§130 StGB – Grund für Diskussionen

Interview mit Dr. Benedikt Mick
Heute sprechen wir mit Fachanwalt für Strafrecht Dr. Benedikt Mick über das Thema Volksverhetzung. Vor kurzem wurde das Gesetz der Volksverhetzung geändert bzw. um Absatz 5 ergänzt. Diesbezüglich ist unter Rechtswissenschaftlern eine Diskussion entstanden, welche etwaige Probleme in Bezug auf die Umsetzung, das Strafmaß und andere spekulationsreiche Formulierungen aufzeigt. Der erfahrene Rechtsanwalt von der Kanzlei Laudon / Schneider in Berlin erklärt uns genauer, welche Gründe für die Gesetzesänderung bestanden, was genau geändert bzw. ergänzt wurde und welche Auswirkungen dies auf Strafverfahren zur Volksverhetzung hat.

Die bisherige Regelung der Volksverhetzung hat unter Strafe gestellt, wenn jemand eine bestimmte Handlung bzw. ein Kriegsverbrechen leugnet, billigt oder verharmlost. Mit dem neu geschaffenen § 130 Abs. 5 StGB hat sich nun etwas geändert. Wie hat sich das Gesetz mit dem neuen Absatz geändert? 

Der von der Ampelkoalition fast unbemerkt und übrigens auch ohne längere Beratungen verabschiedete neue § 130 Abs. 5 StGB soll künftig auch das öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Völkermord unter Strafe stellen. Voraussetzung ist, dass die Tat in einer Weise begangen wird, die dazu geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören und zu Gewalt bzw. Hass aufzustacheln.

Diese Gesetzesänderung wurde meiner Wahrnehmung nach zunächst kaum beachtet, hat nun aber – wie ich finde, zurecht – eine doch sehr dynamische Diskussion, vor allem unter Rechtswissenschaftlern, entfacht. Bemerkenswert und aus meiner Sicht durchaus problematisch ist dabei vor allem die Tatsache, dass der Rahmenbeschluss des Europäischen Rates für das gröbliche Verharmlosen oder das Leugnen eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vorsah, der deutsche Gesetzgeber hier aber in § 130 Abs. 5 eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren androht. Nur auf den ersten Blick mag dies wenig schädlich wirken und zeigen, dass die Bundesrepublik die Vorgaben des Rahmenbeschlusses scheinbar übererfüllt. Unter Zugrundelegung der Dogmatik des Strafgesetzbuches fällt allerdings auf, dass der Tatbestand damit eine Strafandrohung vorsieht, wie sie auch beispielsweise für die Ausbeutung von Prostituierten oder bei einer Nötigung vorgesehen ist. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass bei den beiden angesprochenen Beispielen immer ein konkreter Erfolg gegeben ist, also vereinfacht ausgedrückt eine Person oder Personengruppe unmittelbar die Folgen der Tat, nämlich die Verletzung eines eigenen Rechtsguts durch den Täter, zu erleiden hat. Das ist bei der Leugnung oder gröblichen Verharmlosung von beispielsweise Kriegsverbrechen so konkret aber gerade nicht der Fall. Vielmehr soll der Täter hier gleichsam Sinn stiftend für mindestens eine weitere Person sein, die dann aufgrund dieser Aussage eine eigene Tat begeht. Insofern lässt sich schon die Frage diskutieren, ob das gewählte Strafmaß hier nicht schon aufgrund dieser erheblichen Vorverlagerung des strafbaren Verhaltens unverhältnismäßig hoch sein könnte.

Ein zweiter wichtiger Punkt betrifft das Delikt selbst. So ist der Begriff des Kriegsverbrechens anders als im Rahmenbeschluss in der umgesetzten Norm nicht be- oder eingeschränkt worden. Was sich zunächst nach einer juristischen Spitzfindigkeit anhören mag, kann in der Rechtspraxis aber zu einem großen Problem werden. Ein Problem, das sogar auf verfassungsrechtlicher Ebene durchschlagen kann, nämlich dann, wenn die Meinungsfreiheit aus Artikel 5 GG aufgrund eines unpräzise formulierten § 130 Abs. 5 StGB eingeschränkt wird. Dann wäre die neue Norm unter Umständen sogar verfassungswidrig.

