Kopfschmerzen: Hilfe zur Selbsthilfe

Interview mit Dr. Jennifer Kappenstein
Kopfschmerzen können viele Ursachen haben. Oftmals liegt es jedoch an dem Stress, den wir im Alltag erleben oder sogar uns selbst machen. Stress kann sich auf vielfältige Weise manifestieren und kann tatsächlich als Gift für Körper und Geist gesehen werden. Daher ist es wichtig, die Stressfaktoren auszumachen und diese auszumerzen. Leichter gesagt als getan. Doch mit einigen einfachen Schritten lassen sich bereits spürbare Veränderungen im Leben erzielen. Dr. Jennifer Kappenstein, Sportwissenschaftlerin und Coach in Bochum, erklärt uns heute, wie genau das funktioniert.

Welche bewährten Methoden oder Techniken empfehlen Sie, um Stress im Alltag zu reduzieren und Kopfschmerzen vorzubeugen?

Stress darf ebenso ganzheitlich wie individuell betrachtet werden, da die unterschiedlichsten Faktoren auf körperlicher, mentaler und emotionaler Ebene sich auf das individuelle Stresserleben auswirken. Die Identifizierung der spezifischen Stressoren und die Entwicklung von Bewältigungsstrategien sind entscheidend, um chronischen oder übermäßigen Stress zu verhindern. Machen Sie sich also im ersten Schritt bewusst, wo Ihre persönlichen Stressquellen im Allgemeinen oder Speziellen liegen. Liegen die Ursachen in bestimmten Lebensbereichen? Nach welchen Tätigkeiten oder Begegnungen fühlen Sie sich gut und voller Energie, nach welchen schlecht und erschöpft.

Um Stress und stressbedingten Kopfschmerzen vorzubeugen, ist ein individuelles Stressmanagement unerlässlich. Insbesondere Klarheit und ein gutes Zeitmanagement sind grundlegend. Setzen Sie sich klare und realistische Ziel und hinterfragen Sie: Entsprechen meine Ziele eigentlich meinen Bedürfnissen? Priorisieren Sie ihre Aufgaben und planen Sie im Voraus. Nicht vergessen, zeitliche Puffer sowie Regenerations- und Bewegungszeiträume einplanen! Regelmäßige körperliche Aktivität trägt maßgeblich dazu bei, Stress abzubauen und die Stimmung zu verbessern. Ebenso Atmungs- und Entspannungstechniken sowie Meditation, die zusätzlich die Muskelspannung reduzieren können. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist das Ziel, eine innere Widerstandfähigkeit (Resilienz) gegenüber Stress aufzubauen.

Können Sie uns Einblicke in wirksame Entspannungsübungen oder -praktiken geben, die dazu beitragen, Stress abzubauen und Kopfschmerzen zu lindern?

Mir persönlich ist bei der Auswahl von Entspannungspraktiken die Alltagstauglichkeit sehr wichtig. Auch wenn es sicherlich hilfreich ist, regelmäßig Yoga zu praktizieren, zu meditieren oder die Progressive Muskelrelaxation anzuwenden, weiß ich aus Erfahrung, dass das nicht unbedingt jedermanns Sache ist. Es nützt nichts, wenn Sie ihre Möglichkeiten kennen, diese aber nicht regelmäßig anwenden oder ihnen zusätzlichen Stress bereiten. Nutzen sie das Prinzip der kleinen Schritte. Es gibt sehr wirksame Kurzmeditationen und Atemübungen, die sich mühelos in den Alltag integrieren lassen und nur einige Minuten dauern. Hier seien z.B. die Boxatmung oder der Body-Scan genannt. Bei akuten Kopfschmerzen haben sich spezielle Dehntechniken zur Entspannung der Schulter- und Halsmuskulatur (z.B. nach Liebscher & Bracht), regelmäßige Augenentspannung (z.B. die 20-20-20-Methode) und regelmäßige Bewegungspausen bei langfristigem Sitzen als sehr wirksam erwiesen.

Es ist hilfreich, sich mehrmals täglich das eigene Befinden bewusst zu machen, die Aufmerksamkeit von außen nach innen zu lenken und sich zu fragen: Wie ist mein Drucklevel gerade? Was würde mir gerade guttun? Lernen Sie auf, Ihren Körper zu hören und zu vertrauen – er weiß genau, was er braucht.

Welche Rolle spielt die Ernährung bei der Vorbeugung von Kopfschmerzen, und welche Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel könnten dazu beitragen, Stress abzubauen?

Achten sie grundsätzlich auf eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung, um eine optimale Nähstoffversorgung sicherzustellen. Regelmäßige Mahlzeiten helfen den Blutzuckerspiegel konstant zu halten. Sie sind kein Frühstücker? Dann finden Sie ihren optimalen Zeitpunkt für die erste Mahlzeit, bevor sie in ein Energie- und Konzentrationstief geraten. Vermeiden Sie einen übermäßigen Konsum von Zucker, Salz, Koffein und Alkohol. Nehmen Sie ausreichend Flüssigkeit zu sich, idealerweise stilles, gefiltertes Wasser oder Tee. Bei manchen Menschen lösen bestimmte Lebensmittel (z.B. Koffein) Kopfschmerzen aus – beobachten Sie sich.

Im Speziellen achten sie auf eine ausreichende Versorgung mit folgenden Mikronährstoffen:

Vitamin B, insbesondere B6, B9 (Folsäure) und B12 (enthalten in Fleisch, Fisch, Eier, Hülsenfrüchte, Blattgemüse).

Vitamin D kann z.B. durch Sonnenlicht über die Haut produziert (10-30min täglich) oder fettigen Fisch (z.B. Lachs, Makrele) aufgenommen werden.

