Kündigungsschutzklage – Wann ist sie sinnvoll?

Interview mit Dr. Stephan Pauly
Heute sprechen wir mit Dr. Stephan Pauly von der Rechtsanwaltskanzlei Pauly & Partner mbB in Bonn über Kündigungsschutzklagen. Was dieser Prozess beinhaltet, welche Hürden sowohl Arbeitnehmer und -geber entgegenstehen und wann es sich tatsächlich lohnt, gegen den Arbeitgeber bei einer Kündigung vorzugehen, erklärt uns der erfahrene Fachanwalt für Arbeitsrecht ganz genau.

Was sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine Kündigungsschutzklage und wie kann sie einem Arbeitnehmer helfen, der unrechtmäßig gekündigt wurde?

Eine Kündigungsschutzklage muss binnen drei Wochen nach Erhalt einer Kündigung beim Arbeitsgericht erhoben werden. Die Kündigungsschutzklage kann gegen jede Kündigung erhoben werden. Das Arbeitsgericht prüft, ob die Kündigung wirksam ist. Beim Arbeitsgericht besteht kein Anwaltszwang und in der ersten Instanz trägt jede Partei ihre Anwaltskosten selbst. Die Anwaltskosten richten sich entweder nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz oder bei einer Honorarvereinbarung nach dem vereinbarten Stundensatz und dem Zeitaufwand. Die Gerichtskosten richten sich nach dem Gesetz.

Die Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine Kündigung gegen eine ordentliche Kündigung richten sich u.a. danach, ob das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist.

Nach § 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ist das Kündigungsschutzgesetz erst anwendbar, wenn das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat. Die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes setzt voraus, dass der Betrieb in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer (m/w/d) – ausschließlich der Auszubildenden – beschäftigt (§ 23 Abs. 1 S. 1 KSchG, sog. Kleinbetriebsregelung).

Eine Kündigung ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers (m/w/d) liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers (m/w/d) in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Ist einem Arbeitnehmer (m/w/d) aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers (m/w/d) die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers (m/w/d) nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (sog. Sozialauswahl). Auf Verlangen des Arbeitnehmers (m/w/d) muss ihm der Arbeitgeber die Gründe angeben, die zu der getroffenen Sozialauswahl geführt haben. In die Sozialauswahl sind Arbeitnehmer (m/w/d) nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.

Kündigungsschutz besteht auch gegen eine Änderungskündigung. Nach § 2 KSchG liegt eine Änderungskündigung vor, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt und im Zusammenhang mit der Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen anbietet.

Im Kleinbetrieb ist das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar. Kleinbetriebe sind Unternehmen, in denen zehn oder weniger Mitarbeiter (m/w/d) in Vollzeit angestellt sind (Teilzeitkräfte zählen anteilig). Dort gilt das Kündigungsschutzgesetz nicht. Mangels Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes ist der Arbeitgeber daher grundsätzlich nicht gehindert, das Arbeitsverhältnis im Wege einer ordentlichen Kündigung zu beenden. Wo die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht greifen, sind die Arbeitnehmer (m/w/d) lediglich durch die zivilrechtliche Generalklausel vor einer sittenwidrigen oder treuwidrigen Kündigung des Arbeitgebers geschützt. So darf beispielsweise nach § 612 a BGB ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer (m/w/d) bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Maßnahme im Sinne des Gesetzes kann auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sein. So hat z.B. das Bundesarbeitsgericht (BAG 23.04.2009, Az. 6 AZR 189/08) einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nach § 612 a BGB für den Fall angenommen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zunächst gedroht hat, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, wenn der Arbeitnehmer nicht trotz Arbeitsunfähigkeit zur Arbeit erscheint und dann die Kündigung unmittelbar nach der Weigerung des Arbeitnehmers, die Arbeit aufzunehmen, erfolgte. Wo die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht greifen, sind die Arbeitnehmer durch die zivilrechtlichen Generalklauseln (§ 138 Abs 1, § 242 BGB) vor einer sitten- oder treuwidrigen Kündigung des Arbeitgebers geschützt. Natürlich kann auch bei der Kündigung im Kleinbetrieb die Einhaltung der Kündigungsfrist arbeitsgerichtlich überprüft werden.

Gem. § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis außerordentlich aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Zunächst ist zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Danach bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht. Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen ausgesprochen werden; sie muss innerhalb der Frist zugehen. Beispiele der außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber sind massive Arbeitsverweigerung, die Trunkenheit eines Kraftfahrers, die hartnäckige Weigerung des Arbeitnehmers (m/w/d), zur Rücksprache zum Geschäftsführer des Arbeitgebers zu kommen, die Annahme von Schmiergeldern, Spesenbetrug, sexuelle Belästigung, der Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen schweren arbeitsvertraglichen Verfehlung. Beschreibt ein Auszubildender (m/w/d) auf seiner Facebook-Seite seinen Arbeitgeber als „Menschenschinder“ und „Ausbeuter“ und bezeichnet er seine zu verrichtende Tätigkeit als „dämliche Scheiße“, stellt dies massiv ehrverletzende Äußerungen dar, die zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses berechtigen.