Bereits im Dezember 2021 hat die Europäische Kommission ein sog. „Vertragsverletzungsverfahren“ gegen Deutschland eingeleitet. Was genau war der Hintergrund für die Gesetzesänderung bei der Volksverhetzung? 

Das ist richtig. Im November 2008 hat der Europäische Rat in einem Rahmenbeschluss (Rahmenbeschlusses 2008 / 913 / JI des Rates vom 28. November 2008) Maßnahmen festgelegt, um bestimmte Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit strafrechtlich besser bekämpfen zu können – das Ziel ist also durchaus hehr. Die Mitgliedsstaaten waren demnach aufgefordert, die nationalen Gesetze in einer Form zu ändern, die diesem Rahmenbeschluss und damit dem wichtigen und gemeinschaftseuropäischen Ziel der Bekämpfung dieser Art von Hasskriminalität gerecht wird. Nach Auffassung der Europäischen Kommission hat die Bundesrepublik diesen Rahmenbeschluss gerade im Hinblick auf das „öffentliche Leugnen“ und „gröbliche Verharmlosungen“ von Kriegsverbrechen aber zunächst nur unzureichend umgesetzt. In solchen Fällen sieht das Vertragsgefüge der Europäischen Union dann eben auch solche Verletzungsverfahren gegen die Mitgliedstaaten vor.

Wieso schärfte die Ampel-Koalition den Volksverhetzungsparagrafen gerade jetzt? 

Das ist eine spannende Frage, die natürlich viel Raum für Interpretationen lässt. Immerhin hatte die Bundesregierung mehr als genug Zeit, den Rahmenbeschluss des Europäischen Rates umzusetzen. Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage könnte man das Augenmerk beispielsweise auf das Gesetzgebungsverfahren selbst richten. Ohne dabei allzu sehr abzuschweifen, ist die Art und Weise der Gesetzgebung hier schon bemerkenswert. So wurde sich dafür entschieden, den Paragrafen nicht etwa wie üblich durch ein eigenständig zu verabschiedendes Änderungsgesetz zu ergänzen. Hier wurde vielmehr auf ein so genanntes Omnibusverfahren zurückgegriffen; das heißt, dass die Änderung des § 130 StGB schlicht und vor allem ohne erkennbaren inhaltlichen Bezug an die Änderung eines anderen Gesetzes gleichsam drangehängt wurde. Kritiker halten diese Art des Gesetzgebungsverfahrens, gerade wenn das betreffende Gesetz auch die Meinungsfreiheit tangiert, wie es der neue § 130 Abs. 5 StGB zweifelsohne tut, für bedenklich.

Auch hat der Gesetzgeber trotz des Vertragsverletzungsverfahrens wenigstens mehrere Monate Zeit gehabt, eine Novellierung oder Ergänzung des § 130 StGB ordentlich vorzubereiten und in einem üblichen Gesetzgebungsverfahren auf den Weg zu bringen. Ein solches hätte beispielsweise auch die Möglichkeit vorgesehen, Stellungnahmen von Experten zu berücksichtigen und eine die Auswirkungen dieser Gesetzesänderung auf schlichtweg konstitutive Grundrechte wie die Meinungsfreiheit würdigende Beratung der Abgeordneten ermöglicht.

Es steht insofern zumindest zu vermuten, dass die gewählte Form der Gesetzesänderung und der gewählte Zeitpunkt im Kontext mit der aktuellen weltpolitischen Lage stehen könnten. Das ist aber lediglich eines von vielen Erklärungsmodellen für diese eher ungewöhnliche Handlungsweise.

Bei den zu billigenden, verleugnenden oder verharmlosenden Handlungen muss es sich für eine strafrechtliche Verfolgung um solche handeln, welche in den Paragrafen 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches unter Strafe stehen. Können Sie uns erklären, welche das im Einzelnen sind? 

