Lukas Hellwig: Etablierte Geschäftsmodelle wurden hinterfragt

Interview mit Lukas Hellwig
Lukas Hellwig ist Geschäftsführer & Recruiter der QRcom GmbH. Mit ihm sprechen wir über Fachkräftemangel, Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie die sinkende Nachfrage.

Der Fachkräftemangel in Ausbildungsberufen ist geraumer Zeit ein großes Thema. Welche Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie auf die ohnehin schon wackelige Ausbildungsbranche?

Lukas Hellwig: Ich habe die Befürchtung, dass die Corona-Pandemie die Ausbildungsbranche auch noch die kommenden Jahre belasten wird. Im vergangenen Jahr hatten viele Ausbildungsbetriebe und -unternehmen massive Existenzsorgen und konnten auch aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht wie gewohnt ausbilden. Dieses „verlorene Jahr“ gilt es in den kommenden Jahren aufzufangen. Die Pandemie hat aber auch dazu geführt, dass etablierte Geschäftsmodelle hinterfragt und digitalisiert werden mussten. Dies birgt auf der anderen Seite auch ein Potential, um auch Ausbildungen auf den aktuellen Stand der Technik zu bringen und damit wieder attraktiver für mögliche Bewerber:innen zu machen.

Welche Gründe sehen Sie in der sinkenden Nachfrage? Handelt es sich einzig um Verunsicherung seitens der potentiellen Bewerberinnen und Bewerber?

Lukas Hellwig: Es gibt sicherlich sehr vielschichtige Gründe für die sinkende Nachfrage, welche auch von Branche zu Branche unterschiedlich ausgeprägt sind, weswegen eine allgemeingültige Aussage schwierig ist. Ich befürchte, dass eine Ausbildung im Vergleich zu einem Studium bei uns in Deutschland weiterhin ein geringeres Ansehen genießt und daher insbesondere Abiturient:innen eine Ausbildung gar nicht erst in Erwägung ziehen, obwohl es möglicherweise viel besser zum eigenen Charakter passen würde. Es gilt, die Karriereperspektive in einem Ausbildungsberuf wieder präsenter zu machen und ein Bewusstsein hierfür insbesondere bei Schülerinnen und Schülern zu schaffen.

Vielfach kritisiert wird die mangelnde Attraktivität der Ausbildungsberufe aufgrund der geringen Entlohnung und den familienunfreundlichen Arbeitsbedingungen, als Beispiel in der Pflege. Nun kommt zudem die Verunsicherung durch die Corona-Pandemie hinzu.

Welche Möglichkeiten haben Unternehmen noch, um die nächste Generation für sich zu gewinnen?

Lukas Hellwig: Der Fachkräftemangel hat in einigen Branchen bereits solche Ausmaße, dass Unternehmen und Betriebe sich in einem Wettkampf um Auszubildende befinden. Neben deutlich attraktiveren Rahmenbedingungen für Auszubildende wird es aber auch immer wichtiger, dass sich Unternehmen und Betriebe vor potentiellen Bewerber:innen angemessen präsentieren. Employer-Branding wird also in Zukunft eine bedeutendere Rolle einnehmen, um in diesem Wettbewerb um die besten Auszubildenden eine Chance gegen namenhafte Konzerne zu haben. Der aktuelle Arbeitsmarkt ist ein klarer Arbeitnehmermarkt, sodass Unternehmen und Betriebe zukünftig vermehrt in die Akquise und Sicherung ihrer Fachkräfte werden investieren müssen.

Immer mehr Schulabgänger entscheiden sich aufgrund der besseren Bedingungen für ein Studium. Was bedeutet dies für Ausbildungsberufe im Zusammenhang mit der Akademisierung? Werden in Zukunft vielleicht auch Tischler, Konditoren und Maler in einer Hochschuleinrichtung ausgebildet?

Lukas Hellwig: Es muss gelingen, Ausbildungen und Ausbildungsberufe wieder attraktiver zu machen und auch die gesellschaftliche Anerkennung zu stärken. Eine Ausbildung darf nicht länger als Qualifikation 2. Wahl wahrgenommen werden. Die schon fast zwanghafte Akademisierung sollte in vielen Bereichen kritisch hinterfragt werden. Für die tatsächliche Ausübung eines Berufes halte ich in vielen Branchen eine Ausbildung als den sinnvolleren Qualifizierungsweg.

Grundsätzlich plädiere ich dafür, die beiden Systeme enger zusammen zu bringen und auch durchlässiger zu gestalten. So sollten bereits erbrachte Leistungen im Studium in der Ausbildung und umgekehrt angerechnet werden können. Dies würde auch die Hemmschwelle senken, von einem Studium zu einer Ausbildung zu wechseln. Durch die engere Verzahnung könnten überdies neue Perspektiven aufgezeigt und die Ausbildung als adäquate Karriereoption verankert werden.

Fachkräfte werden zwar dringend gebraucht, doch muss der Beruf auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit garantieren können? Was raten Sie der kommenden Generation, die vor der Entscheidung Ausbildung oder Studium steht?

Lukas Hellwig: Ich würde jeder und jedem, der vor dieser Wahl steht dringend empfehlen, diese Entscheidung alleine auf Basis der eigenen Interessen und Motivationen und losgelöst von gesellschaftlichen Meinungen zu fällen. Ich bin überzeugt davon, dass bei entsprechender Begeisterung und Motivation für einen Job, jede und jeder in diesem erfolgreich sein kann und sich dementsprechend Karriereperspektiven ergeben. Aufgrund des Mangels an gut ausgebildeten Fachkräften werden sich zukünftig die Löhne auch angleichen, sodass der finanzielle Aspekt in den Hintergrund rückt. Grundsätzlich halte ich – sobald die wirtschaftliche Unabhängigkeit gegeben ist – Geld für einen sehr begrenzt motivierenden Faktor, weswegen die intrinsische Motivation der maßgebliche Treiber bei dieser Wahl sein sollte.

Dieses Jahr sind erneut 15.000 weniger Lehrstellen angeboten worden. Hinzu kommt, dass trotz des geringeren Angebots ein großer Teil der Lehrplätze unbesetzt bleibt. Welche Prognose geben Sie für die Ausbildungsbranche?

Lukas Hellwig: Die Ausbildungsbranche wird sich in den kommenden Jahren maßgeblich wandeln müssen, um dem Fachkräftemangel begegnen zu können. Der demographische Wandel sowie die bereits thematisierte Akademisierung werden den Bedarf weiter steigern, sodass neue Anreize geschaffen werden müssen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass ganze Branchen handlungsunfähig werden oder die Qualität aufgrund von niedrigeren Qualifizierungsstandards deutlich sinken wird. Hier müssen die Ausbildungsbetriebe kreativ werden und aktiv auf potentielle Auszubildende zugehen und sie im Idealfall dort abholen, wo sie anzutreffen sind: Social Media, Streaming Plattformen oder in der Schule selbst. Hierfür bedarf es seitens der Unternehmen neue Ansätze und Strategien und eine nachwuchszentrierte Ansprache. Wie bereits erwähnt, wird hierfür das Employer-Branding eine zunehmend gewichtigere Rolle spielen.

Herr Hellwig, vielen Dank für das Gespräch!

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