Florian Mangold: Eigenverantwortung der BürgerInnen wird eine wichtige Rolle spielen

Interview mit Florian Mangold
Florian Mangold ist Rechtsanwalt in der Kanzlei GND GEIGER | NITZ | DAUNDERER Rechtsanwälte PartG mbB in München. Mit ihm sprechen wir über Freedom Day, hohe Impfquoten sowie mögliche Bestrafungsszenarien.

Großbritannien hat mit dem „Freedom Day“ einen „Quasi-Feiertag“ ins Leben gerufen, um das Ende der Corona-Auflagen einzuleiten. Wie beurteilen Sie diese Vorgehensweise?

Florian Mangold: Am 19.07.2021, am sog. Freedom Day, sind in Großbritannien die Corona-Auflagen fast vollständig unter dem Credo Eigenverantwortung statt Vorschriften gefallen. Es gibt seit diesem Tag keine Beschränkungen mehr für Clubs oder private Partys, auch Theater und Kinos dürfen ihre Säle voll besetzen; damit einhergehend wurde auch die Maskenpflicht und das Einhalten von Abstandregeln aufgehoben.

Aus der ex-ante Sicht im Juli war diese Vorgehensweise nachvollziehbar. Großbritannien hatte zu dem Zeitpunkt eine hohe Impfquote. Regierungsdaten zufolge waren zu diesem Zeitpunkt 86 Prozent der Erwachsenen in Großbritannien mindestens einmal geimpft. 64 Prozent haben bereits zwei Impfdosen erhalten. Vergleichbar mit Deutschland hat man mit den vulnerablen Gruppen (über 80-jährige abwärts) angefangen zu impfen. Trotz steigender Corona-Fallzahlen und weiterer Ausbreitung der Delta-Variante waren die Fallzahlen der schweren und schwersten Verläufe niedrig, was ein Erfolg der schnellen Impfkampagne war. Der Impfstoff hat sich als wirksam gezeigt; es war damit nachvollziehbar einen definierten Endpunkt der Corona-Auflagen festzusetzen.

Ist ein ähnliches Szenario vielleicht auch in Deutschland denkbar, denn Jens Spahn hat von einem Ende der epidemischen Lage Ende November gesprochen?

Florian Mangold: Das Ende der epidemischen Lage zum 25.11.2021 kann nicht gleichgesetzt werden mit dem Endaller Corona-Vorschriften dem sog. Freedom Day in Großbritannien vom 19.07.2020.

In Deutschland besteht Gewaltenteilung, also die Verteilung der staatlichen Gewalt auf mehrere Staatsorgane. Dies ist ein wichtiger Bestandteil der Verfassung. Die Gesetzgebung (Legislative), Vollziehung (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) dürfen niemals von einer Instanz verantwortet werden.

Erstmals im März 2020 wurde die epidemische Lage von nationaler Tragweite im Bundestag festgestellt. An diese Feststellung wurde die besondere Befugnis zum Erlass von Rechtsverordnungen geknüpft. Eine epidemische Lage liegt laut Infektionsschutzgesetz dann vor, wenn eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland besteht. Die Lage führte zum Erlass des § 28a IfSG mit einem weitreichenden Maßnahmenkatalog und damit Eingriff in die Grundrechte der Bevölkerung durch die Exekutive. Die epidemische Lage wurde vom Parlament bereits 5 x verlängert und läuft ohne erneute Verlängerung am 25.11.2021 aus. Das bedeutet nicht automatisch, dass damit einhergehend alle Corona Maßnahmen fallen, sondern, dass die Verantwortung des Infektionsgeschehens wieder Länderhoheit ist. Das Parlament übernimmt wieder seine eigentliche Aufgabe.

Zwischenzeitlich wurde aus der Mitte der Parlamentarier – bereits vor der neuen Regierungsbildung durch die Ampelkoalition -, der Volksvertreter, am 27.10.2021 ein Konzept zur geordneten Beendigung der epidemischen Lage in Aussicht gestellt. Denn die Voraussetzungen der Gefahr in der gesamten BRD besteht nicht mehr.

Danach werden am 25.11.2021 die einschneidenden tiefen Grundrechtseingriffe außer Kraft gesetzt werden. Es wird dann keine Lockdowns, keine Betriebsschließungen, keine Ausgangssperren etc. mehr geben. Insofern kann man von einem kleinen „freedom day“ bzw. einem „freedom day light“ sprechen. Es endet damit die Dominanz der Exekutive, was die Coronapolitik angeht. Auf Initiative der Länder haben die Parlamentarier in Aussicht gestellt, dass der Bundestag einen überschaubaren Katalog mit niedrigschwelligen Maßnahmen erlassen wird; dieser soll als Rechtssicherheit für die Länder dienen. Bis zum Frühlingsanfang am 20.03.2022 soll danach noch der Erlass von Maßnahmen wie Abstandregeln, Maskenpflicht und/oder Kontaktbeschränkungen möglich sein. Der Maßnahmenkatalog als Rechtsgrundlage zum Verordnungserlass durch die Länder wird damit deutlich eingeschränkt werden und kann nicht mehr bundesweit angewendet werden. Mit Ablauf des 20.03.2022 soll diese Übergangsregelung dann auslaufen und dieser Paragraph des Infektionsschutzgesetzes dann endgültig stillgelegt werden. Mit Ablauf dieses Tages sollen sodann alle Corona-Maßnahmen auslaufen, sofern uns nun die aktuelle Entwicklung, insbesondere das Volllaufen der Krankenhäuser insbesondere mit nicht geimpften Coronapatienten hier keinen Strich durch die Rechnung macht.

