Erweiterung des §130 StGB – ein Riegel für unbeliebte Meinungsäußerungen?

Interview mit Markus Schmuck
Der Krieg in der Ukraine ist in vollem Gange. Erschreckende Bilder gehen um de Welt und lassen die Menschen erschaudern vor dem Leid, welches die Bevölkerungen der betroffenen Länder ertragen müssen. Zur selben Zeit wird per Omnibusverfahren das Gesetz der Volksverhetzung unter § 130 StGB (Strafgesetzbuch) um einen weiteren Absatz ergänzt. Welche Dringlichkeit hat die Politiker dazu gebracht, diese Änderung per „Eilverfahren“ durchzusetzen? Die Gründe hierfür sind umstritten. Hat es vielleicht etwas mit Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Union gegen Deutschland zu tun? Oder kann es daran liegen, dass unter der Ergänzung künftig auch Äußerungen auf sog. Pro-Putin Versammlungen fallen könnten und somit unbeliebte Meinungsäußerungen unter Strafe gestellt werden könnten? Fachanwalt für Strafrecht Markus Schmuck von der Kanzlei Dr. Caspers, Mock & Partner mbB in Koblenz erzählt uns näheres zur Ergänzung des §130 StGB und dem damit einhergehenden Auswirkungen.

Die bisherige Regelung der Volksverhetzung hat unter Strafe gestellt, wenn jemand eine bestimmte Handlung bzw. ein Kriegsverbrechen leugnet, billigt oder verharmlost. Mit dem neu geschaffenen § 130 Abs. 5 StGB hat sich nun etwas geändert. Wie hat sich das Gesetz mit dem neuen Absatz geändert? 

Mit der Einfügung eines neuen Straftatbestandes in § 130 Abs. 5 Strafgesetzbuch (StGB) wurde klargestellt, dass das öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach deutschem Recht strafbar ist, wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.

Zur Beschreibung der Völkerrechtsverbrechen wird nun auf die §§ 6 bis 12 Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) verwiesen, in denen die Tatbestände des Völkermordes, des Verbrechens gegen die Menschlichkeit und des Kriegsverbrechens in Anlehnung an die Definitionen des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs im deutschen Recht normiert sind.

Tatsächlich fand durch die Ausgestaltung des neuen § 130 Abs. 5 StGB auch eine Ausweitung der gesetzlichen Regelung statt. Tatbestandlich erfasst sind in Anlehnung an das strafbare Billigen von Völkerrechtsverbrechen mit der Neuregelung auch das Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkerrechtsverbrechen in einer Versammlung.

Bereits im Dezember 2021 hat die Europäische Kommission ein sog. „Vertragsverletzungsverfahren“ gegen Deutschland eingeleitet. Was genau war der Hintergrund für die Gesetzesänderung bei der Volksverhetzung? 

Grund des eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens war der Vorwurf der unzureichenden Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. 

Mitgliedstaaten der Europäischen Union waren hiernach verpflichtet, das vorsätzliche „öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Sinne der Artikel 6, 7 und 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, das gegen eine Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe gerichtet ist, die nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definiert werden“, unter Strafe zu stellen, „wenn die Handlung in einer Weise begangen wird, die wahrscheinlich zu Gewalt oder Hass gegen solch eine Gruppe oder gegen ein Mitglied solch einer Gruppe aufstachelt“. 

Gemäß § 140 Nummer 2 des Strafgesetzbuches (StGB) in Verbindung mit § 126 Absatz 1 Nummer 3 StGB ist das öffentliche Billigen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen strafbar. 

Das öffentliche Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen wurden hingegen – mit Ausnahme der unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Taten der in § 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) bezeichneten Art (§ 130 Absatz 3 StGB) – bislang in keiner Strafvorschrift ausdrücklich genannt. 

In aller Regel dürften solche Handlungen zwar vom Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Absatz 1 Nummer 1 StGB erfasst werden. 

Durch eine Ergänzung des § 130 StGB sollte jedoch klarstellend das in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c des Rahmenbeschlusses beschriebene Verhalten ausdrücklich pönalisiert werden.

Wieso schärfte die Ampel-Koalition den Volksverhetzungsparagrafen gerade jetzt? 