Die §§ 6 und 7 VStGB behandeln Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und stehen im ersten Abschnitt des zweiten Teils des Völkerstrafgesetzbuches. Darauf folgen im zweiten Abschnitt die Kriegsverbrechen. So behandeln die §§ 8 und 9 VStGB Kriegsverbrechen gegen Personen und gegen Eigentum und sonstige Rechte. Gemeint sind damit ganz stark vereinfacht alle pönalisierten Handlungen gegen nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen und der Schutz von dem Eigentum dieser Personen, also beispielsweise der Schutz vor nicht gebotenen Plünderungen oder das Aufheben von Eigentumsrechten bestimmter Volksgruppen. § 10 VStGB schützt humanitäre Hilfsmissionen und deren Embleme, bspw. die Schutzzeichen des Genfer Abkommens, also das Rote Kreuz, den roten Halbmond, usw. noch einmal ausdrücklich und möchte so sicherstellen, dass auch in bewaffneten nationalen oder internationalen Konflikten ein Mindestmaß an humanitärer Hilfe möglich ist und deren Schutzzeichen auch nicht durch Konfliktparteien missbraucht werden. Und letztlich beschreiben und verbieten die §§ 11 und 12 den Einsatz verbotener Methoden und verbotener Mittel der Kriegsführung, so zum Beispiel Angriffe gegen die Zivilbevölkerung oder deren Aushungern oder auch den Einsatz von Giften, vergifteten, biologischen oder chemischen Waffen.

Wann werden Kriegsverbrechen eigentlich gebilligt, verleugnet oder verharmlost? 

Wie Sie wissen, lieben Juristen Definitionen, also genaue und zumeist als allgemeingültig anerkannte inhaltliche Bestimmungen der jeweiligen Tatbestandsmerkmale einer Norm, hier also des Billigens, der Verleugnung und der Verharmlosung.

Billigen meint dabei im Rahmen des § 130 StGB das ausdrückliche oder konkludente, also durch eine Handlung eindeutig erkennenlassende Gutheißen eines Kriegsverbrechens. Wer den Unwert eines Kriegsverbrechens bagatellisiert, der verharmlost es und wer es bestreitet, der leugnet.

So weit ist das erst einmal keine Raketenwissenschaft. Kompliziert wird es wie immer in der Praxis. Dass Leugnen das Bestreiten eines Kriegsverbrechens meint, dürfte jedem einleuchten. Die Frage im Alltag einer Strafverteidigung ist dann aber, ob die konkrete Aussage des Mandanten sich nun als ein Leugnen im Sinne des § 130 StGB qualifiziert hat oder eben nicht. Insgesamt stellt sich bei Vorwürfen der Volksverhetzung regelmäßig die Frage, ob hier der Bereich des Straftatbestands im Sinne des Ultima-ratio-Prinzips überhaupt erfüllt ist oder ob es sich um eine noch erlaubte Meinungsäußerung handeln könnte. Überwiegt der Sachbezug der Aussage? Das könnte eher für eine erlaubte Meinungsäußerung sprechen. Oder überwiegt die in der Aussage verkörperte ablehnende Polemik, was eher für eine volksverhetzende Einordnung sprechen kann. Entscheidend ist wie immer und auch heute schon so oft erwähnt die Würdigung des gesamten Kontextes der Aussage.

Welche Strafe droht jemandem, der eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung erhält? 

Ganz pauschal lässt sich die Frage natürlich nicht beantworten, es kommt wie immer darauf an, also auf alle Umstände des zugrundeliegenden Sachverhalts. Zu dem drohenden Strafmaß bei Verstößen gegen § 130 Abs. 5 StGB haben wir ja schon einiges besprochen. Der Paragraf der Volksverhetzung hält aber noch einige andere Absätze bereit und die mögliche Strafe richtet sich natürlich wie stets nach den konkreten Gesamtumständen der Tat. Grundsätzlich ist im Rahmen des § 130 StGB je nach verwirklichtem Delikt von einer Geldstrafe über eine Bewährungsstrafe bis hin zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe alles drin. Die Verharmlosung des Holocaust unterliegt also unverändert und zurecht einer höheren Strafandrohung.  

Herr Mick, vielen Dank für das Interview.

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