Dr. Peter H.M. Rambach: Die eAU beseitigt Medienbrüche

Interview mit Dr. Peter H.M. Rambach
Dr. Peter H.M. Rambach ist Rechtsanwalt bei der Dr. Fettweis & Sozien Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in Freiburg. Mit ihm sprechen wir über elektronische AU-Bescheinigung, Übergangsregelung sowie technische Voraussetzungen.

Ab 1. Oktober 2021 wird die digitale Krankmeldung Pflicht. Diese Umstellung war schon lange geplant. Warum wird das Projekt doch erst jetzt in Angriff genommen?

Dr. Peter H.M. Rambach: Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer, die infolge Krankheit nicht arbeiten können, haben gegenüber dem Arbeitgeber einen gesetzlichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Dabei dient die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Beweis, dass im bescheinigten Zeitraum tatsächlich eine Erkrankung vorlag. Bisher wurde die AU-Bescheinigung von den Ärzten in Papierform ausgestellt. Die bereits zum 1. Januar 2021 erfolgte gesetzliche Einführung (§ 295 Abs. 1 SGB V) der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, (eAU) soll die Zettel aus Papier digital ersetzen. Aufgrund von Verzögerungen bei Technik und Tests haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Bundesverband der gesetzlichen Krankenkassen am 23.8.2021 auf eine Übergangsregelung geeinigt.

Wird die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab 1. Oktober ausschließlich digital ausgestellt?

Dr. Peter H.M. Rambach: Nein. Die Vertragsärzt:innen sind zwar seit 1.10.2021 grundsätzlich zur Übermittlung von eAU verpflichtet. Solange die notwendigen technischen Voraussetzungen in der Arztpraxis noch nicht zur Verfügung stehen, haben sie noch bis 31.12.2021 Zeit, von der Papier-AU auf die eAU umzustellen. Das heißt, sie dürfen noch die Papiervordrucke verwenden. Sobald die technischen Voraussetzungen für die Nutzung des elektronischen Verfahrens in der jeweiligen Vertragsarztpraxis zur Verfügung stehen, ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann elektronisch zu übermitteln.

Zum 1. Januar 2022 verliert die gelbe Papier-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann ihre Gültigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung. Bis zum 31.12.2021 dürfen von den Ärzt:innen übergangsweise noch die Vordrucke in der bis zum 30.09.2021 geltenden Fassung verwendet werden.

Auf diese Weise kann zwar Digitalisierung im Gesundheitswesen einziehen, doch das Gesetz war nicht zwingend notwendig. Welche Vorteile hat die digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in der Praxis?

Dr. Peter H.M. Rambach: Bisher besteht die AU aus dem Original und drei Durchschlägen. Das Original müssen die Arbeitnehmer:innen an die Krankenkasse übermitteln; je ein Durchschlag ist für die Patienten, für den Arbeitgeber und für den Arzt bzw. die Ärztin. Pro Jahr werden regelmäßig mehr als 75 Mio. Arbeitsunfähigkeiten festgestellt. Neben der Einsparung einer enormen Papiermenge entfällt die Pflicht der Arbeitnehmer:innen, die die AU an die Krankenkasse zu übersenden. Hier kam es in der Praxis immer wieder zu Verzögerungen und Ausfällen. Das eAU-Verfahren soll zur lückenlosen Dokumentation bei den Krankenkassen führen und damit den korrekten Ausgleich bei der Zahlung von Krankengeld und etwaiger Erstattungen für die Arbeitgeber nach dem Aufwandsausgleichgesetz sichern. Die eAU beseitigt außerdem Medienbrüche und reduziert die Erstellungs- und Übermittlungskosten.

Dass das elektronische Verfahren grundsätzlich funktioniert, zeigt ein Pilotprojekt der Techniker Krankenkasse. Können Sie uns sagen, wie der Prozess des “digitalen gelben Scheins” seitens der Ärzte, Ärztinnen und Krankenkassen ab dem 1. Oktober ablaufen wird?

Dr. Peter H.M. Rambach: Die Kassenärzt:innen sind zum Anschluss an ein gesetzlich eingeführtes elektronisches Gesundheitsnetz verpflichtet, die sog. Telematikinfrastruktur (TI). Die vom öffentlichen Internet getrennte TI vernetzt alle Akteure des deutschen Gesundheitswesens und gewährleistet den sicheren Austausch von Informationen. Sie ist ein geschlossenes Netz, zu dem nur registrierte Nutzer mit einem elektronischen Ausweis Zugang erhalten. Die Ärzt:innen rufen im Praxisverwaltungssystem eine AU-Maske auf und füllen sie aus, erstellen eine digitale unterschriebene Version für die Krankenkasse und versenden sie über die TI an die Krankenkasse.

Außerdem wird ein zu unterschreibender Papierausdruck für den Patienten/die Patientin erstellt und (bis 30.6.2022) ein Exemplar zur Vorlage beim Arbeitgeber.

Was ändert sich rechtlich für Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit dem Gesetz?

Dr. Peter H.M. Rambach: Erst ab 1.7.2022 wird es eine massive arbeitsrechtliche Änderung geben. Für die Arbeitnehmer:innen entfällt dann nämlich die Pflicht, dem Arbeitgeber im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Die Arbeitgeber können die erforderlichen Daten dann jeweils elektronisch bei den Krankenkassen abrufen; diese übermitteln ihnen elektronisch die relevanten Arbeitsunfähigkeitsdaten. Die Vertragsärzt:innen sind allerdings weiterhin verpflichtet, den Patienti:nnen eine vereinfachte AU-Bescheinigung auf Papier auszudrucken. Als Termin für den Versand der eAU von den Krankenkassen an die Arbeitgeber war zunächst bereits der 1. Januar 2022 vorgesehen. Aufgrund von Verzögerungen der Technik wurde dieser Termin jetzt auf den 1. Juli 2022 verschoben.

Wichtig ist, dass für privat kankenversicherte Arbeitnehmer:innen alles „beim Alten“ bleibt, d.h. sie müssen dem Arbeitgeber auch über den 30.6.2022 hinaus eine ärztliche AU-Bescheinigung in Papierform vorlegen und die Ärzt:innen werden für privat krankenversicherte auch weiterhin AU-Bescheinigungen in Papierform aushändigen.

Herr Dr. Rambach, vielen Dank für das Gespräch!

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