In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Wegen des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens soll die Klarstellung zügig im Rahmen des bereits fortgeschrittenen Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes erfolgen (vgl. BT- Drs. 20/4085, S. 14 f.).“Stimmen in der Regierungsopposition betrachten den Zeitpunkt der Gesetzesänderung hingegen insbesondere vor dem Hintergrund, dass es durch die explizite Einbeziehung von Äußerungen in einer Versammlung in die neue Vorschrift künftig auch Äußerungen zum Beispiel auf Pro-Putin-Versammlungen hierunter fallen könnten, wenn gegen Menschen aus der Ukraine gehetzt wird, durchaus kritisch. 

Hierin wird eine Gefahr gesehen, dass unbeliebte Meinungsäußerungen in diesem Zusammenhang im Wege dementsprechender Gesetzesauslegung unter Strafe gestellt werden und auf diese Weise die freie Meinungsäußerung unzulässig beschränkt werden könnte. 

Auch wird die Art und Weise des Gesetzgebungsverfahrens moniert. Die Gesetzesänderung zu § 130 StGB wurde nämlich in einer späten Abendsitzung im Parlament in einem sogenannten Omnibusverfahren, also gemeinsam mit einem inhaltlich hiermit nicht zusammenhängenden Gesetz, hier einem Änderungsgesetz für das Bundeszentralregistergesetz verbunden, zur Abstimmung gebracht.

Bei den zu billigenden, verleugnenden oder verharmlosenden Handlungen muss es sich für eine strafrechtliche Verfolgung um solche handeln, welche in den Paragrafen 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches unter Strafe stehen. Können Sie uns erklären, welche das im Einzelnen sind? 

Die §§ 6-12 des Völkerstrafgesetzbuches beinhalten Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie systematische Angriffe auf die Zivilbevölkerung sowie verschieden Formen von Kriegsverbrechen u.a. Kriegsverbrechen gegen Personen, Eigentum und sonstige Rechte oder der Einsatz verbotener Methoden oder Mittel der Kriegsführung.

Wann werden Kriegsverbrechen eigentlich gebilligt, verleugnet oder verharmlost? 

Billigen bedeutet das ausdrückliche oder konkludente, d.h. durch schlüssiges Handeln zum Ausdruck gebrachte, Gutheißen der betreffenden Handlung. Dies ist der Fall, wenn der Täter die Gewalttaten als richtig, akzeptabel oder notwendig hinstellt, sich hinter die Willkürmaßnahmen stellt oder seine zustimmende Befriedigung äußert.

Unter Leugnen ist das Bestreiten, Inabredestellen oder Verneinen einer historischen Tatsache in Bezug auf ein entsprechendes Völkerrechtsverbrechen zu verstehen. Als Tatsache muss es insoweit unumstritten feststehen. Das Bezweifeln oder Infragestellen einer Tatsache reicht ebenfalls nicht aus. 

Ein Verharmlosen ist gegeben, wenn der Täter das betreffende Geschehen in tatsächlicher Hinsicht herunterspielt, beschönigt, in seinem wahren Gewicht verschleiert oder in seinem Unwertgehalt bagatellisiert bzw. relativiert. Es kann sich also insbesondere sowohl um ein quantitatives als auch um ein qualitatives Abwerten handeln. Ein „Herunterrechnen“ der Opferzahlen reicht ebenso aus wie sonstige Formen des Relativierens oder Bagatellisierens.

Welche Strafe droht jemandem, der eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung erhält? 

Innerhalb des Straftatbestandes des § 130 StGB gibt es je nachdem, welcher Absatz tatbestandlich verwirklicht ist, entsprechende Abstufungen in Bezug auf den angegebenen gesetzlichen Strafrahmen. 

In Absatz 1 wird eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren angedroht. 

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe werden Vergehen nach Absatz 2 bestraft. 

Absatz 3 sieht eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe vor. 

Eine Ahndung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe ist in Absatz 4 vorgesehen.

Als Strafandrohung sieht die neue Vorschrift in Abs. 5 Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre oder Geldstrafe vor. 

Trotz vergleichbarer Tathandlungen liegt die Obergrenze damit unterhalb des in § 130 Absatz 3 StGB vorgesehenen Höchstmaßes von fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Diese Abstufung erscheint aus Sicht des Gesetzgebers geboten. Wegen der Einzigartigkeit des Holocausts müssten für dessen Billigung, Leugnung und Verharmlosung im Einzelfall höhere Strafen möglich sein als für vergleichbare Äußerungen betreffend andere Völkerrechtsverbrechen.

Herr Schmuck, vielen Dank für das Interview.

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