Der Grund, dass zum 25.11.2021 von einem Ende der epidemischen Lage gesprochen wird, liegt auch in Deutschland – vergleichbar mit Großbritannien – darin, dass aufgrund des Fortschritts bei den Impfungen keine bundesweite Bedrohungslage mehr besteht und die Maßnahmen des § 28a IfSG unverhältnismäßig sind. Es wurde von Regierungsseite alles getan, um jedem ein Impfangebot zu unterbreiten.

In Europa sind aktuell zwei mRNA-Impfstoffe und zwei Vektorimpfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 zugelassen. Durch die Impfungen mit diesen Impfstoffen, kommt es zur Ausbildung von Antikörpern und bestimmter Immunzellen, sogenannter T-Zellen, gegen das Virus. Nach Ausbildung des Immunschutzes erkennen die Antikörper und Immunzellen bei erneutem Kontakt mit dem Coronavirus das Spikeprotein und bekämpfen das Virus. Gemeinsam schützen diese Abwehrmechanismen vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und schweren Krankheitsverläufen.

Rein rechnerisch liegt die Quote der vollständig Geimpften in Deutschland bei 55 Mio Menschen; damit infiziert sich ein immer weiterwachsender Teil der Bevölkerung nicht mehr mit Corona – die Zahl der schweren Krankheitsverläufe wächst nicht proportional zu den Infektionszahlen (auch jetzt nicht). Die Wirksamkeit der Impfungen zeigt sich auch darin, dass es aktuelle wohl nur etwa 145.000 sog. Impfdurchbrüche gibt, was einem Wert von unter 0,02 % entspricht.

Fazit: Der Grund für die Lockerungen der Corona-Maßnahmen ist in Deutschland vergleichbar mit Großbritannien. Die Lockerungen werden jedoch nicht komplett an einem Tag wegfallen, sondern Deutschland verfolgt einen stufenweisen Ausstieg.

Zugute kommt Deutschland bei dieser stufenweisen Vorgehensweise, dass sie auf die Erfahrungen anderer EU-Länder (Dänemark, Schweden, Holland) und bspw. auch Israel zugreifen kann, da die Impfkampagne in Deutschland viel später anlief.

Fest steht auch, dass bei der vulnerablen geimpften Gruppe der Alten (70 Jahre aufwärts) die Antikörpermenge schneller sinkt und diese trotz Impfung wieder an Corona erkranken können (auch mit schweren Verläufen). Da rund 17 Mio. Erwachsene (davon 3 Mio. über 60) noch nicht geimpft sind, besteht noch kein ausreichender Schutzwall, um diese vulnerable Bevölkerungsgruppe zu schützen. Da ausreichend Impfstoff vorhanden ist, kann deshalb eine 3. Impfung, die sog. „Booster-Impfung“ geleistet werden. In Israel zeigt sich, dass die BionTech Booster Impfung in allen untersuchten Altersgruppen das Risiko von Infektion und schwerem Verlauf bei SarsCoV noch einmal massiv reduziert und praktisch vollständigen Schutz bietet. Wichtig ist dementsprechend, dass die Hochbetagten schnell eine Auffrischungsimpfung bekommen.

Auch dem Rest der Bevölkerung ist weiterhin ein Impfangebot zu unterbreiten. Wichtig dabei ist, dass die Impfungen kostenlos bleiben. Viele Menschen sehen die Notwendigkeit sich zu impfen nicht oder noch nicht. Diese Gruppe muss dann für sich entscheiden, ob sie sich impfen lässt – wer sich nicht impfen lässt wird mit Corona infiziert werden. Jeder darf sich in unserer Demokratie entscheiden, ob er das Angebot annehmen möchte oder nicht, auch wenn die Medizin und eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Entscheidung sich nicht impfen zu lassen unvernünftig findet.  

Premierminister Johnson argumentierte, dass ein harter Herbst und Winter vor der Tür steht. Bedeutet der „Freedom Day“ und die komplette Lockerung der Restriktionen deshalb nicht „Öl ins Feuer“ zu gießen und ist eine neue Infektionswelle quasi vorprogrammiert?

Florian Mangold: Wie bereits oben unter Ziff. 2 ausgeführt, war am Freedom Day noch offen, wie sich die komplette Lockerung auf den weiteren Verlauf der Coronainfektionen auswirken wird (Deltavariante, Herdenimmunisierung).

