Dr. Tarik Ugur: Die Depression neigt zu Rückfällen

Interview mit Dr. Tarik Ugur
Dr. Tarik Ugur ist Chefarzt der Allgemeinen Psychiatrie in der LVR-Klinik Viersen. Mit ihm sprechen wir über länger anhaltende gedrückte Grundstimmung, Depressionen sowie den Umgang mit der Erkrankung.

Die Depression ist eine weit verbreitete psychische Krankheit. Als Hauptsymptom wird immer die Melancholie genannt, doch in den meisten Fällen treten bei Betroffenen noch zahlreiche anderen Symptome auf. Was sind die wichtigsten Symptome, die auf eine Depression hinweisen?

Dr. Tarik Ugur: Ein Hauptsymptom der Depression ist eine länger anhaltende gedrückte Grundstimmung. Diese wird bisweilen auch Melancholie genannt. Darüber hinaus geht eine Depression häufig mit einer verminderten Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung, einem verminderten Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühlen und dem Gefühl von Wertlosigkeit, pessimistischen Zukunftsperspektiven, Selbstverletzungen und Suizidhandlungen einher. Auch der Appetit kann während einer depressiven Erkrankung gestört sein, es kann zu Gewichtsverlust, Schlafstörungen und einem Libidoverlust kommen.

Bei Betroffenen ist die Depression häufig nicht immer allgegenwärtig. Warum tritt die Krankheit oft in Episoden auf?

Dr. Tarik Ugur: Bei depressiv Erkrankten muss man von einer Anfälligkeit für Depressionen (auch Vulnerabilität genannt) ausgehen. Dies kann auch nach dem erfolgreichen Auskurieren einer depressiven Episode dazu führen, dass zu einem späteren Zeitpunkt im Leben eine erneute Krankheitsphase auftritt. Eine genaue Ursache, z.B. wegen der Lebensumstände oder weil die Rückfallverhütung in irgendeiner Form unterbrochen wurde, kann nicht in jedem Fall ursächlich mit der Krankheitsphase in Verbindung gebracht werden. Manchmal treten depressive Episoden auch ohne feststellbaren Grund auf.

Psychische Krankheiten sind mit dem Stigma behaftet, dass man diese nicht loswerden kann. Wie wird eine Depression diagnostiziert und behandelt? Ist die Krankheit wirklich unheilbar?

Dr. Tarik Ugur: Leider neigt die Depression zu Rückfällen. Die Diagnostik der Depression erfolgt vor allem in Form eines psychiatrischen Untersuchungsgesprächs. Zur weiteren Umfeldabklärung kommen manchmal weitere Untersuchungen, wie Tests und apparative Untersuchungen hinzu. Auch die Rückmeldung von nahen Bezugspersonen kann wertvolle Hinweise zur Diagnostik geben. Mit einer Behandlung, die sowohl psychotherapeutisch als auch medikamentös durchgeführt werden kann, kann eine depressive Episode ausgeheilt werden. Danach erreichen Betroffene wieder eine gute Lebensqualität und oft auch wieder die alte Leistungsfähigkeit. Dennoch sollte in der weiteren rückfallverhütenden Behandlung die Krankheitsanfälligkeit für Depressionen berücksichtigt werden. 

Laut einer Studie werden 20% aller Frauen mindestens einmal an einer depressiven Episode leiden. Warum erkranken weltweit mehr Frauen an Depressionen als Männer?

Dr. Tarik Ugur: Nicht nur bei Depressionen, sondern vielen weiteren Erkrankungen, gibt es unterschiedliche Geschlechterverteilungen und auch unterschiedliche Altersverteilungen. Warum mehr Frauen mit Depressionen diagnostiziert werden als Männer, ist mir nicht bekannt. Es muss aber berücksichtigt werden, dass es eine Dunkelziffer an nicht-diagnostizierten Depressionen gibt. Die Sterblichkeit durch einen Suizid ist beispielsweise bei Männern in Deutschland in allen Altersgruppen deutlich höher als bei Frauen.

Die Entstehung der Krankheit ist immer noch wenig erforscht. Oftmals wird die Arbeit genannt, die zu einer Depression führt. Doch wie kommt es zu einer depressiven Phase und welche Auswirkung hat die Arbeit auf die Entstehung einer Depression?

Dr. Tarik Ugur: Die Entstehung einer depressiven Episode oder Erkrankung wird heute in einem multifaktoriellen Modell begriffen. Hierzu gehören neben Stoffwechselprozessen (Veränderungen des Botenstoffwechsels im Gehirn) auch soziale und vererbbare Faktoren. Die Anteile dieser Faktoren haben individuell unterschiedliche Wichtungen in der Entstehung einer Depression. Nicht selten kommt es vor, dass im Zuge einer depressiven Erkrankung Einbußen in der Leistungsfähigkeit und Konzentrationsstörungen Probleme am Arbeitsplatz verursachen, welche wiederum mit belastenden Rückmeldungen einhergehen. Dies führt dazu, dass manche Menschen ihre Arbeit als ursächlich erleben. Wenn ein klarer Zusammenhang zwischen einer längerfristigen Überlastung und dem Auftreten depressiver Symptome besteht, würde man diesen Zustand als eine Form der Anpassungsstörung von einer Depression abgrenzen.

Vor allem für Arbeitgeber sind träge und unmotivierte Mitarbeiter hinderlich. Wie können diese mit einer Depressionsdiagnose eines Mitarbeiters im eigenen Unternehmen umgehen?

Dr. Tarik Ugur: Oft sind Menschen, die an irgendeinem Punkt in ihrem Leben depressiv erkranken, vorher ähnlich leistungsfähig wie ihre gesunden Kollegen*innen. Mit dem Ausbruch der Krankheit kommt es zu erheblichen Leistungseinbußen, die in einer Arbeitsumgebung als hinderlich erlebt werden. Hier stellt sich zunächst einmal die Frage, ob überhaupt noch eine Arbeitsfähigkeit des betroffenen Mitarbeitenden besteht. In manchen Berufsfeldern muss auch eine Gefährdungslage, etwa durch Suizidalität, berücksichtigt werden. Sofern entsprechende Symptome für den Arbeitgeber offensichtlich werden, sollten Vorgesetzte im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht das Gespräch mit den Betroffenen suchen und diese dabei ermutigen, sich in professionelle Diagnostik und ggf. Therapie zu begeben.

Herr Dr. Ugur, vielen Dank für das Gespräch!

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