Omega 3 (Fisch, Leinsamen, Walnüsse)

Magnesium (Vollkornprodukte, Nüsse, grünes Blattgemüse)

Calcium (Milchprodukte, grünes Blattgemüse, Fisch/Fleisch, Nüsse)

Lebensmittel mit antioxidativen Eigenschaften, wie Beeren, grünem Tee und dunkler Schokolade enthalten können dazu beitragen, oxidativen Stress zu reduzieren. Zu den Antioxidantien zählen u.a. Vitamin C und E, Provitamin A, Zink, Selen, Flavonoide, Polyphenole, Q10, Glutathion, Lutein und Astaxanthin.

Eine unzureichende Ernährung und Stress an sich können Ihren Nährstoffbedarf erhöhen und ggf. eine zusätzliche Supplementation erfordern. Achten Sie bei der Auswahl von Nahrungsergänzungsmitteln auf hohe Bioverfügbarkeit, Reinheit (Pestizidfreiheit), die Verwendung natürlicher (biologisch angebauter) Produkte und wenig Füllstoffe.

Welche Lifestyle-Änderungen oder -gewohnheiten empfehlen Sie Menschen, die anfällig für Kopfschmerzen aufgrund von Stress sind?

Erfüllen Sie täglich die Grundbedürfnisse Ihres Körpers, damit er sie optimal unterstützen kann – Flüssigkeit, Nahrung, Sauerstoff und Bewegung. Gehen sie täglich an die frische Luft und atmen sie bewusst tief in den Bauch. Bewegen Sie sich regelmäßig oder treiben Sport, wobei der Fokus hier im Sinne des Stressabbaus auf der Freude und nicht auf dem Leistungsgedanken liegt.

Sorgen Sie für regenerativen Schlaf von 7-9 Stunden. Einige Menschen fühlen sich jedoch mit weniger Schlaf wohl, während andere mehr Schlaf benötigen. Die Schlafqualität ist entscheidend, um sich ausreichend zu erholen. Hier können sie nachhelfen: Versuchen sie, zu festen Zeiten zu Bett zu gehen und aufzustehen (Schlaf-Wach-Zyklus), achten Sie auf ein ruhiges, dunkles und kühles Schlafumfeld, schaffen sie entspannende Routinen als Übergang vom Wachzustand in den Schlaf (z.B. Lesen, Meditation, Atemtechnik oder ein warmes Bad). Mein Lieblingstipp: Rufen Sie sich vor dem Schlaf alles ins Gedächtnis, was Ihnen heute Gutes widerfahren ist und fühlen Sie Ihre Dankbarkeit darüber. Reduzieren Sie in jedem Fall die Bildschirmzeit, da das bläuliche Licht den Melatonin-Spiegel (ein Hormon, das ihren Schlaf reguliert) beeinträchtigen kann.

Verzichten Sie auf Bücher und Filme, die Sie emotional aufwühlen, z.B. Horrorfilme, Krimis. Gedanklich dabei zu sein, erzeugt ebenso viel Stress wie das tatsächliche Erleben der Situation. Haben Sie stattdessen Freude und lachen sie viel, das erhöht die Produktion ihrer „Glückshormone“, wirkt körperlich entspannend und reduziert Stresshormone.

Fokussieren Sie sich auf das Positive, entwickeln sie ein positives Mindset! Wenn etwas nicht so gut gelaufen ist, halten sie nicht daran fest!  Hören Sie auf, zu nörgeln und die negativen Gefühle immer wieder hervorzuholen! Wenn Sie Ihre Gedanken nicht loslassen können, stellen Sie sich die Situation doch einmal so vor, wie sie idealtypisch hätte laufen können und blicken positiv und gerüstet in die Zukunft. Lernen sie, konstruktiv mit Ihren Gedanken und Emotionen umzugehen!

Holen Sie sich Unterstützung – Sie müssen nicht alles allein machen! Delegieren Sie Aufgaben, die Sie nicht unbedingt selbst erledigen müssen und teile Sie Ihre Gefühle mit Freunden oder der Familie. Der Austausch kann emotional sehr entlastend wirken.

Gibt es spezielle Tipps oder Ratschläge zur Stressbewältigung, die Sie unseren Zuhörern oder Lesern empfehlen könnten, um ihre allgemeine Gesundheit zu verbessern und Kopfschmerzen zu minimieren?

Es lohnt sich immer, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und den eigentlichen Ursachen auf den Grund zu gehen. Wodurch entsteht der Stress in Ihrem Inneren? Neigen Sie z.B. zu Perfektionismus, machen Sie sich selbst Druck oder lassen Sie sich von außen übermäßig unter Druck setzen und warum eigentlich? Dahinter können Glaubenssätze wie „Ich bin nicht gut genug!“ oder „Ich muss viel leisten, um anerkannt und geliebt zu werden!“ stehen. Es gibt Möglichkeiten (z.B. die Arbeit mit dem inneren Kind) diesen auf den Grund zu gehen und womöglich bereits lange in ihnen wohnende Handlungs- und Gedankenmuster zu lösen und zukunftsorientiert zu transformieren.

Zu einer nachhaltigen Stressprävention gehören ebenso die Entwicklung eines positiven Mindsets, emotionaler Intelligenz, innerer Stärke und Widerstandsfähigkeit (Resilienz). Lernen Sie sich selbst besser kennen, mit ihren Wünschen und Bedürfnissen, aber auch ihre Schwächen und Grenzen zu respektieren. Stärken und nutzen Sie ihre inneren Ressourcen. Gelassenheit, Leichtigkeit und Lebensfreude sind die beste Stressprävention!

Frau Dr. Kappenstein, vielen herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

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