Dr. Nina Stickler: Erbrecht und Enterbungen

Interview mit Dr. Nina Stickler
Dr. Nina Stickler ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Ludwig Wollweber Bansch in Hanau. Mit ihr sprechen wir über Gründe für eine Enterbung, Zerwürfnis sowie Undankbarkeit.

Enterbungen kommen immer wieder in den besten Familien vor. Was sind Gründe, aus denen Erblasser, die Nachfahren enterben möchten?

Dr. Nina Stickler: Die Gründe für eine Enterbung der Abkömmlinge sind vielfältig. Meistens liegen sie in einem Zerwürfnis, das bereits viele Jahre zurückliegt. Wenn Eltern ihre Kinder enterben, liegt dem oft die Situation zugrunde, dass sich ein Kind um die Eltern kümmert, diese vielleicht auch pflegt und für die Eltern da ist. Während ein anderes Kind – warum auch immer – nicht für die Eltern da ist. In der Folge wird das Kind, das nicht für die Eltern da ist, als undankbar empfunden und enterbt. Der Enterbung gehen meist emotionale Kränkungen voraus. Emotionale Erwartungen werden nicht erfüllt oder es kommt zur familiären Entfremdung über Jahre hinweg. Dass tatsächlich körperliche Gewalttätigkeiten Grund für die Enterbungen sind, ist eher die Ausnahme. Für gewöhnlich sind es rein emotionale Enttäuschungen.

Eine rechtmäßige Enterbung muss mehrere Ansprüche erfüllen. Welche Anforderungen stellt der Gesetzgeber hieran?

Dr. Nina Stickler: Eigentlich sind die Anforderungen an die Enterbung denkbar gering. Insoweit müssen lediglich die Anforderungen an die wirksame Testamentserrichtung erfüllt sein. D. h. bereits die wirksame Alleinerbeneinsetzung einer anderen Person, die zur faktischen Enterbung der gesetzlichen Erben führt, ist wirksam, wenn die „normalen“ Formalia einer Testamentserrichtung eingehalten sind. Hiervon streng zu unterscheiden ist die Frage nach dem Pflichtteil.

Dass Angehörige leer ausgehen, ist in den meisten Fällen höchst unwahrscheinlich. Was regelt das Pflichtteilsrecht genau und wer ist pflichtteilsberechtigt?

Dr. Nina Stickler: Das Pflichtteilsrecht ist eine Art Mindestbeteiligung am Nachlass. Dieses steht jedoch nicht jedem Angehörigen zu. Dass Angehörige leer ausgehen, wie Sie es formulieren, ist daher durchaus möglich und sowohl bei gesetzlicher Erbfolge als auch testamentarischer Erbfolge je nach Verwandtschaftsgrad gewollt. Das Pflichtteilsrecht steht den Abkömmlingen des Erblassers, seinem Ehegatten und seinen Eltern zu. Ein weit verbreiteter Irrglaube im Übrigen ist, dass auch die Geschwister des Erblassers ein Pflichtteilsrecht hätten. Dies ist ausdrücklich nicht der Fall.

Nach deutschem Erbrecht gibt es Erben mehrerer Ordnungen. Können Sie uns die verschiedenen Ordnungen erklären?

Dr. Nina Stickler: Das deutsche Erbrecht unterscheidet die Verwandten des Erblassers in Ordnungen, um den engeren Verwandten des Erblassers den Vorrang vor weiter entfernten Verwandten einzuräumen, wenn gesetzliche Erbfolge zum Zug kommt. Die gesetzlichen Erben nach erster Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers, d. h. seine Kinder, seine Enkelkinder, etc. Die gesetzlichen Erben der zweiten Ordnung sind die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. D. h. die eigenen Eltern, die eigenen Geschwister, nachfolgend deren Kinder usw. Die Erben der dritten Ordnung sind die Großeltern und deren Abkömmlinge und die Erben der vierten Ordnung die Urgroßeltern und deren Abkömmlinge. Wichtig ist zu verstehen, dass das gesetzliche Erbrecht nicht nur in Ordnungen unterteilt, sondern darüber hinaus klare Regeln kennt, wer innerhalb der jeweiligen Ordnung zum Zuge kommt. Lebt beispielsweise das Kind des Erblassers, schließt dieses die Enkelkinder, die von ihm abstammen von der gesetzlichen Erbfolge aus. Ist das Kind hingegen vorverstorben, kommen die Enkelkinder zum Zug. Der mit dem Erblasser näher verwandte Angehörige innerhalb einer Ordnung schließt die ihm nachfolgenden Angehörigen insoweit von der Erbfolge aus. Dies nennt sich Repräsentationsprinzip. Ist der näher verwandte Angehörige hingegen vorverstorben, rücken die ihm nachfolgenden Verwandten innerhalb der gleichen Ordnung an seine Stelle auf, dies nennt sich Eintrittsprinzip.

Was ist der Unterschied zwischen gesetzlicher und testamentarischer Erbfolge?

Dr. Nina Stickler: Die gesetzliche Erbfolge gilt sozusagen automatisch. Hat ein Erblasser keine Regelung für den Todesfall getroffen, gilt das Gesetz. Unter gewillkürter Erbfolge versteht man hingegen, dass der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen errichtet hat und seine Erben durch testamentarische Verfügung selbst bestimmt.

Wann ist das Testament formwirksam?

Dr. Nina Stickler: Das Testament kann als eigenhändiges Testament verfasst werden. D. h. der Erblasser muss es komplett selbst handschriftlich verfassen und anschließend unterschreiben. Das Testament am PC zu verfassen, auszudrucken und anschließend zu unterschreiben genügt ausdrücklich nicht. Es muss komplett selbst durch den Erblasser handschriftlich verfasst werden. Ortsangabe und Datum sind zwar keine Wirksamkeitsvoraussetzungen, helfen aber wenn es später Streit um die Gültigkeit des Testaments ergibt, weil beispielsweise mehrere Testamente existieren oder die Testierfähigkeit in Frage steht. Wird dies beachtet, sind die Hürden für die Wirksamkeit eines Testamentes nicht hoch. Es sollte jedoch beachtet werden, wenn komplizierte Dinge verfügt werden sollen, oder Streit zu erwarten ist, beispielsweise weil Kinder enterbt werden, sollte der Gang zum Notar erwogen werden. Das notarielle Testament löst zwar durch die Beurkundung Kosten aus, es wird jedoch dem Erben, der bedacht werden soll, die Abwicklung, vor allem im Streitfall, deutlich vereinfachen.

Frau Dr. Stickler, vielen Dank für das Gespräch!

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