die Regelung kann durchaus bewirken, dass sich Mieter und Vermieter abstrakt gesehen an einen Tisch setzen und über mögliche Lösungen diskutieren. Wenn der Mieter seine prekäre Lage gegenüber dem Vermieter umfassend darlegen und Belege vorweisen kann, was die Gerichte auch unabhängig von der gesetzlichen Neuerung regelmäßig fordern, besteht durchaus eine gute Möglichkeit, dass der Vermieter einlenken wird bzw. dann auch muss. Ein Unterschied zur bisher geltenden Rechtslage besteht insgesamt aber nicht.

Der Vermieter sollte sich bei seiner Entscheidung über eine Vertragsanpassung bewusst machen, dass sein aktueller Mieter fest im Vertrag steht und auch in Zukunft die Miete zahlen wird, wenn die Pandemie nicht mehr das Geschehen bestimmt. Versagt der Vermieter eine Vertragsanpassung, wird der Mieter seine Miete aufgrund der Schließung ggf. nicht mehr zahlen können. Die Kündigung würde im Raum stehen. Zieht der Mieter dann notgedrungen aus, muss der Vermieter damit rechnen, dass er seine Räumlichkeiten zeitnah nicht vermieten kann.

Viele Vermieter haben sich wenig kulant im Umgang mit Gewerbemietern gezeigt. Ein prominentes Beispiel war der Karstadt-Eigner Rene Benko. Wird die Verhandlungsbereitschaft von Vermietern durch die neue Gesetzgebung tendenziell steigen?

Sheila Dost: Die Aussage, dass sich viele Vermieter wenig kulant im Umgang mit Gewerbemietern gezeigt haben, deckt sich nicht mit unserer Erfahrung. Sicherlich gab es Fälle, bei denen die jeweiligen Vorstellungen zum Umfang des Entgegenkommens des Vermieters etwas weiter auseinander lagen. Wir haben jedoch bei unseren überwiegend vermietenden Mandanten grundsätzlich viel Einigungsbereitschaft feststellen können und wir konnten bisher in allen Fällen außergerichtlich einvernehmliche Lösungen erarbeiten, die den Verzicht auf Teile der Miete, zum Teil Stundungsvereinbarungen und in Einzelfällen auch die mieterseitig gewünschte vorzeitige Entlassung aus Verträgen enthielten. Eine Steigerung der Verhandlungsbereitschaft durch die neue Gesetzgebung konnten wir nicht feststellen, diese war auch vorher bereits vorhanden. Wir konnten allerdings feststellen, dass viele Mieter nach Inkrafttreten der Regelung in Art. 240 § 7 EGBGB plötzlich dem Irrtum unterlagen, dass sie aufgrund der Regelung nunmehr „automatisch“ nur noch eine reduzierte Miete zahlen müssten und dem Vermieter eine entsprechende „Mitteilung“ zukommen ließen. Das gibt die neue Regelung, deren Auswirkungen in der Praxis eher überschaubar sein dürften, jedoch gerade nicht her. Durch die gesetzliche Regelung wird lediglich die (widerlegbare!) Vermutung aufgestellt, dass sich bei eingeschränkter Verwendbarkeit der Mietsache aufgrund staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrages geworden ist, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert hat. Um tatsächlich eine Anpassung des Vertrages verlangen zu können, müssen jedoch auch alle anderen Umstände gegeben sein.

Es gibt Sorgen, dass Deutschland eine Insolvenzwelle in Folge der Corona-Krise droht. Wie berechtigt sind diese Ängste?

Sheila Dost: Auch wenn das Insolvenzrecht nicht im Zentrum unserer Tätigkeit liegt, vermuten auch wir, dass durchaus mit einer erhöhten Anzahl von Insolvenzen zu rechnen ist. Ob es sich um eine „Welle“ handeln wird, können wir nicht abschätzen. Wir haben festgestellt, dass es durchaus Unternehmen gibt, die nicht nur durch die zeitweiligen Lockdown-Maßnahmen betroffen sind, sondern bei denen sich bereits Anfang 2020 abzeichnete, dass deren – ggf. hoch spezialisiertes – Kerngeschäft durch die Pandemie längerfristig so massiv beeinträchtigt ist, dass ein Überstehen der Pandemie bereits da kaum möglich erschien. Auf der anderen Seite konnten wir feststellen, dass viele stark beeinträchtigte Unternehmen alternative und teils kreative Lösungen entwickelt haben, um Einnahmen zu generieren und dass insgesamt viel Bereitschaft in der Bevölkerung besteht, diese auch anzunehmen. Möglicherweise gelingt es auf diese Weise doch vielen stark betroffenen Unternehmen, die Zeit der pandemiebedingten Einschränkungen irgendwie zu überstehen und eine Insolvenz zu vermeiden.

Die Verödung der Innenstädte droht durch die Insolvenz vieler großer Filialketten an Fahrt zu gewinnen. Gibt es bereits einen erhöhten Beratungsbedarf bezüglich Anpassungen von Gewerbemietverträgen oder vorzeitigen Vertragsauflösungen?

Sheila Dost: Tatsächlich gibt es derzeit einen erhöhten Beratungsbedarf bezüglich Vertragsanpassungen in Bezug auf die Miethöhe. Der Wunsch nach Vertragsaufhebungen ist indes überschaubar, was sich jedoch im Laufe des Jahres möglicherweise noch ändern kann, wenn es zu einer erhöhten Anzahl von Insolvenzen kommen sollte. Bei den Vertragsanpassungen handelt es sich jedoch im Wesentlichen um vorübergehende, pandemiebedingte Anpassungen und nicht etwa um dauerhafte Mietabsenkungen. Die von uns bearbeiteten Fälle stehen bisher auch nicht im direkten Zusammenhang mit etwaigen strukturellen Veränderungen der Innenstädte.

Frau Ackermann, Frau Dost, vielen Dank für das Gespräch.

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