Prof. Dr. Julius Reiter: Prüfpflichten eines Finanzberaters gehen nicht sehr weit

Interview mit Prof. Dr. Julius Reiter
Wir sprechen mit Prof. Dr. Julius Reiter, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht sowie IT-Recht von der Kanzlei Baum Reiter & Collegen aus Düsseldorf, über rechtliche Grundlagen bei der Vermittlung von Kapitalanlagen.

Finanzberater agieren häufig provisionsgetrieben. Welche einschlägigen, rechtlichen Vorschriften gelten für Vermittler von Kapitalanlagen?

Prof. Dr. Julius Reiter: Wesentliche Vorschriften zur Vermittlung von Kapitalanlagen finden sich im Kreditwesengesetz, im Wertpapierhandelsgesetz, in der Gewerbeordnung und nicht zuletzt auch im allgemeinen Zivilrecht. Sämtliche Vorschriften zielen darauf, dass ein Anleger seine Anlageentscheidung frei und informiert treffen kann. Die Vorschriften wurden in den letzten zehn Jahren ständig weiterentwickelt und ergänzt. Im Ergebnis erhalten die Anleger mittlerweile viel Papierwerk, das als „gelesen“ unterzeichnet werden muss. Ob die Beratung dadurch grundsätzlich an Qualität gewonnen hat, ist schwer zu sagen.

Im Grauen Kapitalmarkt, z.B. P&R Container, S&K und Co., kommt es regelmäßig zu Millionenschäden. Welche Prüfpflichten haben Finanzberater vor der Vermittlung dieser Kapitalanlagen?

Prof. Dr. Julius Reiter: Die Prüfpflichten eines Finanzberaters gehen nicht sehr weit. Der Berater muss das Produkt auf Plausibilität prüfen. Dazu muss er den Prospekt studieren und die Berichterstattung aus einschlägigen Branchenmagazinen kennen. Bleibt ein Produkt insoweit unverdächtig, kommt es für die Vermittlung grundsätzlich in Betracht.

Immer wieder gelingt es Schadenersatz von Finanzberatern vor Gericht zu erstreiten. Auf welcher gesetzlichen Grundlage?

Prof. Dr. Julius Reiter: Der Finanzberater schließt mit seinem Kunden einen Beratungsvertrag. Dieser Vertrag kommt bereits mündlich (konkludent) zustande, wenn der Berater dem Kunden eine Kapitalanlage vorschlägt. Verstößt der Berater gegen die Pflichten dieses Vertrags, kommen Schadensersatzansprüche in Betracht.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Berater schadenersatzpflichtig werden?

Prof. Dr. Julius Reiter: Der Anlageberater ist verpflichtet, den Kunden sowohl anlage- als auch anlegergerecht zu beraten. Anlagegerechte Beratung bedeutet, dass der Kunden über die Eigenschaften, die Besonderheiten und die Risiken (z. B. ein Totalverlustrisiko) der Kapitalanlage aufgeklärt werden muss. Für eine anlegergerechte Beratung ist es erforderlich, dass der Berater die persönlichen Bedürfnisse und Interessen des Kunden mit einbezieht. Nicht anlegergerecht ist z. B. eine Kapitalanlage mit 15jähriger Laufzeit, wenn der Kunden bereits 85 Jahre alt ist.

Lohnt sich ein schnelles Vorgehen im Schadensfall, z.B. bei Verdacht auf ein Schneeballsystem oder können sich Anleger auch Zeit lassen und in Ruhe abwarten wie sich der jeweilige Fall entwickelt?

Prof. Dr. Julius Reiter: Ein schnelles Vorgehen kann geboten sein, wenn zu befürchten ist, dass Gelder für Schadensersatzzahlungen nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehen. Solche Szenarien münden jedoch in der Regel in ein Insolvenzverfahren. Forderungen können dann zur Insolvenztabelle angemeldet werden. Hier gibt es keine zeitliche Priorität. Alle Gläubiger erhalten die gleich hohe Quote aus der Insolvenzmasse. Beachtet werden müssen nur die allgemeinen Verjährungsvorschriften für Forderungen. Der geschädigte Anleger kann also zunächst abwarten und bewerten, ob sich die Geltendmachung der Forderung im Insolvenzverfahren überhaupt lohnt.

In vielen Fällen werden Interessensgemeinschaften gegründet, um Anlegerinteressen zu bündeln. Was halten Sie persönlich von solchen Initiativen?

Prof. Dr. Julius Reiter: Hier gibt es keine pauschale Antwort. Es gibt Interessengemeinschaften, welche die Anlegerinteressen bündeln konnten und so erfolgreich tätig waren. Leider sind die Angebote dieser Gemeinschaften nicht immer ganz durchsichtig ausgestaltet. Hinter einer Interessengemeinschaft steht in aller Regel eine Anwaltskanzlei. Ein Anleger sollte sich genau erkundigen, welchen wirtschaftlichen Mehrwert die Beteiligung an der Gemeinschaft bringen kann, bevor er sich zur Zahlung anwaltlicher Gebühren verpflichtet.

Herr Prof. Reiter, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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