Eine Kündigungsschutzklage macht aber auch Sinn bei Vorliegen formaler Mängel, z.B. einer fehlenden oder mangelbehafteten Betriebsratsanhörung oder bestehendem Sonderkündigungsschutz oder der Nichteinhaltung der Kündigungsfrist.

Wie wird die Höhe einer Abfindung bei einer Kündigung berechnet und welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?

Die Höhe der Abfindung ist regelmäßig Verhandlungssache. Die sog. „Regelabfindung“ berechnet sich nach der Faustformel „1/2 Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr“. Kann der Arbeitgeber die Kündigungsgründe nicht ausreichend substantiiert darlegen, wird die Abfindung häufig nach der Faustformel „ein Brutto-Monats-Gehalt pro Beschäftigungsjahr“ berechnet. Dies betrifft nicht nur den Faktor (z.B. 0,5, 0,75, 1, 1,25, 1,5,2) sondern auch die Berechnung der Dauer der Betriebszugehörigkeit (z.B. auf den Zeitpunkt der Kündigung; bei Ablauf der Kündigungsfrist; auf- oder abgerundet) und die Definition des „Bruttomonatsgehaltes“ (z.B. Fixgehalt plus variable Vergütung/12, Fixgehalt plus geldwerter Vorteil von Sachbezügen, z.B. bei Privatnutzung des Dienstwagens, Zielgehalt/12, Jahresgehalt/12). Ein Anspruch auf Abfindung besteht nur in Ausnahmefällen, z.B. nach § 1a KSchG (kommt in der Praxis kaum noch vor) oder aus einem Sozialplan.

Welche Alternativen zur Kündigungsschutzklage stehen einem Arbeitnehmer zur Verfügung, um eine angemessene Abfindung zu erhalten?

Alternativen sind der Abschluss eines Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrages bzw. einer Kündigungsfolgenregelung mit dem Arbeitgeber. Ein Aufhebungsvertrag beendet das Arbeitsverhältnis einvernehmlich mit konstitutiver Wirkung, während der Abwicklungsvertrag eine arbeitgeberseitige Kündigung voraussetzt, deren Bestand und Wirksamkeit zum Gegenstand des Vertrages gemacht wird neben den Regelungen der Beendigungsfolgen. Eine Kündigungsfolgenvereinbarung beschränkt sich auf die Begleitregelungen der Rechtsfolgen der Kündigung. Beim Aufhebungsvertrag besteht das Risiko einer Sperre beim Arbeitslosengeld. Die Sperrzeit dauert in der Regel 12 Wochen. Wichtige Gründe können ausreichen, um eine Sperrzeit zu vermeiden. Die Sperrzeit beim Arbeitslosengeld durch das Arbeitsamt entfällt, wenn ein wichtiger Grund für den Aufhebungsvertrag vorgetragen und nachgewiesen wird, z.B. ist bei gesundheitlichen Gründen durch ein ärztliches Attest. Rechtsschutzversicherungen lehnen die Deckung bei Aufhebungsverträgen regelmäßig ab.

Welche Rolle spielt die Dauer der Beschäftigung und das Alter eines Arbeitnehmers bei der Festlegung einer Abfindungssumme?

Die Dauer der Beschäftigung und das Alter eines Arbeitnehmers (m/w/d) spielen eine Rolle bei der Festlegung einer Abfindungssumme in Sozialplänen. Sie wirken sich auf die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG aus und beeinflussen die Wirksamkeit der Kündigung und damit mittelbar auch die Höhe der Abfindung.

Welche Risiken und Herausforderungen sollten Arbeitnehmer beachten, wenn sie eine Kündigungsschutzklage einreichen oder eine Abfindungsvereinbarung aushandeln möchten?

Wird dem gekündigten Arbeitnehmer (m/w/d) z.B. Betrug, Diebstahl oder Steuerhinterziehung nachgewiesen, wird nicht nur die Kündigungsschutzklage abgewiesen, sondern die Akte kann auch vom Arbeitsgericht an die Staatsanwaltschaft oder das Finanzamt für Steuerstrafsachen abgegeben werden. Die Klage gegen eine betriebsbedingte Kündigung wird abgewiesen, wenn der Betrieb tatsächlich geschlossen wird. Andererseits wird eine Schwangere, die ohne Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde gekündigt wurde, den Kündigungsschutzprozess im Zweifel ebenso gewinnen wie ein Schwerbehinderter, dem ohne Zustimmung des Inklusionsamtes gekündigt wurde. In der Regel lohnt sich für Beschäftigte ein Kündigungsschutzprozess, da die meisten Verfahren mit einem Vergleich in der ersten Instanz enden und das bedeutet in der Regel, dass das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung beendet wird.

Herr Dr. Pauly, vielen Dank für das Interview.

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