Zwischenzeitlich (nach etwa 100 Tagen) liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in Großbritannien bei etwa 485, Tendenz steigend; es wurden zuletzt im Vereinigten Königreich bis zu knapp 50.000 tägliche Neuinfektionen registriert. Die Zahl der täglichen Krankenhauseinweisungen liegt bei fast 1000.

Die als Impfwunder gefeierte Kampagne gerät bei den Auffrischungsimpfungen für Ältere und den Impfungen für Jugendliche ins Stocken. Das Blatt wendet sich gerade in England.

Bei Aufrechterhalten der kompletten Lockerung ohne Restriktionen fänden sich zwischenzeitlich sicherlich ausreichend Argumente für die Behauptung, dass damit „Öl ins Feuer“ der Pandemielage gegossen wird.

Statt eines Lockdowns gibt es nun die „Selbstisolation“, sobald Kontakt zu einer infizierten Person bestätigt wurde. Der britische Premierminister vertraut dabei auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Ist ein ähnliches Konzept für den kommenden Winter auch in Deutschland möglich, um somit einen Lockdown zu umgehen und die Wirtschaft aufrechtzuerhalten?

Florian Mangold: Wie ebenfalls bereits oben zu Ziff. 2 ausgeführt, wird es in Deutschland hoffentlich keinen Lockdown mehr geben. Wer sich nicht impfen lassen will wird akzeptieren, dass er sich mit Corona infiziert, wenn er nicht für ausreichend Eigenschutz sorgt. Wahrscheinlich müssen diese Mitbürger auch die damit einhergehenden Einschränkungen dann auch akzeptieren. Damit einhergehend wird die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger bis hin zur Selbstisolation eine große Rolle spielen. Statt mit Bestrafungsszenarien zu arbeiten, wird aber darauf gesetzt, die Einsicht für einen Impfschutz mit einer verständlichen und nachvollziehbaren Strategie zu erreichen. Es bleibt zu hoffen, dass damit ein viel höheres Verständnis der Bürger und noch einmal eine Impfbereitschaft erreicht wird.

Gerade in UK dominiert die neue Corona-Variante „Delta“ das Infektionsgeschehen. Insbesondere unter jungen Menschen stecken sich viele an. Doch gerade die waren es, die den „Freedom Day“ in den Nachtclubs Londons eingeläutet haben. Wie sinnvoll ist der „Freedom Day“ also Ihrer Meinung nach gewesen?

Florian Mangold: Wie oben zu Ziff. 1 bereits ausgeführt, wurde der Freedom Day durch die hohe Impfquote einhergehend mit moderaten Zahlen bei schweren Verläufen und Todesfällen ausgerufen.

Dieser Status bestand unabhängig davon, dass sich insbesondere junge Menschen häufig mit der neuen Corona-Variante „Delta“ anstecken. Auch zeigt die weltweite Pandemie, dass junge Leute nicht zu den gefährdeten Personen zählen, die mit schwerwiegenden Verläufen durch eine Corona-Infektion zu rechnen haben. Außerdem tragen deren Infektionen zur Herdenimmunisierung bei.

Johnsons Vorgehensweise wird vielerorts als chaotisch und ineffektiv kritisiert. Wie beurteilen Sie sein Corona-Management insgesamt?

Florian Mangold: Johnsons Vorgehensweise war zu Beginn der Pandemie lange zögerlich. Es hat gedauert, bis er drastische Maßnahmen zur Eingrenzung des Virus erlassen und zugelassen hat. Es gab in der Presse oft Schlagzeilen, dass die britische Regierung durch die Coronakrise mit wirren Regeln, planlosen Tests und steigenden Infektionszahlen torkele.

Eine positive Maßnahme des Managements Johnson war aber schließlich die Impfkampagne, die in Großbritannien zu Beginn der Pandemie viel schneller als in Deutschland anlief. Nun geraten die Auffrischungsimpfungen für Ältere und die Impfungen für Jugendliche ins Stocken. Großbritannien gilt wieder als Hochrisikogebiet. Ferner hat Großbritannien bis heute 142.000 Todesfälle im Zusammenhang mit Corona zu beklagen. In Deutschland beläuft sich die Zahl hingegen trotz größerer Einwohnerzahl auf rund 97.000 Toten.

Ich beurteile Boris Johnsons Vorgehensweise daher insgesamt durchaus als chaotisch, wenngleich es hierauf nicht mehr entscheidend ankommen wird. Denn wenn die Virologen Stöhr und Drosten Recht behalten, dass wir hier in Deutschland und damit vermutlich auch in Großbritannien im Sommer 2022 weitgehend wieder im „Normalzustand“ leben können, wird kein Hahn mehr danach krähen, ob die Regierung in Deutschland oder die in Großbritannien die wohl größte Herausforderung der letzten 40 Jahre besser oder chaotischer gemeistert hat.

Herr Mangold, vielen Dank für das Gespräch!

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